Kapitel 1

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Das Blut lief aus seinem Mundwinkel, rann über seine linke Wange, während seine Sicht verschwamm. Der kalte Boden entzog seinem Körper das letzte bisschen Wärme und die Kälte, die sich in seinen Gliedmaßen ausbreitete, betäubte den Schmerz, der in seinem Körper brannte. Sie hatten ihn erwischt, seine Flügel gebrochen, doch er hatte gekämpft. Nun lagen ihre Leichen um ihn, er inmitten von ihnen.

Sie hatten ihn angegriffen, vom Himmel geholt und er war auf den Boden gestürzt, als einer ihrer Pfeile seinen rechten Flügel zerrissen hatte. In diesem klaffte ein großes Loch, aus dem das Blut sickerte. Nerven und Sehnen waren von dem Metall zerfetzt worden, doch das hatte ihnen nicht gereicht. Beide Flügel standen in unnatürlichen Winkeln von ihm, der Knochen ragte heraus.

Er konnte immer noch ihre Stimmen hören, ihr Lachen, als er geschrien hatte. Doch nun lachten sie nicht mehr. Müde schloss er die Augen. Es geht zu Ende. Rael war schon alt, doch nun würde auch sein scheinbar unsterbliches Leben sein Ende finden. Er würde hier in der Hölle den letzten Atemzug tun und in die höchsten Himmelsgefilde aufsteigen. Mein Herr wird mich erwarten.

Die Geräusche um ihn wurden dumpf und seine Sicht wahr verschwommen, als würde er unter Wasser die Augen öffnen. Er hustete, doch es war mehr ein Röcheln. Er glaubte Schritte zu hören, doch die Dunkelheit verschlang ihn, bevor er diesen Gedanken zu Ende denken konnte.

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Zane stand vor dem Schlachtfeld, fassungslos. Inmitten der Leichen lag eine Kreatur mit reinen, weißen Schwingen. Er war einfach wunderschön. Er hatte kurze blonde Haare, eine helle, marmorfarbene Haut und rosige Lippen. Seine Wangenknochen verliehen seinem Gesicht eine feine Note und seine langen Wimpern waren so filigran, dass deren Schatten wie ein Kranz seine Augen verzierten.

Wie kann man einem solch schönen Wesen so etwas antun? Dann hörte er ein Röcheln, leise, fast nicht wahrnehmbar. Einen Augenblick später war er bei dem Engel, legte sein Ohr auf dessen Brust. Ein leichter Herzschlag, er ist noch nicht tot.

Sofort ergriff Zane Maßnahmen. Er öffnete sein Handgelenk und flößte dem Engel sein Blut ein, dann ließ er seine Magie in ihn fließen, um ihn zu heilen. Leider reichte es gerade für das Gröbste, holte ihn knapp von der Schwelle des Todes.

Vorsichtig schob er seine Hände unter den Schatz und hob ihn hoch, um ihn zu sich nach Hause zu tragen. Dort begann er ihn Schritt für Schritt zu entkleiden, zu säubern und seine Verletzungen zu verarzten. Bei den Flügeln war er besonders vorsichtig, schob die Knochen an die vermeintlich richtige Position und fixierte sie. Sie würden von Natur aus richtig zurückwachsen, eine besondere Eigenschaft der Himmelswesen.

Die weichen Federn fühlten sich unglaublich schön unter seinen Fingern an. Wann wohl ein Dämon das letzte Mal eine himmlische Feder berührt hat? Der Engel vor ihm schlief, friedlich. Zane beugte sich vor und streichelte sein Gesicht. Werde wieder gesund. Dann ging er wieder an die Arbeit.

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Weiche Finger strichen über seine Wange. Rael spürte die Wärme und die Vorsicht, die die Person innehatte. Er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht erwachen, war in einem Schwebezustand zwischen Diesseits und Jenseits. Das Einzige, was ihn an das Diesseits band, waren die zärtlichen Berührungen, die sich tief in seine Seele brannten.

Er spürte die Spur an Wärme, die von seiner Wange zu seinen Lippen wanderte, als Finger sanft über diese strichen. Ein anderes Mal spürte er, wie sich die Berührung von seinem Kinn über seine Brust zu seinem Bauch zog und zu seinen Flügeln wanderte. Engelsflügel waren empfindsam, weshalb er es dort am deutlichsten spürte. Doch in all der Zeit hörte er nichts, keine Worte.

Je länger er dort lag, desto tiefer wurden seine Gefühle für die liebevollen Berührungen. Wer berührt mich auf diese Weise? Wer gräbt sich in mein Herz, ohne dass ich es verhindern kann? Rael wusste, dass die Berührungen rein und unschuldig waren. Ich will sie sehen.

Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte an die Oberfläche zu gelangen, versuchte diesen Zustand der Schwebe zu verlassen. Eine Ewigkeit verging, dann tat er endlich seinen ersten tiefen Atemzug, seit er in diesen Zustand gefallen war.

Seine Finger zuckten und seine Augenlider flatterten, als sie sich langsam öffneten. Es dauerte eine Weile, bis sich die verschwommenen Umrisse zu einem scharfen Bild verformten. Er sah braune Holzdielen und eine kleine Metalllampe, die von der Decke hing. Mit größter Anstrengung drehte er seinen Kopf, um zu schauen, wo er war.

Er befand sich in einem Raum aus Holzwänden, in dem mehrere dieser Öllampen brannten. Die Wände waren mit Fenstern versehen, durch die jedoch kein Licht hereintrat, da es Nacht war. In dem Raum befanden sich ein großer Holzschrank und zwei kleine Tischchen. Er selbst lag auf einem großen Bett mit weißer Bettwäsche. Alles war sehr einfach und rustikal, doch es fühlte sich heimelig an.

Ich wurde gerettet? Vorsichtig begann er sich aufzusetzen, was schwieriger war als gedacht. Seine Muskeln ächzten, waren es nicht mehr gewohnt. Mit besorgtem Blick schaute er zu seinem rechten Flügel und sah, dass er vollständig verheilt war. Auch seine körperlichen Verletzungen waren geheilt.

Wie lange habe ich geschlafen? Es mussten mindestens drei Monate gewesen sein. Auch wenn er alt war, die Verletzungen waren zu schwer gewesen. Wer hat sich so lange um mich gekümmert? Warme Hände und zärtliche Berührungen kamen ihm wieder in den Sinn.

Als er an sich herunterschaute, bemerkte er, dass er nur mit einem Leinentuch bedeckt war, seine Kleidung war fort. Diese hätte ich wahrscheinlich so oder so nicht tragen können. Vorsichtig hob er seine Flügel an, sodass diese in ihrer natürlichen Position von seinem Rücken abstanden und legte sie an. Ein kleiner Schmerzenslaut entwich ihm, doch dieser verging.

Rael hielt sich am Bettgestell fest und drehte sich, rutschte, bis seine Füße über die Kante des Bettes hingen und den glatten Holzboden berührten. Mit viel Kraft drückte er sich nach oben, doch erst nach zahlreichen Versuchen stand er endlich auf seinen Beinen. Sein Körper passte sich seinen Bewegungen langsam an, erwachte wieder zum Leben.

Mit etwas wackligen Beinen lief er zu der Tür und öffnete sie. Er sah ein heimeliges Wohnzimmer mit einem Sofa und einem kleinen Holztisch mit zwei Stühlen. Ein Ofen war in der Ecke, in dem Feuer brannte. Rael ging weiter, bis er nach draußen an die frische Luft gelangte. Der Anblick war atemberaubend. Er war in einem großen Garten mit zahlreichen Pflanzen gelandet, die ihn alle freudig begrüßten. Seine nackten Füße liefen über den weichen Boden und trugen ihn in das Paradies.

Gefallener SternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt