Kapitel 5 - Das Fischermädchen

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Damien

Die See war unruhig an diesem Morgen. Die Luft angenehm frisch und salzig. Damien überprüfte die Befestigung des Hauptnetzes der  „Marinette". Die Arbeit auf dem schwankenden Fischerboot war für ihn ein genauso vertrauter Vorgang wie der des Essens oder Schlafens.

Ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt, nachdem sie die ersten Klippen umschifft hatten. Damien hatte das feine Prickeln in seinem Nacken und den Wind in seinen Haaren freudig begrüßt. Nun trieben sie weiter ins offene Meer hinaus, zu tieferen Fischgründen.

Damien hob den Blick und betrachtete seinen Ziehvater eingängig.

Lucas Poisson war ein schlanker, aber kräftiger Mann mit hellblondem, strähnigem Haar. Von Kindesbeinen an hatte er Damien mit zum Fischfang genommen. Er war in seinem Handwerk erfahren, was ihm Ansehen unter seinesgleichen verlieh. Und so lehrte er auch Damien früh, welche Angelhaken man für welchen Fisch zu verwenden hatte, wie man den Wind mit Segeln fing und wie man die Gezeiten für sich arbeiten ließ.

In ganz besonders klaren Nächten hatte er Damien mitten in der Nacht geweckt und sie waren unter Obhut des silbernen Mondes in See gestochen. Dann hatten sie sich auf die hölzernen Blanken gelegt und Damien, kaum älter als sechs Jahre, hatte voller Faszination zu den Sternen hinaufgeblickt. Er sog die Erklärungen seines Ziehvaters auf, lauschte stundenlang den nautischen Geschichten von Ungeheuern, die am Meeresgrund lebten und wagemutigen Schatzsuchern, die zu fernen Ländern aufbrachen.

In jenen Nächten, in denen er nach den Sternen segeln lernte, fühlte er sich weniger allein. Der Gedanke, dass die Sterne seit Urzeiten an ihrer fixen Position am Firnament leuchteten, dass man, egal wo auf der Welt man sich auch befinden mochte, denselben Sternenhimmel betrachtete, hatte etwas Tröstliches an sich.

"Wenn du mal in echten Schwierigkeiten steckst und nicht mehr weiter weißt...", hatte Lucas gesagt und der leichte Wellengang hatte seine Worte untermalt, "Dann blick zu den Sternen empor, Damien, und sie werden dich nach Hause geleiten."

Abgesehen von seinen Fischerkenntnissen, hatte Lucas nie viel über sich oder seine Jugend preisgegeben. Er schien kein besonders großer Freund von väterlichen Ratschlägen oder Anekdoten zu sein. Und wenn Damien ihn doch einmal nach Rat in einer persönlicheren Angelegenheit fragte, so ließ sich Lucas Zeit mit seiner Antwort und antwortete stets wohlüberlegt.

Umso überraschter war der Fischerssohn an diesem Morgen, als Lucas von sich aus einen ernsteren Ton anschlug.

"Damien, es gibt etwas, worüber ich mit dir sprechen muss." Er zögerte kurz, dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort.

"Du bist schon lange kein Kind mehr, dem man bestimmte Dinge vorenthalten sollte. Maveá wünscht nicht, dass ich dir davon erzähle, aber ich finde, du solltest es wissen."

Damien unterbrach seine Aufgabe, die Netze einzuholen, und blickte seinen Ziehvater irritiert an. Eine dunkle Wolkenwand begann sich zu formen, sie kündigte das Herannahen eines Sturmes an.

"Es geht um den Tag deiner Ankunft in Fortmarée. Den Tag, an dem du zu uns kamst. Im Dorf erzählt man sich, dass du in der Brandung gefunden wurdest. Dass du ein Fremder bist. Wir haben dieses Gerücht in Umlauf gebracht, um dich und deine Mutter zu beschützen. Doch nun glaube ich, könnte dir das zum Verhängnis werden."

Lucas strich sich mit seinen langen Fingern die Haare aus der Stirn. An seiner rechten Hand fehlte seit jeher ein Fingerglied. Ein Detail, das Damien nie weiter gestört hatte. Auch wenn er zugegebenermaßen neugierig war, wie Lucas es verloren hatte. Aber in diesem Moment konzentrierte er sich mit einer Besessenheit darauf, um die Worte des Mannes weiter ertragen zu können.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 12 ⏰

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