Die Flucht

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Es begann bereits die zweite Woche dieses Schuljahres. Ich und meine beste Freundin Lia freuten uns bereits auf ein spannendes und lustiges Schuljahr. Die Schule wäre ohne Freunde so langweilig, aber mit Lia war es bis jetzt immer aufregend. Ich kenne sie bereits seit dem Kindergarten. Wir waren zusammen auf der Grundschule, Mittelschule und jetzt besuchen wir zusammen das Gymnasium. Lia ist das genaue Gegenteil von mir. Sie ist extrovertiert, kennt viele Leute und versteht sich mit jedem auf Anhieb gut. Ich dagegen bin schüchtern und zurückhaltend. Man sagt immer: „Introvertierte finden keine Freunde, sie werden von einem Extrovertierten entdeckt und adoptiert!" Das trifft bei uns definitiv zu. Aber Lia kümmert sich rührend um mich. Sie unterstützt mich, wo sie nur kann, und dafür liebe ich sie. Ich würde jetzt nicht sagen, dass mich in der Klasse keiner mag, ich bin sogar zur Schülervertreterin gewählt worden. Aber trotzdem rede ich meistens nur mit Lia und beteilige mich nicht so sehr am Klassengeschehen wie manch anderer. Lia ist wirklich mein Fels in der Brandung, mein Anker im Hafen, mein...mein...naja, ich glaube man weiß, was ich meine; keine Ahnung was ich ohne sie machen würde.

Montag hatten wir in der Ersten immer Mathe. Das heißt, es war eigentlich ein recht guter Start in die Woche. Ich mochte Mathe, besonders mit unserer Mathelehrerin Frau Greco. Sie erklärte alles so, dass jeder verstand, wovon sie redete. Sie war eine lustige Frau und es war in ihrem Unterricht nie langweilig. Die Themen konnten zwar manchmal wirklich ätzend sein, aber sie gestaltete alles so, dass man gern an ihrem Unterricht teilnahm; physisch, wie auch mental.

In der zweiten und dritten Stunde hatten wir eine Doppelstunde Deutsch bei Herrn Mayer. Ich hasste Deutsch, es war langweilig und ich konnte einfach nichts damit anfangen. Unser Thema: Gedichtanalyse. Alle schrieben seitenlange Interpretationen über ein Gedicht was vom Herbst und Winter handelte. „Mit gelben Birnen hänget, und voll mit wilden Rosen, das Land in den See." „Was ist das?", flüsterte ich. „Was ist was?", fragte Lia. „Dieses scheiß Gedicht!", wisperte ich etwas zu laut zurück. „Greta, was ist das Gedicht? Ich glaub ich hör nicht richtig! Das ist ein Meisterwerk! Aus diesen paar Zeilen kannst du so viel lernen! Es ist alles andere als scheiße. Wenn du so etwas noch einmal sagst, dann bekommst du einen Vermerk ins Klassenregister, hast du verstanden?", schimpfte Herr Mayer. „Ja, Herr Professor", antwortete ich kleinlaut. Lia grinste mich an. Ich hasste es, wenn Lehrer mir gegenüber laut wurden. Eigentlich machte ich nie etwas falsch, war immer die brave Musterschülerin mit guten Noten. Aber dieses Thema, ich hasste es.

Inmitten der Doppelstunde fragte ich, ob ich aufs Klo dürfte. „Nein, du wartest bis zum Ende der Doppelstunde!", antwortete Herr Mayer, der jetzt einen Groll auf mich hatte. Ich akzeptierte seine Antwort, wusste aber dass es knapp werden würde. Lia sagte immer, ich habe eine „Klein-Mädchen-Blase". Irgendwann war es fasst nicht mehr auszuhalten. Ich rieb ständig meine Oberschenkel aneinander, überkreuzte die Beine und wippte mit dem Stuhl hin und her. „Ach geh doch einfach", riet mir Lia. Ja, Lia wäre einfach gegangen, aber ich bin nicht so. Ich war heil froh als die erlösende Schulglocke ertönte und rannte schnurstracks Richtung Toilette. Gerade noch hatte ich es geschafft, aber es war knapp, mal wieder.

Der restliche Tag verging sehr schnell. Lia und ich wohnten in verschiedenen Ortschaften, deshalb trennte sich unser Weg bereits bei der Bushaltestelle. Ich musste noch 30 Minuten mit dem Bus fahren, bis ich zu Hause ankam.

Am Abend schaute ich mit meiner Familie die Nachrichten an. Die üblichen Meldungen kamen: Wolf, Ukrainekrieg, Meloni in der Regierung. Ich war am Handy und tat nur so, meinem Vater zuliebe, als würde ich zuhören. Zum Schluss wurde ein seltsames Wetterphänomen gemeldet: Große bläuliche Wolken, die wie eine Walze aus dem Süden Italiens nach Norden rollten. Komischerweise regnete es in keiner Region in Italien, sogar das Apenninengebirge passierten die Wolken. Wetterexperten vermuteten, dass die Wolken in Österreich und im Norden Italiens ausbrechen würden. Sie warnten vor extremen Stürmen, schon am nächsten Tag sollte es zu regnen beginnen, aber erst abends. Meine Mutter und mein Vater schauten sich besorgt, aber auf komische Art und Weise wissend an. Ich dachte mir jedoch nichts dabei.

Die AuslöschungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt