Kapitel 2

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Auch die Enttäuschung kann dein größter Segen sein

Fuck.

Fuck fuck fuck fuck.

Annalena kriegt kein Auge zu. Und das vor so einen wichtigen Termin. Sie kann es nicht mehr ändern, auf den Schlaf im Flieger hätte sie wohl verzichten sollen. Jetzt ist ihr Rhythmus total durcheinander.

Wissend, dass sie dies wahrscheinlich bald bereuen und mit Müdigkeit bemerken wird, steht sie auf. Die kleine digitale Uhr im Zimmer zeigt 02:32. Nur in bequemer Kleidung und schlappen, nimmt sich sich ihre Karte und verlässt das Hotelzimmer.

Nicht einmal ihr Handy hatte sie dabei, sie wollte ja probieren, sich durch ihren nächtlichen Spaziergang eventuell etwas zu entspannen und den Schlaf zu vereinfachen.

Langsamen Schrittes geht sie in den leeren Innenhof des Geländes in den man um diese Uhrzeit nur den leichten Wind und den Springbrunnen hört.

In Großbritannien ist es diesen Winter besonders kalt, was eine Seltenheit ist. Es liegt sogar etwas Schnee, Annalena streicht die weißen Krümel beiseite und setzt sich daraufhin auf die Bank. Das Licht um den Springbrunnen ist das einzige, welches die Nacht erhellt.

"Kannst du auch nicht schlafen?" hört sie auf einmal eine Stimme hinter sich. Sie zuckt nicht zusammen oder erschreckt sich, denn sie würde diese Stimme unter tausenden wiedererkennen. Ja, sie hatte sogar etwas Hoffnung gehabt, sie noch einmal zuhören.

"Ja, kann ich nicht.", antwortet die Brünette und wendet ihren Blick nach hinten. Die Blondhaarige hat nun etwas formellere Kleidung an, als letzten Abend und Annalena fragt sich, warum sie ihr nur so verdammt bekannt vorkommt.

"Wie war dein Termin?", fragt sie und wischt den Schnee neben ihr herunter, als indirekte Aufforderung für sie, sich neben sie zu setzen. Die Frau kommt dieser nach und setzt sich, danach nimmt sie den Augenkontakt auf.

Da ist sowas, wie ein Stromschlag in der Luft. Hauchdünn und nicht erkennbar, aber beide spüren ihn. "Gut soweit.", antwortet sie knapp. Annalena will sich damit nicht zufrieden geben. Sie will ihre Stimme hören, viel länger, als nur 2 Worte. Sie war beinahe durstig danach. "Ich hab dich von meinen Zimmer aus gesehen und dachte mir, ich leiste dir etwas Gesellschaft.", schon besser.

"Woher kanntest du meinen Namen?", fragt sie weiter. "Du bist die neue deutsche Außenministerin, da bist du doch in aller Munde.", antwortet sie ganz gelassen. Daraufhin folgt ein leicht provokantes Grinsen, so als erfreue sie sich darüber, dass sie gerade offensichtlich die Zügel in der Hand hat. Ihr Blick flog einmal nach unten und dann direht wieder in das Gesicht der Deutschen.

Etwas zuckt in Annalenas Unterleib. "Aber ich dachte nicht, dass mich so schnell Menschen, die damit nichts am Hut haben, kennen.", antwortet sie nur, mehr zu sich selbst, als zu ihrer Gegenüber.

"Kennst du mich wirklich nicht?", fragt die Frau etwas leiser und rückt näher. Ihre Augen fokussiert auf Annalenas, beinahe etwas unsicher wirkend. Annalena zögert kurz, denn sie hatte immer noch das starke Gefühl, dass da mal etwas war. Doch sie antwortet schließlich mit "Nein, ich denke nicht."

Ihren Kopf zieht sie zurück. Und dann ist da wieder dieses Grinsen. Dieses Grinsen, welches Annalena ihr am liebsten sofort vom Gesicht geküsst hätte. "Wie lautet dein Name?"

"Warum willst du das wissen?"

"Damit ich weiß, welcher Name mir im Kopf schweben darf, wenn dein hübsches Gesicht mich um den Schlaf bringt."

Nicht nur dein Gesicht.

"Ach findest du?", nun wurde sie etwas verlegen, probiert allerdings, Haltung zu bewahren. Professioneller Abstand, trotz leichter Angetrunkenheit. Doch sie konnte es nicht leugnen, die Deutsche brachte sie gerade um den Verstand.

Annalena griff nach der Hand, sie war ganz kalt. Sie hielt sie in ihren beiden und wärmte sie. "Bitte sag mir deinen Namen." Annalena überkam es. Erneut zuckte es in ihrem Unterleib.

Fuck.

"Mélanie."

Mélanie. Fuck fuck fuck fuck.

Ich bin kurz davor meine Beherrschung zu verlieren, Mélanie.

"Mélanie Joly. Kanadas Außenministerin."

Annalenas Mundwinkel kippen nach unten. Fuck.

Sie zog ihre Hand zurück. "Oh.", ist alles, was sie heraus bringt. Mélanie bemerkt den Umschwung in Annalena nicht. Tatsächlich hatte sie nicht einmal diese Anziehung so stark wahrgenommen, wie Annalena. Für Mélanie wirkte alles wie eine etwas überdurchschnittliche Sympathie von Seiten Annalenas. Ob das an den Alkohol oder an ihrer von Natur aus Liebesblindheit lag, ist unklar.

"Es ist kalt.", flüstert Mélanie. Annalenas Wärme war nicht mehr vorhanden. Sie vermisst ihre Wärme.

"Seit wann?", fragt Annalena immer noch vollkommen perplex und ignoriert damit, was die eben noch fremde Frau gesagt hatte.

"September dieses Jahr." Mélanie wusste genau, worauf es bezogen war.

"Lass uns reingehen. Später steht dann wohl für uns beide viel an.", so sehr Annalenas Herz auch nach Antworten schrie, wusste Annalena, dass es absolut irrational war und sie lieber stoppt, bevor es schmerzhaft wird.

Aber, oh lord, es ist schmerzhaft.

Oder eher enttäuschend. Enttäuschend trifft es besser.

Insgeheim hatte Annalena gehofft eine gute Beziehung außerhalb der Politik aufbauen zu können. Vielleicht wirklich eine gute Freundin zu finden. Vielleicht auch eine Person mit der man einfach etwas rummachen konnte, wenn die Ehe wieder schwieriger werden sollte. Nur rummachen, nichts weiter.

Da es die Außenministerin von Kanada ist, fällt die Idee allerdings direkt ins Wasser. Eher in den tiefen Ozean. Ganz ganz tief auf den Boden. Damit im schlimmsten Fall ein internationales Drama zu starten, wäre das letzte, was Annalena wollte. 

Die körperliche Anziehung war vorhanden, das kann Annalena nicht weglächeln. Da hilft auch kein Lametta mehr. Aber zu mehr, als diesem einseitigen feststellen, darf und kann es einfach nicht kommen.

Die Stille im Fahrstuhl ist erdrückend. Sie dringt in Annalena ein, nimmt ihr die Luft und jede Sekunde, die vergeht, wünscht sie sich, dass die Anwesenheit der Kanadierin nach so einer kurzen Zeit nicht so eine erbärmlich große Auswirkung auf sie hätte.

Wenn du noch einmal deine Blicke so über mich schweifen lässt, kann ich nichts versprechen, Mélanie.

Es nützt alles nichts. Im Hotelzimmer angekommen, füllt sie sich ein Glas Wasser auf. 03:14 besagt die Uhr. Um 07:30 geht der Wecker. Diesen Morgen vergleichsweise sogar spät. Einen Moment betrachtet sie die weiße Pille in ihrer Hand. Bei den Stress und Schlafproblemen ihr Ausweg. Sie trinkt einen Schluck, schluckt sie und nimmt noch einen Schluck. Schnell wurde alles ruhiger, das Gefühl der Enttäuschung lässt nach, die Stressoren verwandeln sich in Luft und sie gleitet sanft in den Schlaf.

Mélanie, ich werde vielleicht einen Fehler begehen. Halt mich doch auf, wenn du das kannst.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 16, 2022 ⏰

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