Kapitel 1: Ein alter Bekannter

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Niemals hätte ich erwartet, dass es dazu kommen würde. Was will er hier? Ich habe ihn kaum wiedererkennen können, doch als er vor mir steht, weiß ich genau, dass er es ist. Er hat sich verändert. Ein Mann, den ich früher als potthässlich bezeichnet habe löst nun eine Gänsehaut bei mir aus. Ich beiße mir unauffällig auf die Unterlippe, während der Dunkelhaarige immer näher auf mich zu kommt. Ich habe schon lange keinen so attraktiven Mann gesehen. Seine dunklen, fast schon schwarzen, kurzen Haare und seine himmelblauen, großen Augen bezaubern mich. Noch dazu hat er eine so makellose, helle Haut, wie ich sie auch gerne hätte.

Seit meiner Jugend habe ich immer mal wieder Probleme mit Hautunreinheiten gehabt, welche ich mittlerweile größtenteils unter Kontrolle bringen kann. Ich bewundere ihn, und gleichzeitig bin ich neidisch.

„Sieh an, sieh an. Ester Patrizia Kowalski, dass ich dich hier sehe, hätte ich nicht erwartet. Obwohl, irgendwie war es mir schon klar, dass du mit deinen Kompetenzen keinen guten Job bekommen würdest", flötet er mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen.

Ich vermeide es, ihm in die Augen zu sehen. Er hat Unrecht. Es gibt wesentlich schlimmere Jobs als meinen. Viele Leute würden sich wünschen eine gut bezahlte Empfangskraft in einem Krankenhaus zu sein.

Natürlich habe ich für mein Leben andere Pläne gehabt, als vor einem kleinen Schreibtisch im Empfangsbereich zu sitzen, aber ich habe es nun mal einfach nicht geschafft.

„Was willst du hier?", frage ich ihn und versuche, so gut wie möglich zu verstecken, dass mich seine Worte getroffen haben.

„Davon hast du noch nichts gehört? Dr. Oskar Kluge, also meine Wenigkeit, der es im Gegensatz zu dir, zu etwas gebracht hat, wird ab heute auch hier arbeiten. Aber nicht als elende Empfangsdame, sondern als angesehener Arzt."

Er hat es also wirklich geschafft. Er lebt meinen Traum. Dabei habe ich Oskar nie so eingeschätzt, dass er Arzt werden würde. Zuvor hätte ich gesagt, dass es besser zu ihm passen würde, Geschäftsmann oder Ingenieur zu werden. Doch jetzt, wo er mit seinem weißen Arztkittel vor mir steht, muss ich zugeben, dass er ziemlich gut darin aussieht.

Ich schlucke den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, hinunter und räuspere mich. „Na dann, herzlichen Glückwunsch, Dr. Kluge", sage ich und schenke ihm ein falsches Lächeln. Dann blicke ich wieder auf den Bildschirm des PCs, der vor mir steht.

„Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?", will er wissen. „Nein, eines sollte ich dir vielleicht noch sagen. Der Personal-Eingang ist auf der anderen Seite des Gebäudes. Du musst nicht denselben Eingang wie die Patienten benutzen. Außer du willst das unbedingt", erzähle ich ihm und er sieht mich verdutzt an, bevor er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in Richtung des Aufzuges geht. Ich schüttele den Kopf.

Im Gegensatz zu seinem Aussehen hat sich seine Art kein bisschen verändert. Sie war immer noch genauso hässlich wie damals. Dennoch kann ich nicht aufhören, über ihn nachzudenken. Wie er es wohl geschafft hat, sein Medizinstudium zu absolvieren? Wie sein Leben wohl so aussieht? Ob er schon verheiratet ist? Ob er bereits Kinder hat?

Selbst, wenn wir damals nicht im Guten auseinander gegangen waren, schwirren mir viele Fragen, welche sich um ihn drehen durch den Kopf. Immerhin haben wir uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Während ich in meinen Gedanken versunken bin, überhöre ich beinahe das schrille Klingeln des Telefons. Ich seufze und hebe ab. Lange würde ich meine Arbeit als Empfangskraft nicht mehr durchhalten. Natürlich war es eine gute Arbeit und ich verdiene auch gut Geld, aber es ist einfach nicht das, was ich mein ganzes Leben lang machen will.

Besonders schmerzhaft ist es außerdem, wenn mir immer wieder Leute über den Weg laufen, welche es im Gegensatz zu mir, geschafft haben, Ärztin zu werden.

Der DoktorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt