Prolog

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Lisa

Helles Sonnenlicht flutet meine Augen. Wo zur Hölle bin ich? Vorsichtig, um das stete Pochen in meinem Kopf nicht zu verstärken, drehe ich mich auf die Seite und bin fast versucht, an die Decke zu springen. Wären da nicht diese unglaublichen Kopf- und Gliederschmerzen, hätte ich es sogar getan. Neben mir liegt Tom, laut schnarchend und so nackt, wie Gott ihn schuf. Fuck!, denke ich panisch. Warum schon wieder? Mein dröhnender Kopf gibt mir darauf leider keine Antwort. Stattdessen schickt er sehr unangenehme Informationen an meinen Bauch, der diese natürlich sehr ernst nimmt und prompt in die Tat umsetzt: Mein Magen krampft sich zusammen, und Magensäure schießt in meine Speiseröhre. Leise und nicht sehr galant krieche ich aus dem Bett und steuere blindlings in Richtung Toilette. Tom scheint einen ausgezeichneten Schlaf zu haben, denn er bekommt rein gar nichts mit. Weder das alles andere als leise Schließen der Tür noch mein wenig erotisches Würgen, als mir alles hochkommt, die Tränen in die Augen steigen und ich sehr schnell zusehen muss, dass ich die Kloschüssel treffe.
Stöhnend sinke ich gegen den Badewannenrand und versuche, meine Fassung wieder zu erlangen. Aber keine Chance. Anscheinend hat auch die sich von mir getrennt. Zitternd stehe ich auf und werfe einen Blick in den Spiegel. Gott, hätte ich das doch bloß gelassen!, stöhne ich innerlich auf. Ich sehe aus wie eine Alkoholleiche. Mein Haar steht in alle Richtungen ab, die Augen sind rot und verquollen, die Haut kreidebleich und das Make-up verschmiert. Und dann wäre da noch die Tatsache, dass ich nur einen BH und ein Höschen trage. Wenn ich nicht beim Erbrechen schon so viele Tränen vergossen hätte, würde ich jetzt heulen. Aber das bringt mich auch nicht weiter, also schlucke ich das Gefühl herunter und wende den Blick von meinem Spiegelbild ab. Stattdessen schnappe ich mir einen Waschlappen und rubble mir den gestrigen Abend aus dem Gesicht. Das Prickeln auf der Haut lenkt mich vorübergehend ab und ich seufze erleichtert auf. Und dann kommen alle – und zwar wirklich alle – Erinnerungen an den gestrigen Abend wieder hoch. Nora und Lucas haben Tom und mich in eine Bar eingeladen, um zu verkünden, dass sie heiraten werden. Was mich wiederum so dermaßen schockiert hat, dass ich mir einen Tequila nach dem anderen hinter die Binde gekippt habe. Ich kann mir noch nicht mal wirklich erklären, warum es mich so aus der Bahn geworfen hat. Nora und Lucas sind jetzt schon eine ganze Weile glücklich zusammen und einfach perfekt füreinander. Jedermann hätte damit gerechnet, dass Lucas ihr bald den Ring an den Finger stecken wird, so vernarrt, wie er in sie ist. Jeder – abgesehen von mir, wie es aussieht. Und anscheinend habe ich infolgedessen nicht nur zu jeder Menge Alkohol gegriffen, sondern mich auch von meinen Sexualhormonen leiten lassen. Eine Kombination, die noch nie gut für mich war. Vor allem, wenn Kerle wie Tom griffbereit sind: waschechte Machos mit aufgeblasenem Ego! Ich hatte mir geschworen, nie wieder etwas mit Lucas' bestem Freund anzufangen. Aber diesen Schwur habe ich eindeutig gebrochen. Und jetzt muss ich schleunigst hier verschwinden.

Abermals reibe ich mir mit dem kühlen Lappen über das Gesicht, binde mir mit einem der Haargummis von meinem Handgelenk die Haare hoch und begebe mich auf die Suche nach meinen Klamotten. Glücklicherweise finde ich meine Jeans-Shorts sofort auf Toms Sofa. Mein Shirt allerdings ist nicht in Sichtweite. Dafür aber Toms T-Shirt. Kurzerhand ziehe ich es an. Vielleicht fällt es ihm gar nicht auf. Und falls doch, gebe ich es ihm irgendwann, wenn die Umstände vielleicht nicht mehr ganz so unangenehm sind, wieder. Schuhe und Tasche liegen – dem Himmel sei Dank! - im Flur auf dem Boden, sodass ich direkt verschwinden kann.
Auf Zehenspitzen schleiche ich zur Tür, öffne sie einen kleinen Spalt breit und zwänge ich hindurch. Ganz langsam und sachte ziehe ich die Tür wieder zu und atme erleichtert auf, als das Schloss mucksmäuschenstill einrastet.
»Muss ja ein ziemlich mieser One-Night-Stand gewesen sein, wenn du es so eilig hast, dass du noch nicht mal Schuhe und stattdessen das T-Shirt eines Kerls trägst.« Erschrocken fahre ich zusammen. Ich wage es nicht, mich umzudrehen, und schließe die Augen in der Hoffnung, mich mit der Methode einfach in Luft aufzulösen.
Da diese Taktik logischerweise nicht funktioniert, gebe ich mich, als meine Reaktion peinlich zu werden droht, geschlagen und bewege meinen geschundenen Körper 180 Grad nach links … und wünsche mir im nächsten Augenblick, ich hätte es gelassen.
Am Treppengeländer lehnt ein wirklich attraktiver Typ, die Arme vor der Brust verschränkt, eine Augenbraue nach oben gezogen und die Lippen zu dem anzüglichsten Grinsen aller Zeiten verzogen. Verdammt!
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, krächze ich, zugegebenermaßen wenig beeindruckend. Aber zu meiner Verteidigung: Der Typ ist echt heiß, ich bin mächtig verkatert und außerdem komplett überrumpelt. Ist doch klar, dass meine Stimme dann nicht gerade fest und überzeugend klingt, oder? Er lacht auf und entblößt eine fast schon unanständig weiße, gerade Zahnreihe, die ihn sogar noch eine Spur anziehender macht. Andere Zeit, anderer Ort und vor allem weniger verkatert – und alles wäre wunderbar. Ich würde mich auf Mr. Sexy einlassen und flirten. Aber so ganz bestimmt nicht. Ich will einfach nur endlich weg hier! Also zwinge ich meine Lippen lediglich zu einem Lächeln und befehle meinen Beinen, einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
»Ich bin übrigens Jonas!« Seufzend bleibe ich stehen. Muss das jetzt wirklich sein?
»Danke für die Info. War nett, dich kennengelernt zu haben«, entgegne ich barsch.
»Gern geschehen. Verrätst du mir auch deinen Namen?«, raunt er und beugt sich über das Geländer, sodass er nur noch eine Armeslänge von mir entfernt ist.
»Wozu? Willst du mich stalken? Vergiss es. Bei mir gibt es nichts zu holen.«
»Oh, ich sehe da eine ganze Menge«, stellt er fest, wackelt mit den Augenbrauen und kommt zu allem Überfluss noch auf mich zu. Na, das hat mir gerade noch gefehlt.
»Tja. Es gibt Wünsche, die nie in Erfüllung gehen«, seufze ich gespielt resigniert.
»Wir werden sehen«, entgegnet er frech grinsend und beugt sich sehr nah zu mir herunter. Ich weiche ein Stück zurück, was ich augenblicklich bereue. Mein Fuß hat nämlich das Ende der Stufe erreicht und findet auch irgendwie den Anfang der nächsten nicht. Ich gerate also ins Straucheln und sehe schon meinem Tod ins Auge, als mich plötzlich eine kräftige Hand am Arm packt und wieder in die Senkrechte manövriert. Mein Kopf prallt dabei etwas unsanft gegen eine ausgesprochen wohlgeformte Brust. Ich ringe angestrengt nach Luft und atme dabei den unglaublichen Duft meines Retters ein. Frisch und maskulin. Erst als ein Rumpeln durch die besagte Brust geht, hebe ich, erschrocken über mich selbst, den Kopf und blicke in ein Paar braun-grüne funkelnde Augen. Sie sind umrahmt von dunklen Wimpern und ziemlich niedlichen Lachfältchen. Man könnte darin versinken … wenn man wollte. Aber da ich gerade einen absolut katastrophalen Morgen erlebe und außerdem nach Erbrochenem und vermutlich auch nach Alkohol stinke, will ich ganz sicher nicht darin versinken. Meine Vernunft scheint zum Glück noch zu funktionieren. Ich stoße mich von dem Typen, diesmal etwas vorsichtiger, ab und entreiße ihm meinen Arm, um ihn mit dem anderen schützend vor meiner Brust zu verschränken.
»Ähm, danke«, stammle ich, vermeide es aber, ihm nochmals ins Gesicht zu gucken.
»Gern geschehen. Man hilft doch gerne einer Lady in Not.« Schnaubend betrachte ich meine rosa lackierten Fußnägel.
»Also ich muss dann gehen. Wie schon gesagt. War nett, dich getroffen zu haben, Jonas.«
»Gleichfalls. Nur hast du mir immer noch nicht deinen Namen verraten.« Ein letztes Mal hebe ich doch meinen Blick und schenke ihm ein kleines Lächeln.
»Denk dir doch einen aus.« Und damit lasse ich ihn stehen und laufe die restlichen Stufen – zum Glück ohne weiteren Fauxpas – nach unten.
»Okay. Coco«, ruft er lachend. Was mir erstaunlicherweise ein dümmliches Grinsen ins Gesicht treibt. Ich korrigiere ihn nicht, winke ihm aber kurz zu und stelle mich anschließend der Sonne, dem Verkehrslärm und dem ganzen anderen Kram, der fatal für meinen alkoholgebeutelten Körper ist.

Munich Lovers - Verbotene Früchte (LESEPROBE)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt