1 || Ernst-Reuter-Platz

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U2 nach Pankow, Verspätung um 10 Minuten.", hallte es durch die U-Bahnstation am Ernst-Reuter-Platz.

Gestresst lief Jonna auf eine der Metallbänke zu und schnappte sich einen ihrer Schnellhefter aus dem braunen Jutebeutel.
Dieses besaß sie seit mindestens 10 Jahren, dementsprechend sah er auch aus. Überall besaß dieser Beutel Flecken und das Motiv, welches früher in grellen Farben die Blicke vorbeigehender Leute auf sich zog, waren ausgewaschen und kaum erkennbar.

Sie blies sich eine Strähne aus dem Gesicht, als der Windstoß aus dem U-Bahnschacht ihre Haare in ein blondes Vogelnest verwandelten.
Immerhin war die U-bahn eher als angesagt an ihrer Station. Schnell stopfte sie den Hefter zurück in den Beutel und quetschte sich elendig in den gelben Wagon.

Sie arbeitete aktuell bei Strehl Architecture. Eigentlich kam sie auch nicht aus Berlin, sondern aus Hamburg. doch wie viele Leute in ihrem Alter brauchte sie nach dem Abi einen Tapetenwechsel und durch ihr zurückgelegtes Geld, konnte sie sich den Umzug und die Wohnung mit nicht zu vielen Umständen in kurzer Zeit überbringen. Jonna war sich ebenfalls sicher, dass sie bald wieder zurück in die Hansestadt ziehen und sich dort einen Job bei einer anderen Architekturfirma suchen würde. Doch aktuell war sie mehr als zufrieden in ihrem aktuellen Betrieb.

Wie sie es hasste, nach der Arbeit mit der U-bahn nach Hause zu fahren. Zwar war es nicht all zu schlimm, wie Freitag nach Schulschluss mit schreienden Fünftklässlern in einem Bus zu fahren, doch die Hitze, die aktuell in Berlin herrschte, die warmen Körper der Passanten und die scheinbar ausgefallene Klimaanlage taten Jonna nicht wirklich einen Gefallen. Sie hätte eindeutig den Bus nehmen sollen. Oder einen E-Roller ausleihen.

So schnell sie vergas, dass sie immer noch in der stickigen Bahn stand, so schnell kam sie an ihrer Haltestelle an. Schnell drängelte sie sich an einer Gruppe Frauen vorbei und sprang durch die Tür, kurz bevor sie sich wieder schloss. Kurz atmete sie tief ein und aus, um sich von dem sauerstoffarmen Raum zu erholen und lief mit schnellen Schritten die Treppe nach unten.

Während sie an der Ampel auf grün wartete und etwas an ihrem Handy herumspielte, düsten mit viel zu hohem Tempo tiefgelegene Sportwagen durch das Viertel. Jonnas Kopf schnellte nach oben, sah den Autos hinterher und lauschte dem lauten Knattern der Auspuffe. Kopfschüttelnd lief sie über die Straße, zwar war sie nicht ganz abgeneigt von schnellen Autos, doch Innerorts auf einer viel befahrenen Straße um die 100 km/h zu fahren musste wirklich nicht sein.

Bevor sie zu ihrer Wohnung lief, ging sie in den kleinen Bioladen nebenan. Sie selbst war überzeugter Käufer von Bioprodukten, inzwischen waren die Preise ziemlich gleich zu stellen wie mit denen von großen Lebensmittelkonzernen, außerdem liebte sie diesen Laden. Er war wirklich nicht groß, vielleicht die Fläche eines kleinen Privatbäckers, doch sie bekam alle notwendigen Lebensmittel von einem Bio zertifizierten Bauernhof und unterstützt somit auch regionale Betriebe. Zudem verstand sie sich auch sehr gut mit dem Verkäufer.

„Hey Felix!", rief sie freudig durch den Laden, als sie ihn betrat. Ein durchschnittlich großer, braunhaariger Mann kam mit einem großen Karton in den Verkaufsbereich gelaufen und stellte diesen auf dem Tresen ab. „Hey Jonna.", antwortete er schwer atmend und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Jonna selbst nahm sich einen Korb und legte dort sowohl Gemüse und Obst, als auch 2 Packungen Chips und Holundersirup hinein. Währenddessen stellte Felix neben der Kasse einen Holzaufsteller mit Glasflaschen, gefüllt mit hellroter Flüssigkeit, auf. Sie beobachtete dies aus dem Augenwinkel und stellte ihren Korb neben den nun geöffneten Karton. „Was hat denn dein Vater neues produziert?", fragte Jonna neugierig und schnappte sich eine Flasche vom Tresen, um das Etikett zu studieren. „Holunder-Himbeer Likör. Schmeckt ganz gut, dir würde es sicherlich gefallen.", antwortete Felix und stellte die restlichen Flaschen zum Aufsteller. Anschließend schwang er sich zurück zur Kasse und kassierte Jonna Produkte ab. Unauffällig schob er ihr eine Flasche des Likörs hinüber. „Geht auf mich, ich kann nach Ladenschluss ja mal hochkommen." Er zwinkerte ihr zu und beendete den Kassiervorgang. „10€ sind es dann." Jonna nahm einen 20€ Schein aus der Hosentasche, drückte ihn ihrem Gegenüber in die Hand und packte ihren Einkauf ein. Ohne das Restgeld zu nehmen, drehte sie sich um und lief zur Tür. „Dein Restgeld!" - „Stimmt so. Bis dann!", Jonna wand ihren Kopf zu Felix, der ein wenig verloren den 10€ Schein in der Hand hielt, und trat ihren Heimweg an.

Glücklicherweise wohnte sie direkt über dem Laden, und konnte dadurch bis 19 Uhr im Laden antanzen, wie sie wollte. Meistens ließ Felix sie auch noch nach Ladenschluss einkaufen, wenn samstags nicht alle Salatköpfe weg sind. Und wenn noch viel zu viel Obst und Gemüse da sein sollte, wird dieses abgeholt und entweder gespendet oder an die Tiere verfüttert.

Müde setzte sich Jonna auf den Balkon und seufzte. Es war 19 Uhr und die Sonne ging bereits unter. Von ihrem aktuellen Platz beobachtete ein wenig die Menschen die Tag ein Tag aus über die Straßen liefen. Geschäftsmänner, kleine Familien oder auch vereinzelte Personen aus verschiedensten Verhältnissen. Sie stellte sich immer vor, wohin diese Menschen liefen. Zu Felix' Laden, zur U-bahn, zum Bus oder zu ihrer Affäre. Ja auch Ehekriesen bekam man mit. Doch jedes mal, wenn sie dort saß, dachte sie daran, wie sie sich nachts auf den Balkon setzte und einfach nur über die Stadt sah.
Sie schloss ihre Augen und lauschte den Straßengeräuschen. Es mag komisch klingen, doch irgendwie beruhigte es sie.

Jonna wurde aus ihren Gedanken gerissen, die Tür klingelte. Etwas verpeilt stand sie auf und schliff zur Tür. Durch den Türspion sah sie Felix mit einer Papiertüte. Schnell öffnete sie die Tür einen Spalt und steckte ihren Kopf durch. „Ich kauf nix.", sagte sie trocken und schloss die Tür. Lachend öffnete sie nun erneut die Tür, dieses Mal lies sie Felix in die Wohnung. Jo, das war beim ersten Mal schon nicht witzig." Besserwisserisch hob er die Augenbrauen, stellte die Tüte auf den weißen Schuhschrank zwischen ein paar herunterwachsende Pflanzen. „Du hast einfach nicht den selben Humor wie ich.", antwortete Jonna nun und sprang wie ein Kleinkind ins Wohnzimmer. Ihr folgten die schweren Schritte ihres Besuchs und das Knistern der Tüte. Er stellte diese auf den Couchtisch, holte Besteck aus der Küche und setzte sich neben Jonna. Er ließ seinen Blick durchs Zimmer gleiten. „Hast du dir schon wieder Pflanzen gekauft?" Grinsend nickte sie heftig und überschlug die Beine. „Mike. War um die Hälfte reduziert, weil seine Blätter am absterben waren. Mit viel Wasser und ganz viel Liebe von Pflanzenmama Jo wird Mike ein wunderschöner Gummibaum." Jonna zeigte auf ihre neue Errungenschaft und nahm sich dann den ersten Karton Essen aus der Tüte. Es waren Reste vom Fertigessen aus dem Laden. „Der Krautsalat deiner Mutter!", quietschte sie freudig und nahm sich eine Gabel. Felix beantwortete dies mit einem Lachen und nahm sich ebenfalls eine Box.

U2 nach Pankow || Marten81Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt