Prolog

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Als der Mond aufging, saß er auf der steinernen Mauer vor seinem Haus. Ein Bein angewinkelt, das andere ließ er gleichmäßig vor und zurück schwingen. Es war eine stille Nacht. Eine einsame Nacht. Und einsam klang die Melodie seines Flötenspiels durch das kleine Fischerdorf.

Vereinzelt flackerte der Schein einer Kerze hinter halb verschlossenen Fensterläden. Die Hütten der Dorfbewohner ragten wie versteinert aus der Landschaft. Vom Wasser stieg ein feiner, weißer Nebel auf und hüllte den Strand in einen undurchsichtigen Schleier.

Er genoss diese Augenblicke, in denen man sich fühlte, als sei man der einzige Mensch auf der Welt. In denen die Realität in den Hintergrund rückte. Wenn am Morgen die Dämmerung hereinbrach und das Dorf wieder erwachte, erlosch der Zauber.

Er konnte nicht wissen, dass er den Sonnenaufgang  nicht mehr erleben würde.

Er konnte auch nicht wissen, dass mit dieser Nacht das Schicksal des gesamten Dorfes besiegelt worden war. Oder dass der rötliche Glanz des vollen Mondes das Letzte war, an das er in diesem Leben denken würde.

Das hölzerne Instrument verstummte, als er es von seinen Lippen absetzte. Den Blick fest auf den eindrucksvollen Himmelskörper gerichtet, verweilte er noch ein, zwei Momente reglos auf der Mauer. Dann erhob er sich langsam, klopfte den Schmutz von der Hose und kehrte in sein Heim zurück. Zum letzten Mal.

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