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Das Haus, welches Jay ansteuerte, war genauso groß, wie das von ihm und Mei. Mit großen Augen musterte ich die breite Einfahrt und fragte mich, ob ich denn die einzige war, die nicht in so einer Monstervilla wohnte. Andererseits hatte ich vor dem Umzug ja auch in so einer großen Villa gewohnt. Ein wenig wehmütig dachte ich an mein altes Zimmer, welches riesig gewesen war und einen eigenen Balkon und ein eigenes Bad gehabt hatte, zurück. Dann gab ich mir einen Ruck und stieg aus. Das war mein altes Leben. Mein neues Leben fand jetzt und hier statt und ich hatte es selber in der Hand, ob es gut oder schlecht werden würde. Aber ich hatte die feste Absicht, dass es besser werden würde, als das Alte.

„Let's have fun!", rief Mei ausgelassen und hakte sich bei mir unter. Ich schenkte ihr ein Lächeln und versuchte, mich von ihrer Fröhlichkeit anstecken zu lassen. Es war Samstagabend und ich ging mit meiner neu gewonnenen Freundin auf eine Party. Das klang doch nach einem netten Abend. Wenn da nicht Mister Mein-Ego-ist-größer-als-der-Mount-Everest wäre. Jay war bereits in der Menge verschwunden, als Mei und ich uns durch die Haustür und den Flur ins Wohnzimmer schoben. Die Atmosphäre ließ sich mit zwei Worten beschreiben: Voll und laut. Das Wohnzimmer war offensichtlich die Tanzfläche, auf der sich im Moment einige Päärchen aneinanderkuschelten und sich nebenher zu einem langsamen Schnulzensong bewegten. „Hiiiii", ertönte eine aufgedrehte Stimme neben mir. Chantal. Mit einem innerlichen Aufstöhnen drehte ich mich um und schenkte ihr ein Fake-Lächeln. Sie trug ein knappes schwarzes Kleid mit dunkler Feinstrumpfhose und hatte ihre Haare wohl mit einem Lockenstab bearbeitet. So schlecht sah sie gar nicht aus, wie ich zugeben musste. Aber besonders toll auch nicht. Sie fiel erst Mei und dann mir um den Hals, strahlte uns an und flötete dann: „Habt Spaß ihr zwei. Ich werde es auf jeden Fall haben." Mit diesen Worten und einem Zwinkern verschwand sie in der Menge. „Du hast es gehört! Lass uns Spaß haben!", rief Mei und zog mich auf die Tanzfläche. Mir war gar nicht aufgefallen, dass die langsame Musik zu einem schnellen Song gewechselt hatte. Die Päärchen verzogen sich und machten uns und anderen tanzwütigen Teenagern Platz. Tanzen! Wie ich es liebte. Ausnahmsweise brauchte Mei keinerlei Überredungskunst, um mich zum Mitmachen zu bewegen. Ich fetzte sofort ausgelassen mit ihr über den Wohnzimmerboden. Die Musik übernahm die Kontrolle über meinen Körper, füllte mich völlig aus, sodass ich alles vergaß. Ich bemerkte selbst Meis verwunderten Blick nur am Rande, während ich meine Hüften schwang und schlussendlich die Augen schloss, um mich ganz der Musik hinzugeben. Das nächste Lied war nicht mehr ganz so schnell, eignete sich aber immernoch gut zum Tanzen. Ich passte meine Tanzbewegungen dem Rhythmus an und lächelte. Tanzen war die beste Therapie. Plötzlich jagte ein Stromschock durch meinen Körper, als sich zwei große Hände ziemlich weit untern auf meiner Hüfte platzierten und meine Bewegungen mitmachten. Vor Schock wusste ich nicht, was ich tun sollte, war mal wieder in einer Starre gefangen. Die Hände - es waren eindeutig Männerhände - zogen mich an eine warme Brust. Meine Atmung beschleunigte sich, genauso wie mein Herzschlag. Zu viel Nähe! Viel zu viel Nähe. Warmer Atem streifte mein Ohr, als der Unebkannte sich zu mir herunterbeugte und mir etwas zuflüsterte: „Hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen. Aber ... du siehst verdammt gut aus." Mir stockte der Atem, als ich die Stimme erkannte. Jannis!!! Endlich reagierte mein Körper wieder. Ich riss mich los, warf ihm einen verängstigten Blick über die Schulter zu und rannte dann aus dem Raum. „Hey! Warte doch!", hörte ich seine tiefe Stimme hinter mir. Hatte der sie noch alle? Als ob ich auf ihn warten würde! Panisch riss ich die nächste Tür auf, die ich fand. Sie führte in eine Abstellkammer. Ich überlegte mir, ob ich umkehren sollte, aber Jannis war mir vielleicht hinterher gerannt, sodass ich genau in seine Arme laufen würde. Also schloss ich die Tür und hoffte inständig, dass er mich hier nicht finden würde. Dafür, dass dieser Raum eine Abstellkammer war, war er recht geräumig. Sogar ein kleines Fenster gab es. Doch meine Aufmerksamkeit richtete sich von dem Fenster sofort auf die Türklinke, als diese hinuntergedrückt wurde. Ich riss meine Augen auf und hatte das Gefühl, mein Herz würde stehen bleiben. Nein, nein, nein! Das durfte nicht wahr sein. Die Tür wurde aufgemacht und Jannis stand vor mir. Er war so groß und breit, dass er den gesamten Türrahmen ausfüllte. Auf Wiedersehen Fluchtweg, hallo Bedrängnis. Ich machte automatisch einen Schritt zurück, als Jannis in den Raum trat und die Tür hinter sich schloss. Unsicher verschränkte ich die Arme vor der Brust und stellte mich in die hinterste Ecke des Raumes. „Was willst du?", fragte ich. Meine Stimme zitterte ein wenig, genauso wie mein ganzer Körper. Die Situation machte mir Angst. Ich hatte keine Möglichkeit zu flüchten, war also einem Jungen ausgeliefert, der ihm so verdammt ähnlich war. Zumindest oberflächlich. „Mit dir reden.", sagte er ernst. Ich zog verwundert eine Augenbraue hoch. „Über was? Deinen Ruf?", erwiderte ich und meine Stimme triefte nur so vor Spott. „Über dich." Er sagte es ganz ruhig. Seine Augen bohrten sich in meine. Eisblau. Es war ein unglaublich schönes Blau. Er ging auf mich zu und stützte seine Hände an der Wand hinter mir rechts und links von mir ab. Das hatten wir doch schon einmal. Nur hatte er mir damals nicht wirklich etwas tun können. Hier schon. Hören würde uns keiner und finden auch nicht. Sein Gesicht war meinem viel zu nahe, seine starken Arme berührten meine Schultern. Er war mir so nah, dass ich das Gefühl hatte, keine Luft zu bekommen. Ich verschränkte meine Arme noch fester vor der Brust, um das Zittern zu unterdrücken. „Was gibt es über mich zu reden? Du könntest mich einfach in Ruhe lassen und alles wäre gut. Ich würde mich von dir fernhalten und alle Probleme wären gelöst.", gab ich zurück. „Aber vielleicht will ich mich gar nicht von dir fernhalten.", sagte er leise. Seine tiefe Stimme jagte mir einen Schauder über den Rücken. Aber diesmal war ich mir nicht sicher, ob aus Angst oder aus einem anderen Grund. „Willst du nicht?", fragte ich dümmlich und total durcheinander. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. So sah er eigentlich ganz hübsch aus. Also ohne den verkniffenen Gesichtsausdruck. „Wie gesagt, hier geht es nicht um mich, sondern um dich.", fuhr er fort und auf einmal spürte ich seine rauen Finger auf meinem rechten Oberarm. Sofort brachen die Bilder auf mich herein. Wie er mich an die Wand gepresst, seine Finger in meine Oberarme gekrallt hatte. Ich schnappte nach Luft und schüttelte heftig den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Seine Stimme hallte in meinem Kopf wieder. Es klang, als würde sie von einer Wand zur nächsten geworfen, bis ich hunderte Echos gleichzeitig hörte. Ich presste mir meine Hände gegen den Kopf. „Bitte! Hör auf.", wimmerte ich und sank entkräftet zu Boden, schlang meine Arme um meine Knie und legte meinen Kopf darauf. Ich spürte, wie Jannis einen Schritt zurückmachte und sofort hatte ich das Gefühl, mehr Luft zu bekommen. „Genau das meine ich.", sagte er. Ich wusste, dass er mich musterte und zwang mich, den Kopf zu heben. „Was?" Er ging in die Knie, sodass wir ungefähr auf Augenhöhe waren. „Deine Reaktion auf meine Berührungen. Du drehst völlig durch. Das habe ich schon beim ersten Mal gemerkt und gerade hast du mir den endgültigen Beweis geliefert. Meinst du wirklich, ich bin so doof, dass mir das nicht auffällt?" Ich seufzte und erwiderte dann wahrheitsgemäß: „Das habe ich zumindest gehofft." „Mir ist es aber aufgefallen. Und ich finde es ziemlich besorgniserregend. Ich meine, ich weiß, dass ich angsteinflößend sein kann, aber dass es so heftig ist, war mir nicht klar. Ich sollte dich wohl besser in Ruhe lassen. Du scheinst ziemlich empfindlich zu sein, und ich will nachher nicht dafür verantwortlich sein, dass du dir etwas antust." Mit diesen Ließ er mich jetzt wirklich in Ruhe? Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Er würde mir nicht mehr drohen, mich nicht mehr bedrängen, nicht mehr berühren. Das klang wie der Himmel auf Erden. Aber eine kleine dumme Stimme in meinem Kopf schrie ihm hinterher, dass er zurückkommen sollte.

Help me, Badboy! - On hold!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt