Kapitel 1

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Zehn Tage ist es nun her, seitdem ich Oscars Heiratsantrag abgelehnt habe. Es hat sein Herz gebrochen. Ich wusste, dass das schon immer Oscars Traum war. Kinder adoptieren, heiraten, großes Haus mit Garten und einem Hund. Gut, den Hund durfte ich behalten.

Oscar ist ein Romantiker, ich hätte es an dem Abend ahnen können, das Dinner, die Kerzen und alles drum und dran. Er war so nervös und hat die ganze Zeit gelächelt.

Ich werde es nie vergessen, wie er vor mir gekniet und mich so hoffnungsvoll angeschaut hat. Es war ihm unangenehm, da so viele Menschen dort waren. Mir war sein Heulanfall und das Geschrei, wie ich ihm sowas nur antun könne, viel unangenehmer.
Ich bin noch an diesem Abend in ein Hotel
gezogen.

Der Himmel weint und der Nebel erdrückt mich beinahe. Ich habe Oscar geliebt, ich liebe ihn immer noch. Sehr. Nur war er mir nicht genug. Er hat mir nicht gereicht. Ich werde wahrscheinlich nie heiraten.

„Benji komm jetzt", zische ich zu meinem Labradoodle, der jetzt schon den fünften Baum anpinkeln muss. Zum Glück hat Oscar mir meinem Hund gelassen, alles andere hat er behalten, meine Wohnung, meine Freunde und selbst ein Teil meiner Familie ist auf seiner Seite.

Ist es meine Schuld? Hätte ich ihn heiraten sollen? Wäre ich glücklich gewesen? Dieses
‚Nein. Niemals.', kam viel zu schnell aus meinem Mund. Ich hatte nicht einmal drüber nachgedacht.

Nur leider sind alle meine Sachen noch in der Wohnung, in der ich nicht mehr wohne. Trotzdem stehe ich vor dieser Wohnung. Nervös tripple ich mit meinem Fuß und spiele mit meinen Fingern und der Leine von Benji.

Endlich geht die Tür auf. „Sonja...", rutscht es mir erschrocken heraus. Vor mir steht niemand geringeres, als meine Schwester.
„Was tust du hier?", presse ich erschrocken heraus. „Hier deine restlichen Sachen, Arschloch. Lass dich hier nie wieder blicken." Sie stellt zwei große Kartons vor die Tür und knallt eben jene laut wieder zu.
Auch schön dich zu sehen...

Ich stehe noch einige Sekunden einfach da und starre auf die Kartons. All mein Hab und Gut, in zwei braunen Kartons. An dem Abend, nach dem Antrag, habe ich schnell so viel wie möglich in meinen Koffer gestopft, doch jetzt kommt es mir so wenig rüber. Benjis weinerliches Heulen holt mich zurück in die Gegenwart. Schnell lade ich beide Kartons in mein Auto, was ich zwei Straßen weiter geparkt habe.

Das fühlt sich alles so surreal an. Ich bin mit Oscar acht Jahre zusammen gewesen. Ich habe ihn in der fünften Klasse kennengelernt und seither waren wir beste Freunde.
Dass er mir nicht mal mehr in die Augen sehen kann, verletzt mich sehr.
Verzweifelt versuche ich das Schluchzen wieder runterzuschlucken und die Tränen von meinen Wangen zu wischen, aber diese werden nicht weniger.

Ein letztes Mal schaue ich das hellblaue Gebäude neben mir an und versuche durch das Küchenfenster etwas zu erkennen - doch ich sehe nichts. Langsam fahre ich los und halte das Lenkrad viel zu stark fest, sodass meine Adern zu sehen sind.

Nach gefühlten Stunden komme ich in dem einzigen Hotel, in dem Hunde erlaubt sind, an. Die Kartons lasse ich im Auto. Ich schaffe das nicht. Oscar war schon immer so. Nie ist es seine Schuld. Ich bin der Böse und jeder glaubt ihm das. Ich bin das herzlose Arschloch, was seinen Antrag abgelehnt hat und sein Herz gebrochen hat. Dass er wusste, das ich niemals „Ja" sagen würde und er all meine Freunde und meine Familie gegen mich gestellt und auch mein Herz gebrochen hat, interessiert ihn nicht. Niemanden interessiert es, wie sehr ich unter unserer Beziehung gelitten habe. Ich wusste schon immer wie es enden würde, würde ich mich von ihm trennen.

Ich kenne Oscar und ich weiß, wie er Geschichten erzählt. Ich muss meiner Schwester dringend erzählen wie es wirklich war. Wenigstens gibt es noch eine Person, die mir glaubt.

Midnight Rain | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt