Kapitel 1 oder Das Ende und der Anfang

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Wenn es eines ist was ich vom Leben gelernt habe, dann dass es aus vielen verschiedenen Ebenen besteht. So wie ein Bild oder eine Grafik. Schichten aus Farben, Formen und Licht die zusammen ein ganzes bilden. So ist es auch mit dem Leben.
Hier sind die Schichten Entscheidungen, Menschen und Gefühle, die zusammen ein Leben bilden. Ebenen die verschoben oder neu angeordnet werden, je nachdem wie das Leben verläuft. Doch auch wie bei einer Grafik ist es so das manchmal eine Ebene nicht zu dem Gesamtbild passt. Das kann verschiedene Gründe haben. Eine Farbe die nicht stimmig ist oder die Beleuchtung die nicht mehr dazu passt. Dann wird diese Ebene gelöscht. Eliminiert. Ausradiert. Wie eine Entscheidung, ein Gefühl oder manchmal sogar ein Mensch.
"Haben sie mir zugehört, Miss James? Ich kann ihr Fehlverhalten nicht mehr tolerieren. Entweder sie ändern ihr Benehmen oder ich muss sie rausschmeissen"
Die beharrlichen Worte meines Chefs holten mich aus meinen Gedanken. Sieben Jahre hatte ich in dieser Firma gearbeitet. Am Anfang war es mir wie ein Traum vorgekommen, doch zu letzt war es mehr Alptraum. Insbesondere seit dem neuen Personalleiter, Mister Sinclair, der seit nun einem Jahr die Personalabteilung leitet und keine Ahnung von Kreativer Arbeit hatte, was ich ihm auch schon unter die Nase gerieben hatte. 
"Ich passe also nicht mehr in das Gesamtbild ihres Unternehmens und muss eliminiert werden" hörte ich mich antworten. Meine Stimme war ruhig, sachlich, unaufgeregt. Wer ist diese Tessa, die hier so unbeeindruckt saß und zusah wie ihre Karriere dem Bach runter ging? fragte ich mich selbst. Wobei, wer sagte das sie den Bach runter ging? Wenn ich so darüber nachdachte, war es vielleicht einfach nur ein Zeichen. Ein Verweis darauf das sinkende Schiff zu verlassen.
Während ich meinen Gedanken nachhing schien mein Chef hingegen Probleme zu haben meine bildhafte Sprache zu verstehen.
"Gesamtbild meines Unternehmens? Eliminiert? Wovon reden sie?" Die Fragezeichen standen ihm sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben. Mister Sinclair entsprach in vielem einer dieser Figuren aus den alten Comic Heften. In diesem Moment ähnelte er sehr dem verärgertem Donald Duck wie er mit wutverzerrtem Gesicht um sich brüllt. "Ich sagte sie müssen ihr benehmen ändern! Und zwar schleunigst! Haben sie mich verstanden?" dröhnte seine Stimme von den Wänden seines Büros, sein Gesicht rot vor Zorn.
Paralysiert sah ich zu wie Mister Sinclair kreischte und zeterte, doch ich hörte nichts. Diese ganze Szene kam mir unwirklich, nahezu suspekt vor. In meinen Ohren rauschte mein Blut, angestrengt versuchte ich einen vernünftigen Gedanken zu bilden. War es das noch was ich wollte? Wollte ich für den Rest meines Lebens am Schreibtisch hocken und Bild ebenen übereinander legen? Hatte ich mir nicht etwas anderes von meinem Leben erträumt?
In diesem Moment kam mir meine Großmutter in den Sinn, lachend und scherzend in ihrer Küche in ihrem alten Restaurant in mitten von London. Ein warmes Gefühl durchströmte mich. Es war als würde ich ihre Zustimmung bekommen. Da wusste ich was ich wirklich wollte.
"Nein, muss ich nicht" antwortete ich kühl. "Ich Kündige"

"Und mehr hast du nicht gesagt? Nur das du Kündigst? Wie hat er darauf reagiert? Erzähl mir mehr" drängte mich meine beste Freundin Kate.
Gleich als ich das Büro verließ hatte ich sie angerufen um ihr die Neuigkeiten zu überbringen. Kate arbeitete als Journalistin bei einer bekannten Modezeitschrift und kannte jeden Klatsch und Tratsch auf dieser Welt. Zurzeit war sie einer Story auf den Fersen die Millionen von Leserinnen begeistern würde: Dem frisch geschiedenen Erben eines Milliarden Imperiums den noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte. Ganz London wollte wissen wie dieser Junggeselle mit Immobilien Fonds in Milliardenhöhe den nun aussah? War er ein  heißes Schnittchen, würde die halbe Londoner High Society Schlange stehen um ihn zu bekommen. Aber vielleicht war er ein Griff ins Klo wie meine vielversprechende Karriere, wer weiß das schon. Es war zurzeit Thema Nummer eins der Klatsch Blätter und Kate wollte ihn sich schnappen. Natürlich nur für ein Interview, versteht sich. Trotzdem schien meine spontane Entscheidung zu kündigen sie gerade mehr zu interessieren.
"Er fragte ob ich mir sicher bin? Ob ich meine Karriere wirklich so schnell in die Tonne hauen wollen würde, alles auf das ich jetzt sieben Jahre meines Lebens hingearbeitet habe" antwortete ich während ich die Straße überquerte.
"Das sind legitime Fragen. Bist du dir sicher das du einfach so das Handtuch werfen willst? Immerhin hast du sieben Jahre eine beachtliche Karriere aufgebaut... So viele Kunden die auf dich zählen... Hast du dir das wirklich gut überlegt?" fragte Kate vorsichtig aber mit Nachdruck.
Ich lachte und Passanten drehten sich verwundert zu mir um. "Ja, habe ich und nein ich bereue es nicht. Meine Entscheidung ist gefallen" sagte ich und senkte meine Stimme.
"Oh Gott sei dank. Endlich hast du diesen Grauenhaften Job gekündigt. Ich dachte du würdest es nie verstehen. Schatz, ich bin so stolz auf dich. Ich stelle sofort den Sekt kalt. Das müssen wir feiern, heute Abend bei mir" plapperte sie daraufhin haltlos los.
"Grauenhafter Job?" unterbrach ich ihr haltloses Geplapper. Eigentlich hatte ich immer gedacht das ich einen zumindest respektablen Beruf hatte. Ich war mein Leben lang gerne Kreativ und so konnte ich meine kreative Seite zumindest teilweise ausleben.
"Schatz, du hast etwas besseres verdient. Du bist so talentiert. In diesem Job... du hast es vergeudet" erklärte sie, nach Worten suchend. "Dein Talent. Verstehst du?"
Verwundert blieb ich stehen. "Ich bin talentiert? In was? Vorlaute Sprüche klopfen?" Ich lachte leise über meinen Scherz, während ich an der nächsten roten Ampel stehen blieb. Heute war wie jeden Freitag ein Verkehrschaos in London. Alle wollten sie nachhause, genau wie ich. Mein Magen zog sich zusammen. Was würde Henry, mein Freund von meiner Entscheidung hallten? Ich schüttelte den Gedanken ab. Er würde es sicher genau so verstehen wie Kate.
"Tessa du bist so zynisch. Du bist die beste Köchin und Bäckerin die ich kenne. Was du zauberst ist Kunst" erklang ihre Stimme wieder an meinem Ohr. Ihrem Ton nach meinte sie es wirklich ernst, und zwar jedes Wort.
"Hast du je in einem wirklich teuren Restaurant gegessen?" fragte ich ungläubig. "Den dann würdest du wissen das mein Essen vielleicht gut, aber mit Sicherheit nicht Kunst ist"
"Musst du immer alles hinterfragen?" stöhnte Kate theatralisch, dann seufzte sie und fuhr fort. "Dann sehen wir uns heute Abend?"
Nun seufzte ich. Um dieses Treffen werde ich nicht drumherum kommen so wie ich Kate kannte. "Um acht bin ich bei dir"
Mit diesen Worten schloss ich den Anruf und steckte mein Smartphone in meine Tasche, als die Ampel auch schon auf Grün sprang. Beschwingt überquerte ich die Straße und nahm das Grün der Ampel als Zeichen das ich die Richtige Entscheidung getroffen hatte.
Ich ließ mich von der geschäftigen Menge die Straße entlang treiben und genoss den Wind in meinen wilden braunen Locken. Seit Jahren hatte ich mich nicht mehr so frei gefühlt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 14, 2023 ⏰

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