Kapitel 4

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Ein lautes, helles Klirren umhüllte die dumpfe Dunkelheit um mich herum. Ich spürte fast, wie jede einzelne Scherbe sich von dem einstigen vollen Glasgefäß riss und wahllos zu Boden fiel. Das faszinierender Glitzern, das normalerweise einem solchen Fall folgte, blieb in der endlosen Schwärze meines Blickfelds aus.

Ein stechender Schmerz durchkroch meine abgestumpften Gedanken. Ich fühlte nichts bis auf einen quälenden weißen Blitz aus Schmerz, die mich gänzlich durchfuhren.

Ein weiteres helles Geräusch hallte plötzlich in meinem Bewusstsein wider. Es schien wie ein Lärm, der so duschdringlich war wie ein glühendes Messer in der Schläfe.

Ein Paar rauer Hände packte meine Arme und ein anderes umschloss schroff meine Beine. Im nächsten, hilflosen Moment fühlte ich, wie ich vom Boden gehoben wurde und hinaus - in die angenehme Kühle einer frühen Sommernacht.

Der Geruch von Bier und Fish'n'Chips verblasste allmählich immer mehr. Ich konnte mich nur schwer daran erinnern, dass ich vom Stuhl gefallen war - oder zumindest danach gestürzt.

Ich ließ mich wenige Meter tragen - in der naiven Hoffnung, dass Sanitäter mich wegbrachten - aber dann hörte ich die Worte: »Schnell... bevor die verdammte Rettung hier ist«.

Ein Stechen erfüllte mein Herz und ein Unbehagen umfing mein Bewusstsein. Ich lag auch auf keiner Trage.

Ich versuchte zu schreien, aber es folgte nur Stummheit auf diesen Gedanken.

Ein wildes, ungebändigtes Zucken durchfuhr meine Adern.

Ich versuchte mein Keuchen zu unterdrücken, aber die Schwere in meiner Brust ließ nicht nach. So schnappte ich weiter in hilflosen, gierigen Zügen nach rauchgefüllter, warmer Sommerluft aus einer Seitengasse.

Ein weiterer Schmerz hallte in mein Bewusstsein wider.

Dieses Mal nur in meinem tauben Kopf.

»Scheiße... passt gefälligst auf«, raunte eine ferne Stimme. So weit weg von mir, dass ich nicht mal die darauffolgenden Worte richtig verstehen konnte.

Eine unnatürliche Schwere legte sich auf meinen Geist und ich fühlte wie die Minuten - wenn nicht sogar Stunden - dahinschwanden. Alles wirkte unverändert, immer eingefroren, in derselben Sekunde... zuletzt sogar endlos.

Ich vernahm ein weiteres ungebändigtes Zucken durch meinen Leib fahren und spürte, wie meine Lider etwas kühles, blaues Licht durchließen. Im nächsten Moment erkannte ich schwache Umrisse von einem unbekannten Mann vor mir.

Sein wirr gelocktes Haar wich scharf von den geraden und kurvigen Linien der Umgebung ab. Hier und da leuchten Straßenlaternen und Neonschilder hinter seiner dunklen, grauen Kontur auf.

Einmal glaubte ich sogar kurz das Wort »Soho« in großen, langen Buchstaben gelesen zu haben. Begleitet von einem Logo eines Drachens mit goldenen Flügeln.

Soho. Ein Stadtteil Londons, ein wahlloser Name für eine Bar... eine Einbildung? Ich könnte nicht weiter als eine halbe Gehstunde von Westminster entfernt sein, wenn es wirklich die Gegend war, in der ich noch gestern geschlendert war.

Ich seufzte leise auf. Im selben Moment nahm ich meine trockene Zunge wahr und den Durst... den unendlichen Durst. Ich schloss die Augen wieder. Ein Glas Wasser wäre alles, was diese Benommenheit in mir trüben würde.

Eine Hand griff ungeschickt nach meinem Hals. Der Unbekannte fühlte meinen hämmernden Puls.

Mein Herz begann noch mehr zu rasen und nur wenig später hörte ich es in der Brust heftig - ja fast unnatürlich - pochen. Es schlug ungebändigt gegen meine Rippen, als wollte es diesen entfliehen. Danach folgte das Geräusch von heulendem Motor und das Gefühl eines rasenden Wagens einer Kurve nähernd.

Meine Augenlider öffneten sich erneut: Dieses Mal war das Licht nicht nur blau, sondern auch gemischt mit pulsierenden Rot. Die Stille um mich war nun klarer und lauter: »Fuck...« »Ruf ihn an« »Das war nie ausgemacht...!«

Jemand pochte gegen etwas Hartem und wiederholte lautstark »Nur die Mailbox... nur die fucking Mailbox!«

Dann drang eine weitere Sirene durch die Stille, die nur ein paar Sekunden zu schallen schien, ehe sie verstummte.

Doch sie kehrte wieder. In regelmäßigen Intervallen, gefolgt von ungebändigten Wortfetzen nur wenige Zentimeter vor mir. Das Heulen hinter uns schien plötzlich immer weiter zu verblassen.

Erst dann, als ein stechender Schmerz durch meinen linken Oberschenkel fuhr, fühlte ich wie eine tiefe Schwärze um mich griff und immer weiter hinein in die wohltuende Endlosigkeit führte. Ein erneutes, schweres Seufzen entkam meinen trockenen Lippen.

Dieses Mal kämpfte ich nicht gegen die träge Müdigkeit an, sondern ließ mich in sie fallen. Wie ein Wald aus dunklen Sturmwolken fing sie mich schwerelos auf und bettete mich in eine unruhige Stille. Das Auge des Sturms - wie sich später herausstellen würde.

Der BankerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt