Donnerstag

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Heute war ihr großer Tag. Es war Donnerstag und der Donnerstag wird zukünftig der Magda-Tag sein. Ihr eigener und ganz persönlicher Tag. Und ein solcher Tag musste gefeiert werden. Die Frau nahm einen roten Bonbon aus ihrer Handtasche und wickelte eine bersteinfarbene Perle aus, die so groß wie die Kuppe ihres Zeigefingers war. Der große lange Minutenzeiger schwang derzeit auf die schwarzgedruckte Vier, als Magda einen Bund Schlüssel vor der Haustür klimpern hörte. Er ist pünktlich, dachte sie. An diesem Donnerstag ist er pünktlich. Am Magda-Tag um zwanzig nach fünf. Die Frau saß still, als die Tür aufschwang und bewegte sich auch nicht, als die herbe und ledrige Note ihres Mannes, den süßen Duft von Kirschsirup verdrängte. Die Bilder von einer bunten Süßigkeitenfabrik wurden ausgetauscht mit denen, die eine alte und kleine Schuhfabrik zeigten. Oder einen familienbetriebenen Schustereibetrieb. Vor ihrem inneren Auge stapelten sich unzählige rahmengenähter Stiefel in extravaganten Designs. Stiefel wie die, die Karl trug. Sie hörte seine dumpfen Schritte langsam über den Flur wandern. Karl war ein bequemer Mensch und hatte es nie eilig. Nicht, wenn es um gemeinsame Verabredungen ging und auch dann nicht, wenn er nach Hause kam. Eigentlich bei allem. Magda drehte das knisternde dunkelrote Bonbonpapier in ihren Fingern.
„Magda?", hallte die tiefe Stimme von Karl durch die Wohnung. Nicht etwa, weil er ihren Namen rief oder gar aufgebracht war – die Wohnung stand leer. Die Frau schulterte ihre Handtasche und stand auf, da kam auch schon ihr Mann in das Zimmer. Sein Blick fiel auf den einzigen Gegenstand in diesem Raum.„Was ist hier los?", fragte ihr Mann und blickte teilnahmslos auf den verbeulten Karton.
„Ich gehe", sagte Magda. Sie trat einen Schritt zur Seite und griff nach dem Karton, auf dem sie die ganze Zeit über gesessen hatte. Eine Weile sah er sie an. Dann wandte Karl seinen Blick ab und schlurfte an seiner Frau vorbei, welche nun mit Hohlkreuz inmitten des Raumen stand.
„Heute?", fragte er schließlich, das Gesicht der untergehenden Abendsonne zugewandt.
„Ja. Heute", sagte Magda. „Donnerstag."
Karl stand eine Weile mit hängenden Schultern regungslos da. Seine Silhouette wirkte trostlos.
„Es wird dunkel", sagte er schließlich.
„Wird es", bestätigte sie.
„Kalt ist es auch. Die Straßen werden vereist sein."
„Werden sie." Magdas Stimme wurde leiser. Sie flüsterte beinahe und sah wehmütig ihren Ehemann an, der mit Anbruch der Dunkelheit, wie ein zurückgelassenes Möbelstück in dem sonst leeren Zimmer wirkte. In ihrer Hosentasche vibrierte das Telefon. Jetzt, dachte sie. Sie wollte sich verabschieden, als Karl sich umdrehte und sie ansah. Sein Blick war glasig und verwaschen. Seine Augen wirkten wie zwei eingestaubte Fensterscheiben, durch die er hindurchsah.
„Ich muss jetzt", sagte sie laut in die Stille hinein. Magda wackelte zur Haustür. Sie stellte sich vor, wie Karl ihr hinter laufen würde und wie sich seine kräftigen Finger um ihr Handgelenk schlangen. Prüfend sah sie zurück. Seine Hände steckten in den Hosentaschen.
„Morgen ist Freitag", sagte er plötzlich. Seine Frau nickte und wartete ab.
„Warum gehst du nicht am Freitag?", fragte er.
„Es wäre nicht Donnerstag", antwortete sie.

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