Prolog

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„Komm schon Harry wir wollen dir gute Nacht sagen!"

Harry hörte es kaum, nur sehr verschwommen, als wären seine Ohren in Watte gepackt. Ihm war ganz schwummrig & - oh mein Gott - musste er kotzen?! Nein, zum Glück nicht. Schluckend stütze sich der Lockenkopf auf der Küchenablage ab. Er musste sich jetzt zusammenreißen! Mit dem Handrücken wischte er sich übers Gesicht & merkte gleich wie Blutreste daran kleben blieben. Er konnte noch nie Blut sehen & das war ganz schön viel Blut! Anstatt jedoch einzuknicken, sich zu ekeln & fast zu kotzen rappelte er sich auf & atmete ganz tief durch. Harry war sich sicher, dass er es schaffen würde - ganz ganz sicher!
Auf wackligen Beinen ging er die ersten Schritte aus der alten schäbigen Küche mit welcher er nur bedingt gute Erinnerungen hatte - die schlechten überwiegen. Harry war froh wenn er diese Bruchbude nie wieder betreten musste.

Ehrlich gesagt hatte Harry ziemliche Angst als er durch den Flur der Wohnung ging. Er durfte eigentlich garnicht mehr zu seiner Schwester ins Zimmer gehen & das knarrende Holz unter seinen Füßen verriet ihn. Doch abgesehen von seinen leisen Schritten blieb es still in der Wohnung. Man hörte den Fernseher der Nachbarn von oben durch & auch das Pärchen nebenan schien ihren Spaß zu haben - so wie jeden Abend. Harry konnte sich das nicht einen Tag länger anhören.

Er machte Halt vor der letzten Tür des Flures. Gemma stand in Glitzer-Buchstaben auf der Tür. Harrys kleine Schwester war unglaublich stolz auf sich als sie damit aus dem Kindergarten kam. Der Lockenkopf seufzte - ob Gemma jemals wieder so glücklich sein würde?
Langsam drückte er die Türklinke hinunter & setzte dann sein bestes Lächeln auf.

Gemma lag eingepackt in ihrem Bettchen, rund um sie lagen ihre Kuscheltiere & in ihrer Hand hielt sie ihr lieblingsbuch.
„Endlich Harry!" kicherte die Kleine. Ihr schien schon die Augen zuzufallen - sie wollte aber einfach nicht schlafen ohne ihrem Bruder gute Nacht zu sagen. Harry lächelte liebevoll. Sie ist seine Prinzessin, sein ein & alles. & er würde alles für sie tun.

„Liest du mir vor?!" fragte das kleine Mädchen lächeln von ihrem Bett aus. Harry antwortete nicht sondern schloss die Tür leise hinter sich & ging dann auf Zehenspitzen zu Gemma - ihr kleines Lächeln fiel sofort. Sie war erst zwei aber sie wusste, das etwas nicht stimmte. „Hast du Aua?" ihre Hand zeigte auf Harrys Kopf. Er nickte leicht „Ist nicht so schlimm." flüsterte er. Sein Herz pochte ihm bis zum Hals. Sobald seine Eltern mitbekommen würden, dass er bei seiner Schwester war, war es das nicht nur mit seinem Plan sondern auch mit ihm. Seine Hände zitterten als er nach Gemmas griff.
„W-wir müssen weg von hier Gemma." hauchte er leise. Seine Schwester sah ihn fragend an „Schon spät..." murmelte sie verwirrt & sah aus dem Fenster. Es war schon dunkel - nur eine Straßenlaterne schien durchs Fenster & spendete dem Raum als einziges Licht.
Harry schluckte „Ja...es-es ist schon spät aber...Mama & Papa sind nicht so nett. Sie- deswegen mein Aua." Gemma sah ihren Bruder mit großen Augen an. „Tut weh?!" In Harrys Augen sammelten sich Tränen - er nickte „Papa hat das schonmal gemacht hm...&- ich will nicht, dass du auch Aua hast wegen ihnen." allein es auszusprechen brach Harrys Herz. Er würde niemals zulassen, dass Gemma auch noch einen Schlag abbekommt. „Müssen weg?" fragte das Kind leise. Harry nickte „Ja Gems wir müssen weg. Sonst bekommen wir beide noch mehr Aua."

Plötzlich ertönten leise Stimmen von dem Zimmer nebenan. Harrys Herz begann zu rasen & er rechnete jede Sekunde damit, dass seine Eltern reinplatzen & ihn von Gemma wegrissen. Aber es blieb still. Nur die Stimmen waren zu hören.
„Wir müssen uns beeilen & ganz leise sein." Gemma nickte brav. Sie nahm wortlos ihr Lieblingskuscheltier & ihr Buch in die Hand.
Harry hob sie aus ihrem Bett & stand dann mit ihr auf dem Arm auf „Egal was passiert, du bleibst bei mir okay...wir bleiben zusammen!"
Fest nickte Gemma & krallte sich fest an den Pulli ihres Bruders.

Mit einem letzten mutigen Atemzug öffnete Harry die Türe & sah in den dunklen leeren Flur. Seine Eltern sind wach - er musste noch mehr aufpassen als vorhin schon. Gemma drückte sich die Hand auf den Mund im extra leise zusein. Harry ging auf Zehenspitzen & mit klopfenden Herzen durch den Flur. Er machte keinen Blick mehr in sein Zimmer - damit verband er nur mehr negatives. Es würde jetzt alles besser werden da war er sich sicher!

Als er vor der Haustür ankam überrollte ihn ein Stück Erleichterung. Schnell zog er seiner Schwester die Schuhe an bevor er sich seine Vans auch anzog. Sobald beide ihre Jacken anhatten von Harry Gemma wieder auf seine Hüfte. Zittrig griff er nach dem Türgriff. Laut quietschend fiel die Tür auf - die hatte auch schonmal bessere Tage gesehen.
Das Gerede von dem Schlafzimmer seiner Eltern stoppte. Sein Herz raste.
Die Tür des Schlafzimmers flog auf „Harry?!" schrie eine tiefe angespannte Stimme. Der Lockenkopf zuckte heftig zusammen. Die Schritte seines Vaters kamen näher.

Panisch griff Harry nach der Tasche welche er schon vorher gepackt hatte & lief aus der Wohnung. Gemma wimmerte leise auf & krallte sich an Harry um ja nicht hinunter zufallen wenn er die Stiegen runter raste.
„Ich bring dich um!" rief sein Vater die Treppen hinunter - er folgte ihnen. Harry hatte Angst. Er lief so schnell er konnte aus dem Wohnhaus & als ihn die frische Luft umgab fühlte er sich schon ein Stück weit freier.

Harry wusste nicht ob ihr Vater noch hinter ihnen her ist, aber er rannte. Er rannte & rannte bis seine Beine im Endeffekt nachgaben. Gemma weinte viel - sie verstand nicht was los war.

Es ging den Geschwistern nicht gut, aber sie waren frei.

you know its not the same - LS Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt