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„Du undankbarer Schuft! Wie konntest du mir das nur antun? Was hab ich nicht alles für dich gemacht? Was hab ich nicht alles für UNS getan? So dankst du mir?!" die brüllende Stimme meiner Mutter drang durch die dünnen Wände bis in mein Kinderzimmer. Schmerzlich verzog ich bei dem lauten Gebrüll mein Gesicht. Neben mir saß meine kleine 7 jährige Schwester Nina. Ihre Augen waren starr auf die Wand gerichtet und sie wippte jetzt schon seit einiger Zeit auf ihren kleinen Fußsohlen vor und zurück. Sorgenvoll guckte ich sie an. Für sie war der häufige Streit die größte Last. Ich guckte zu meiner großen Schwester Alice, die in meinem Bett saß und sich nun schon seid Stunden mit lauter Musik zudröhnte. Wir alle gingen anders mit den ständigen Streitereien unserer Mutter und ihren Verehrern um. Während Alice sich von morgens bis abends mit lauter Musik zudröhnte, war unser älterer Bruder Luca kaum noch Zuhause. Er verbrachte viel Zeit bei seinen Freunden, doch wenn er Zuhause war munterte er uns immer auf und half, wo er nur helfen konnte. Meine Mutter war wirklich kein schlechter Mensch! Leider hatte sie ein großes Talent dafür, sich immer wieder mit den falschen Männern einzulassen. Die ständig wechselnde Begleitung unserer Mutter führte dazu, das es viel Streit und Gewalt im Haus gab. Plötzlich sprang Alice aus dem Bett, dann schnaubte sie und nahm ihre Kopfhörer ab. „Wisst ihr..." begann sie. In dem Moment ertönte ein lautes Rumsen, gefolgt von einem spitzen Schrei. Alice und ich sahen uns alarmiert an. Schützend nahm ich die verschreckte Nina hinter mich. Ich nickte Alice stumm zu, woraufhin sie leise zur Tür ging. Nina wimmerte leise hinter mir. Ich zog sie noch ein Stück näher zu mir, dann hohlte ich mein Handy aus der Hosentasche und tippte mit zitternden Fingern die Nummer von Luca ein. Es klingelte ein paarmal, dann ging die Mailbox dran. „Bitte hinterlassen sie ihre Nachricht nach dem Piepton" erklang die blechernde Stimme. „Luca! Du musst sofort nachhause kommen. Mama und ihr Freund haben wieder Streit. Aber es ist schlimmer als sonst..." flüsterte ich in mein Handy, dann steckte ich es weg. Leise schlich ich mich zu Alice an die Tür. Auf Zehenspitzen liefen wir den Flur entlang. Jetzt standen wir vor der Wohnzimmertür. Nach dem lauten Rumsen waren die Stimmen verstummt. Es war alles still. Unsicher sah ich zu Alice. Eigentlich mischten wir uns nie in die Streitereien unserer Mutter ein, aber so eine heftige Auseinandersetzung gab es lange nicht mehr. Entschlossen stieß ich die Tür auf. Was wir vorfanden ließ mich hart schlucken. Kaputte Vasen, Teller und Stühle lagen auf dem Boden. Alice und ich stürmten in den Raum. Die Fensterscheibe war eingeschlagen. Ich suchte den Raum hektisch nach meiner Mutter ab. Da entdeckte ich sie. Sie saß eingesunken am Sofa gelehnt auf dem Boden und starrte stumm in die Luft. Ihre Haare waren zerzaust und sie schien uns gar nicht zu bemerken. „Mama alles okay?" flüsterte Alice in die Stille und ließ sich neben unserer Mutter auf den Boden sinken. Keine Reaktion. „Mama?" fragte ich leise. „Er hat mich betrogen. In meiner eigenen Wohnung." Sagte sie plötzlich. Ihre Stimme war ganz heiser vom vielen herumschreien Alice schnaubte. „Das war vorauszusehen. Wieso hast du dich überhaupt wieder auf so einen alten Sack eingelassen?" Ich guckte sie böse an. „Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt um ihr Vorwürfe zu machen!" zischte ich mit zusammen gepressten Zähnen. „Alice hat Recht." Ich hätte mich nicht schon wieder auf so jemanden einlassen sollen. Aber ich wollte das es euch gut geht." sagte Mama jetzt mit müder Stimme. Sie versuchte aufzustehen. Doch plötzlich schwankte sie. Ich blickte sie besorgt an. Sie lächelte mich beruhigend an und sagte „mir ist ein bisschen schwindelig, das geht bestimmt gleich wieder weg. Ich will mich nur kurz mal hinlegen." Sie schob sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr und da sah ich es: eine riesige Platzwunde an ihrer Schläfe. Alice zog zischend die Luft ein. „Mama setz dich bitte sofort wieder hin." sagte ich mit fester Stimme. Alice sah mich an. „Wir müssen einen Krankenwagen holen." Ich nickte. „Du rufst den Krankenwagen, ich hole Luca" sagte ich. Dann rannte ich panisch los. „Wenn er nicht ans Handy geht muss ich ihn eben anders erreichen." sagte ich zu mir selbst. Ich wusste das er heute eigentlich bei seinem besten Freund Philipp übernachten wollte und so viel ich wusste, wohnte Philipp nur ein paar Straßen weiter. Ich lief durch unseren Flur, stürmte die Treppe runter und hinaus auf die Straße. Es dämmerte schon. Ich rannte los. Vorbei kam ich an Häusern, Spielplätzen und Restaurants. Überall waren lachende Menschen zu sehen. Ich versuchte sie auszublenden. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr rennen. Schnaufend blieb ich in einer engen Gassen stehen. Ich blickte mich um. „Sehr gut" sagte ich zu mir selbst. Ich war in der richtigen Straße angelangt, in dem weißen Haus da vorne musste Luca sein. Ich wollte mich gerade auf die letzten Meter begeben, da weckte ein Haus hinter mir meine Interesse. Es war gelb und hatte ein rotes Dach. Ein großes Fenster war hell erleuchtet. Ich wusste es war unhöflich, doch irgendwas trieb mich dazu, einen Blick hinein zu werfen. Neugierig schaute ich hinein. Ich sah einen Mann. Er trug gerade einen lecker aussehenden Auflauf in eine gemütliche Wohnecke. Ein kleines Mädchen, vielleicht ein bisschen jünger als Nina folgte ihm mit hopsenden Schritten. Der Mann lachte, als sie ihn mit ihrer fröhlich, hopsenden Art fasst umschubste. Eine alte Frau mit langen grauen Haaren saß am Tisch und schien Kaffe zu schlürfen. Nebenbei redete sie pausenlos und machte ausladende Gesten. Neben ihr saß ein Junge. Wie ich schätzte, war er ungefähr in meinem Alter. Er grinste über irgendwas, was die Frau gerade gesagt hatte und zwinkerte seinem, wie ich annahm Vater zu. Lachend setzten sich das kleine Mädchen und der Mann noch zu den anderen beiden. Alle begannen zu essen. Wehmütig guckte ich der Familie zu. Was hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, mit meiner Familie auch so harmonisch am Tisch zu sitzen. Plötzlich schien das Handy von dem Mann zu klingeln. Er runzelte die Stirn und ging ran. Jede Sekunde des Gesprächs verdüsterte sich sein Gesicht. Er sagte etwas, dann legte er auf. Dann guckte er entschuldigend seine Familie an und stand auf. Die anderen nickten ihm aber aufmunternd zu und winkten wie zum Abschied. Wo er wohl hin musste?

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