„Lüg' mich nicht an, Julian."

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„Babe, ich will vergessen
Lass mich bitte sein
Sorry für den Hustle, ja
Ich geh' ab jetzt allein
Scheiß auf alle Zwänge
Jedes Endes ein Beginn"
- Jeremias


Oktober 2019, Leverkusen

Kalt. Enttäuscht. Wütend. Traurig.
So in etwa fühlt sich Julian nach dem heutigen Spiel.
Sie haben verloren. Leverkusen hat verloren. Und mal wieder ist er dran Schuld, davon geht er zumindest stark von aus.
Er hätte doch dieses beschissene Gegentor verhindern können.
Er hätte sich doch einmal einfach etwas mehr anstrengen können.
Vielleicht mal 101 Prozent geben können, damit solche Fehler nicht passieren.
Dann steht er auf dem Feld, versucht alles um sich rum zu vergessen, bekommt den Ball zugepasst und verfehlt auch noch das Tor.
Das hätte wenigstens das schlechte Spiel von ihm minimal verbessert.
Das hätte den Ausgleich bedeutet.
Hätte..

Wütend presst er seine Zähne zusammen, schaut angestrengt auf die Wasserflasche zwischen seinen Beinen.
Am liebsten würde er sie kaputt machen, an die nächstbeste Wand werfen.
Trotzdem weiß er - auch wenn er gerade viel zu viele negative Emotionen verspürt - dass das wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machen würde.

„Ach, Jule.." holt Mitch ihn aus seinen ausschweifenden Gedanken zurück, legt seine womöglich vom Schweiß feuchte Hand auf seinen Hinterkopf und schaut ihn eindringlich, schon fast aufmunternd an.
„Mach dir nichts draus, Bro. Nächstes Spiel wird besser." spricht er ihm motivierend zu.
Kurz kneift Julian seine Augen affektiert zusammen, auch wenn er weiß, dass es sein Mitspieler nur gut meint.
Mitch grinst ihn schief an.
„Sorry. Heute ist echt nicht mein Tag. Liegt nicht an dir." seufzt Julian entschuldigend, lässt seinen Kopf nach hinten an die harte Wand fallen.

Einige Minuten sitzt er so da. Macht keine Anstalten sich umzuziehen, mal zusammenzupacken.
Er denkt nach, weiß im Endeffekt gar nicht so recht worüber.
Größtenteils einfach darüber, wie er heute verkackt hat. Wie sehr es ihn ärgert, dass er sich nie so richtig beweisen kann.
Vielleicht ist das einfach ein Loch, in dem er sich gerade befindet. Nach jedem Tief kommt doch auch wieder ein Hoch, oder nicht?

„Jule.." nimmt er eine Stimme schwach neben sich wahr, ebenso eine kühle Hand, die sich auf seinen nackten Oberschenkel legt.
Rein aus Reflex zieht er seinen Oberschenkel zur Seite.
Vielleicht ist es wegen der Kälte, die ihn dort auf einmal berührt hat, vielleicht aber auch einfach, weil er unglaublich genervt ist und jegliche Interaktion mit egal welcher Person meiden will.
„Alles okay?" hört er wieder die gleiche sanfte bekannte Stimme neben sich, weiß natürlich dass es Kai ist.
Julian zuckt mit den Schultern.
Er hat doch selbst keine Ahnung.
„Du sitzt hier wie hingestellt und nicht abgeholt, Brandt." schmunzelt der Braunhaarige.
Normalerweise würde Julian jetzt irgendetwas mindestens genauso absurdes kontern.
Heute lässt er es aber, nicht mal dazu ist ihm zumute.

Kai seufzt auf.
„Willst du mit zu mir?" schlägt er flüsternd vor.
Julians Augen erheben sich zum ersten Mal endlich wieder von der Flasche, treffen exakt in die von seinem Gegenüber.
Und Gott, er würde lügen wenn er sagen würde, er hätte keine wunderschönen Augen.
Diese Mischung aus Blau, Grün und Grau hat ihn schon immer fasziniert.
Unfreiwillig schmiegt sich ein kaum erkennbares Grinsen auf Julians Gesicht.
Woher das überhaupt kommt, ist ihm selbst unklar.

„Wir können einen Film schauen, vielleicht bisschen quatschten oder so" erzählt der Lockenkopf von seinen Plänen, hält den Augenkontakt trotzdem noch intensiv.
Erst dann bemerkt Julian das womöglich viel zu breite Lächeln auf seinen Lippen, richtet seinen Blick schnell wieder auf die Wasserflasche in seinen Händen.
„Ich möchte dich in diesem Zustand ungerne nachhause lassen." gibt Kai leicht besorgt zu.
Verwirrt schnaubt Julian.
Sofort steigt die Wut in ihm auf.
„Glaubst du echt, dass ich so unberechenbar bin? Mir gehts doch gut." fährt Julian ihn schnippisch an.
Erneut seufzt Kai.
„Lüg mich nicht an, Julian." tadelt der Braunhaarige ihn ernst.
„Mach ich nichtmal."
„Hör auf damit, Brandt."
Stille.

„Ich will nur dich." // bravertz OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt