Kapitel I

102 3 0
                                    

Ein Mann rennt durch eine Gasse, hinter ihm sind Schweizer Gardisten am Rennen. Der Mann schubst auf seinem Weg ein paar Menschen um und springt an einen Zaun, über den er schnell geklettert  ist und springt anschließend, über ein paar Kisten, an den Fensterrahmen eines Hauses, durch dessen Fenster er sogleich eindringt. Er hält seinen Finger vor die Lippen und bittet die Familie darum, Ruhe zu bewahren, doch das kleine Mädchen schreit los. Er muss sofort losrennen und springt durch das Fenster in einem akrobatischen Satz, landet auf der Markise eines gegenüberliegenden Daches. Nun rennt er weiter, während die Schweizer Gardisten das Haus durchsuchen. Der Mann heißt Louis Fournier und ist ein Taschendieb, er trägt ein Hemd, darüber eine Jacke und einige Lumpen außen herum. Seine Hose besteht nur aus einigen rissigen Strümpfen, die mit Lumpen zusammengenäht sind. Früher zog er als Akrobat durch das gesamte Land. Nachdem die Gauklergruppe sich in Paris zerstritt, musste er von nun an alleine dort überleben. Er hat sich auf einem Dach in der Nähe vom Cour des Miracles eine Art Schlafplatz errichtet und verdient sein täglich Brot damit, reiche Menschen auf der Straße zu bestehlen. Nachdem er mit seiner Beute erfolgreich geflohen ist, geht er die Straße entlang, bis zu einer Abzweigung, die in eine dunkle nach Fäkalien und Verwesung stinkende Gasse führt. Als er am Ende der Gasse angekommen ist, springt er auf und stemmt sich mit den Beinen und dem Rücken gegen die eng anliegenden Hauswände. So schiebt er sich die Gasse hoch, bis er auf der einen Seite ein Gitter erreicht, an dem er sich hochzieht und so auf ein Hausdach gelangt. Als er auf dem Hausdach angekommen ist sprintet er los, um auf das nächste zu springen. Er springt über die Gasse, die er gerade durchquert hat, hält sich an der Hauswand fest und zieht sich hoch. Dann rennt er weiter, läuft über einige Hausdächer und wagt noch so einige waghalsige Sprünge, bevor er schließlich die Gegend erreicht hat in der er wohnt: das Armenviertel. 

Es ist ihm klar, dass er spätestens hier praktisch auf dem Dach bleiben muss, um zu überleben. Viele Häuser hier wurden sogar schon von den Bettlern gestürmt, da sie ein Nachtlager brauchten. Hier tut jeder sein Bestes, um zu überleben, denn wenn man hier nicht sein Bestes gibt, dann stirbt man. Als er seinen Lagerplatz erreicht hat, ist er entsetzt, dass dieser scheinbar ausgeraubt wurde. Er muss sich einen neuen Lagerplatz suchen, ansonsten wird er erfrieren. Er darf aber auch nicht auf dem Platz übernachten, da dort die Wahrscheinlichkeit zu hoch ist ausgeraubt oder getötet zu werden. Er hat nur noch die Kleidung und die Lumpen, die er gerade an hat. Er ist lange auf der Suche und kommt schließlich auf die Idee an einem der Speckhaken an den Häusern eine Art Hängematte, aus seinen Lumpen, zu hängen und darin zu schlafen. Er schläft unruhig, denn all sein Geld war nun der Geldbeutel, den er geklaut hat. Er wacht auf und denkt nach, wie er schnell an viel Geld kommt. Er springt aus der Hängematte heraus und hangelt sich an herausragenden Balken entlang nach unten. Ihm fällt als erstes Gérard ein, da er schon alt ist und Erfahrung hat, daher rennt er gleich los und findet Gérard nach einem kurzen Weg. Gérard lebt unter einer kleinen Holzbrücke, nahe an der Seine und hat sich dort eine Art Bettlerlager eingerichtet. Er gibt einem gerne Radschläge, verlangt dafür aber auch eine kleine Summe oder Hilfe. Er trifft sofort den kleinen, versoffenen Mann, er liegt in einigen Decken eingehüllt und er hat eine dicke Mütze aus Fell auf. Sein Bart ist lang, grau, dreckig und voller Essensreste. Sein Gesicht wird von einer riesigen, rötlichen Nase durchschnitten und außer seiner Nase und seinen kleinen, verschlafenen Augen scheinen nur Haare zu sehen zu sein. ,,Oncle Gérard, ich brauche deinen Rat, denn mein Schlafplatz wurde ausgeraubt. Ich brauche nun schnell Geld und weiß nicht mehr weiter.", spricht er den alten, leidenden Mann an. ,,Das... wird dich auch w-was kosten, garçon! Hehe", stammelt der Alte. Sofort fragt Louis: ,,Was kann ich für dich tun?" - ,,Letztens haben mich zwei Halunken überfallen, ich glaube sie leben in der Nähe der Sainte-Chapelle. Der Eine trägt ein rotes Hemd und 'ne Wolljacke darüber, der andere scheint reicher zu sein und trägt ein Rüschenhemd. die beiden heißen François und Germont. Ich würde dir Rat geben, wenn du sie tötest. Vielleicht kann ich dir dann sogar einen Teil von ihrem Diebesgut als Lohn dazu geben.", antwortet der kleine Mann wild vor Wut. Louis ist zwar normalerweise strikt gegen Mord und Totschlag, doch er ist so verzweifelt, dass er das tun muss. ,,Welche Waffe werde ich brauchen?", fragt Louis. Der Bettler lacht und sagt: ,,Guter Junge, ich kann dir meinen alten Dolch geben und falls du Interesse daran hast, ist unter dem Diebesgut ein Fechtbuch und mein alter Armee-Rapier." und überreicht ihm danach einen Dolch. Nachdem er den Dolch erhalten hat, verdeckt er den Dolch unter seinen Lumpen und rennt los, um die Sache schnell hinter sich zu bringen. Er rennt etwas länger und erreicht schließlich das Parlement de Paris und läuft schnell zu der Sainte Chapelle. Er sieht sich um und sucht die Gegend nach einem Ort mit vielen ärmeren Menschen ab und wird fündig. Neben einem Fachwerkhaus ist ein Unterstand mit einigen Schlafplätzen aufgebaut worden. Dort steht eine große Gruppe von Männern. Er macht sich etwas unkenntlich, indem er sich die Lumpen über den Kopf wickelt, ähnlich einer Kapuze. Er geht zu den Männern dazu und fragt sie nach einem François oder einem Germont. Sie sagen, dass sie François gerade in die Kirche laufen sehen hatten. ,,Gut, also ist er unbewaffnet", denkt Louis. Er geht zu der Sainte-Chapelle hin und sieht sich nach einem Mann um, der auf Gérards Beschreibung zutrifft. Er hat ihn nach kurzer Zeit ausfindig gemacht und folgt ihm zu einen weniger belebten Ort. Er spricht ihn an, vorgebend er sei ein Bettler und fragt ihn, ob er bei ihm unterkommen kann. François bringt ihn mit einem verlegenen Lächeln, so als ob er etwas im Schilde führt, zu seinem Schlafplatz, wo auch einige Gegenstände von Gérard liegen. Louis wartet darauf, dass François sich umdreht und er es endlich beenden kann. Als François sich nicht umdreht wird er ungeduldig und zeigt mit verängstigtem Blick hinter François. Dieser dreht sich sofort um, woraufhin ihm sofort schon ein Dolch die Kehle zerteilt. Louis sieht nur noch, wie François Blut ausspuckt und ihm Blut aus der Kehle rinnt. Er fällt auf den Boden und bricht zusammen. Louis raubt sein Lager soweit aus wie es geht. Er hat das Gefühl, dass die Welt um ihn herum schneller wird und die Zeit sich beschleunigt. Er hat Angst und Wut zugleich. Alle Gefühle gleichzeitig. Er räumt das Lager so schnell, wie er nur kann und packt alles in einen improvisierten Beutel aus Tüchern. Er rennt los und bemerkt erst jetzt den kleinen verstörten Jungen der ihn beobachtet hat. Er schubst das Kind auf die schlammige, nasse Straße und hinterlässt nur eine Leich und eine Blutlache. Als er seine Beute verstaut hat, sucht er nach Germont. Nachdem er sich bei der Bevölkerung herumgehört hat, hatte er ein paar wenige Germonts erfragt hat, die in der Nähe der Sainte-Chapelle wohnen. Der einzige der in Frage kommt wohnt in einem Haus, nicht weit vom Parlement de Paris. Er läuft schnell zu dem Haus und klopft an. Dort macht eine Frau auf, die er bittet ihm den Aufenthaltsort von Germont zu offenbaren. ,,Er ist gerade in der Kneipe am Place d'Acadie, Sir. Warum...", sagt die Frau verwundert, sieht jedoch bloß, wie er ihr eine kleine Goldmünze zuwirft und sofort losrennt. Als er in die Kneipe geht und den betrunkenen, laut grölenden Mann vorfindet, sticht er ihm sofort den Dolch in den Rücken, nimmt den Rapier weg und rennt um sein Leben. Alle Männer in der Kneipe schreien laut los, und als er die Kneipe verlässt sind dort einige Schweizer Gardisten, die gerade auf Patrouille sind, und ihm augenblicklich hinterher rennen. Er rennt um sein Leben und spürt sein Herz in der Brust so fest schlagen, dass er sich fürchtet, dass es gleich explodiert. Seine Oberschenkel brennen und Schweiß tropft von seiner Stirn. Er hat die Patrouille fast abgehängt, da rennt er geradewegs in eine Patrouille herein und rennt dort alle um, diese halten ihn jedoch fest und als einer der Gardisten ausrastet spürt er einen stechenden Schmerz in seinem Rücken. Die Hellebarde ragte aus seinem Bauch heraus und das Blut floss auf die Straße. Er fühlte den Schmerz und fühlte, wie sein Leben zu ende ging. Seine Muskeln zuckten ein letztes Mal zusammen und er stürzte auf den Boden. Er starb in der Gosse, elendig, wie ein Hund hinterrücks erstochen.

Cour des Miracles: Der WunderhofWo Geschichten leben. Entdecke jetzt