Trigger-Warning: Depressives Verhalten
Andi PoV:
Es regnete. Schon seit Stunden und es passte hervorragend zu seiner Stimmung. Trübsinnig hockte er auf seiner Fensterbank und schaute dem Regen zu und das schon seit Stunden. Der Himmel war grau, genauso, wie die Kleidung, die er trug. Etwas farbiges hatte er heute Morgen nicht sehen können, es hatte ihm Schmerzen bereitet. Und jetzt saß er hier seit in der früh um sechs und starrte nach draußen. Es hatte seitdem noch kein einziges Mal aufgehört zu regnen.
Irgendwann hatte er begonnen sich zu fragen, warum er sich so fühlte. Gestern Abend hatte er noch fröhlich mit Stephan telefoniert und heute Morgen, als er aufgewacht war, hatte er sich einfach nur noch klein, unbedeutend und einsam gefühlt. Er vermisste Stephan, aber er hatte ihn auch gestern schon vermisst und vorgestern und vorvorgestern. Das war nicht neu, aber heute ging es ihm schlecht und die Tage davor nicht. Es verwirrte ihn.
Es verwirrte ihn zutiefst, denn eigentlich war er immer gut gelaunt und wenn ihn mal etwas belastete, dann redete er mit jemandem. Danach ging es ihm meistens wieder besser. Aber heute...er konnte sich nicht mal dazu aufraffen sein Handy vom Couchtisch zu holen, der nur drei Meter entfernt stand.
Er sah die kleine Lampe im oberen Eck seines Handys blinken. Jemand hatte angerufen. Vermutlich Stephan, er wollte sich nochmal melden. Wegen was? Er hatte es vergessen. Er vergrub sich wieder in seinen Gedanken. Er wollte nicht an Stephan denken. Nicht an seine Gefühle. Er drehte den Kopf wieder Richtung Fenster. Es regnete immer noch.
Ein kleines Kind hüpfte mit seinem ebenfalls sehr kleinen Regenschirm über den Gehweg. Wann war eigentlich alles so kompliziert geworden? Warum konnte er nicht so unbeschwert im Regen von Pfütze zu Pfütze hüpfen? Warum musste er hier oben sitzen und in seinen Gedanken ertrinken? Er brauchte jemand, der ihn da rauszog, aber es war niemand da. Seine Wohnung war leer, dunkel, verlassen. Eine Träne löste sich aus seinem Auge.
Irgendwann, er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, begann der Himmel wieder heller zu werden und der Regen hatte zum ersten Mal zumindest leicht nachgelassen. Er hörte eine Autotür zuschlagen. Kurz darauf klingelte es bei ihm. Er wollte nicht aufstehen, er wollte nicht die Türe öffnen und auf gar keinen Fall wollte er jetzt jemanden sehen. Also blieb er einfach sitzen.
Es klingelte wieder, aber er nahm es schon nicht mehr wahr. Der Regen hatte wieder zugenommen. Er überhörte auch, dass es noch ein drittes und ein viertes Mal klingelte. Weder hörte er, dass eine Person durch das Treppenhaus lief, noch, dass jemand seine Wohnung aufsperrte. Das kleine Kind von vorhin war zurück. Sein Regenschirm war bunt. Zu bunt für ihn. Er hörte eine Stimme flüstern.
Plötzlich lag eine Hand auf seiner Schulter. Er erschreckte sich nicht mal. Er drehte langsam seinen Kopf, sodass er sehen konnte, zu wem die Hand gehörte. Stephan. Verwirrt schaute er ihn an. Was machte er hier. Stephan war doch zu Hause, ganz weit weg von ihm. „Was...?", krächzte er. Er registrierte das besorgte Gedicht seines Gegenübers.
Sekunden später befand er sich in einer festen Umarmung. „Ich hab mir Sorgen um dich gemacht..." Er spürte, wie sich Stephans Lippen gegen seinen Hals bewegten. Das erdrückende Gefühl wurde etwas leichter in ihm. Er begann die Umarmung zu erwidern. Das erdrückende Gefühl wurde nochmal etwas weniger und die ersten Tränen begannen sich von seinen Augen zu lösen.
Er machte dem Regen draußen Konkurrenz. Es war als wäre er eine Wolke, die sich abregnete. Seine Tränen liefen unaufhaltsam und schluchzend vergrub er sein Gesicht in Stephans Halsbeuge. Es verwirrte ihn. Er wusste nicht warum er weinte, aber mit jeder Träne, die seine Augen verließ begann das erdrückende Gefühl weniger zu werden.
Er spürte, wie Stephans Hand beruhigend über seinen Rücken fuhr, wie seine andere Hand mit seinem Haaransatz spielte. Es erdete ihn. Aber er spürte auch, wie die Besorgnis des anderen mit jeder Träne weiter wuchs. Er bemühte sich sich zu beruhigen. Es funktionierte nicht. Aber er konnte sie in eine bequemere Position bringen.
Vorsichtig rutschte er zum ersten Mal seit heute früh vom Fensterbrett ohne die Umarmung dabei zu lösen. Sie war sein Anker und er hatte Angst wieder in seinen Gedanken und Gefühlen verloren zu gehen, wenn er Stephan losließ. Langsam bewegten sie sich Richtung Sofa.
Es war bequemer als das Fensterbrett. Nicht so kalt und viel weicher. So wie Stephan, schoss ihm durch den Kopf. Stephan war die sanfteste und liebste Person, die es gab. Er drückte sich näher an ihn und saugte die Wärme und Geborgenheit auf, die ihm den ganzen Tag schon fehlte. Seine Tränen liefen immer noch, so kontinuierlich wie der Regen.
Die Wärme ließ seine Tränen versiegen. Seine zwischenzeitlich leicht hysterischen Schluchzer ließen nach. „Es tut mir leid", flüsterte er mit rauer Stimme. Stephan strich immer noch beruhigend über seinen Rücken. „Es muss dir nicht leid tun." Er schnaubte leise. Stephan wusste ganz genau, dass wenn ihm etwas leid tat, man es ihm nicht ausreden konnte. Sein Gegenüber war in der Hinsicht genau gleich.
„Es tut mir aber leid. Dein Pulli ist nass, ich hab deine Zeit verschwendet..." Er spürte, wie sich das erdrückende Gefühl wieder mehr bemerkbar machte, also versuchte er sich abzulenken. „Warum bist du eigentlich hier? Wolltest du nicht deine Eltern besuchen?" Er hatte Angst, dass es wie ein Vorwurf klang, aber seine Stimme hörte sich vom vielen weinen einfach nur erbärmlich an.
Er verstand sich selbst nicht mehr, aber an diesem Punkt war er heute mehrfach gewesen. „Ich hab mir Sorgen gemacht. Gestern warst du schon ein bisschen anders als sonst. Fröhlich, aber verschlossener. Da hab ich begonnen mir Gedanken zu machen. Deshalb wollte ich heute auch nochmal anrufen, aber du bist nicht drangegangen. Also hab ich Sevi angerufen, der ist aber grad nicht in München, und sonst auch irgendwie niemand, den ich kenne, den ich dir vorbeischicken könnte. Also hab ich den Ersatzschlüssel von dir genommen und bin nach München gefahren."
Tränen, aber dieses Mal vor Rührung bildeten sich in seinen Augen und er löste er sich etwas, um Stephan anzusehen. Er sah ihn sanft lächeln. „Du bist extra den ganzen Weg hierher gefahren, nur weil du dachtest es könnte mir schlecht gehen?", fragte er ungläubig. „Ja, und ich würde es wieder für dich machen, auch wenn ich doppelt so weit fahren müsste." Stephan schaute ihm fest in die Augen und drückte ihm dann einen kleine Kuss auf die Stirn.
Es kribbelte. Seine Stirn kribbelte, weil Stephan sie berührt hatte, mit seinen Lippen. Er brauchte etwas um das zu verarbeiten. Dann lehnte er sich wieder in die Umarmung. „Danke" Er hoffte, dass Stephan erkannte, wie viel er mit diesem einfachen Wort meinte, denn er war alles für ihn.
„Willst du...was essen?" Er wusste, dass Stephan zuerst fragen wollte, ob er darüber reden wollte. Aber was sollte er sagen. Er hatte ja auch keine Ahnung. Er war also ziemlich froh, dass sein Gegenüber erkannt hatte, dass er nicht wollte. „Ein bisschen was. Ich glaub ich hab noch Lasagne im Kühlschrank."
Das Essen verlief schweigsam. Stephan beobachtete ihn besorgt, wie er in seiner Lasagne herumstocherte. Aber ehrlich, dachte er, können wir doch schon froh sein, dass ich überhaupt in der Lasagne herumstochere und nicht bewegungslos davor sitze. Er blickte aus dem Fenster. Der Regen hatte nachgelassen und die Sonne blitzte hin und wieder zwischen den Wolken hervor.
Am späten Abend lagen beide nebeneinander in seinem Bett. Vorsichtig rutschte er näher zu Stephan, bis er sich an ihn kuscheln konnte. Er spürte, wie er näher gezogen wurde. Das Gewicht des Tages fiel von ihm ab und er spürte eine bleierne Müdigkeit in sich. Minuten später war er eingeschlafen. Stephan warf einen Blick nach draußen. Er konnte nicht viel erkennen, da er lag, aber war sich sicher, dass es aufgehört hatte zu regnen. „Jetzt sind nur noch die Pfützen übrig", murmelte er nachdenklich, „Wäre ich noch ein Kind, würde ich mir jetzt meine Gummistiefel anziehen, meinen Regenschirm schnappen und durch Pfützen hüpfen."
~~~
Ich hoffe es hat euch gefallen 😊
Frohe Ostern 🐣
DU LIEST GERADE
Regen
FanfictionEin kleines Kind hüpfte mit seinem ebenfalls sehr kleinen Regenschirm über den Gehweg. Wann war eigentlich alles so kompliziert geworden? Warum konnte er nicht so unbeschwert im Regen von Pfütze zu Pfütze hüpfen? Warum musste er hier oben sitzen und...