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POV: Dan

Eine junge Frau tritt in den Besucherraum und setzt sich mir gegenüber.
Ihre großen runden Augen blicken mich interessiert an.

»Der Arzt meinte, Sie reden nicht.« Ihre sanfte Stimme passt perfekt zu ihrem Äußeren.
In Wellen fallen ihre braunen Haare über ihre Schultern. Ihre zarten Gesichtszüge wecken in mir das Bedürfnis mit den Fingern über sie zu streichen.

Ich lege meine Hände, welche sich immer noch in Handschellen befinden, auf den Tisch vor mir.

Sie hat keine Ahnung. Und ich habe nicht die Absicht sie aufzuklären.

Vermutlich ist sie die forensische Psychiaterin, die mir vom Gericht aufgebunden wurde.

»Also ... wieso sagen Sie nichts?«
Eindringlich sieht sie mich an.
»Ich bin Lisa. Das hier ist ein sicherer Raum. Sie können sich sicher fühlen.«

Meine Lippen verziehen sich zu einem verächtlichem Lächeln.

Lächerlich.

Vermutlich dachte sie, wenn sie mir ihren Vornamen sagt, würde ich sie als Vertraute ansehen. Doch ich bin nicht blöd.
Genausowenig wie ich verrückt bin.
Eher im Gegenteil.

Ich gehe gedanklich meine Möglichkeiten durch.
Entweder ich spiele mit und rede. Dann wäre ich sie innerhalb von einer Woche wieder los.

Oder ich spiele mein eigenes Spiel.
Zugegeben, das kann noch lustig werden. Lustiger, als alles was ich bisher in diesem Knast erlebt habe.

Ich beschließe, der zweiten Möglichkeit nachzugehen.
»Wie alt sind Sie?«

Überrascht sieht Lisa mich an. Sie hat nicht damit gerechnet, dass ich reden würde.

»Ich bin 27. Sagen Sie, Daniel, wie finden Sie sich bisher zurecht?«

Ich kneife die Augen zusammen. »Sie sind noch nicht lange dabei, oder? Haben Sie studiert? Oder war es eine Ausbildung?«

Ich sehe ihr an, dass sie hin und her gerissen ist. Einerseits will sie die Konversation nicht durch falsche Antworten beenden, aber andererseits passt es ihr nicht, dass ich die Themen lenke.

»Ich habe studiert.«, sagt sie vorsichtig. Unsicher sieht sie mich an.
»Aber ich würde gerne über Sie reden.«

Ich zucke unberührt mit den Schultern und schweige.
Es macht Spaß sie zu verwirren. Schwer ist es nicht.

Lisa seufzt ungeduldig. »Bitte Daniel. Reden Sie mit mir. Es ist wichtig. Sie könnten mich so schnell loswerden. Ich muss nur einen Bericht schreiben, in dem ich bestätige, dass Sie psychisch bei allen Sinnen sind. Und das sind Sie. Da bin ich mir sicher.«

Natürlich bin ich bei Sinnen.
Aber durch eine Psychologin ergeben sich für mich ganz neue Möglichkeiten.
Oder eher durch eine hübsche, gleichaltrige und viel zu naive Psychologin.
Eine der Möglichkeiten arbeite ich gerade in meinen Gedanken aus.

»Vielleicht bin ja ja krank. Psychisch. Nicht mehr ganz dicht?« Fragend sehe ich sie an und beobachte jede ihrer Reaktionen und Bewegungen.
Ihre Haltung ist angespannt. Ihr Gesichtsausdruck ebenfalls. Den Rest hat sie gut im Griff. Es gelingt mir nicht zu erahnen, was sie denkt.

»Wieso tun Sie das?«

Ich unterdrückte ein Grinsen. Sie ist gut. Aber das ist schließlich ihr Job.
»Was?«, frage ich und tue, als wüsste ich nicht genau was sie meint.

»Wieso tuen Sie so, als hätten sie eine psychische Störung? Sie sind gesund. Aber Sie legen es dennoch nicht darauf an, mich loszuwerden. Und ich bin sicher, Sie wissen, was das bedeutet: täglich eine Stunde psychologische Betreuung. Aber das würde meine Zeit verschwenden. Also lassen Sie es. Es gibt Patienten, die meine Zeit wirklich brauchen.«

Ich schweige. Sie ist intelligent. Aber so etwas wie ein schlechtes Gewissen besitze ich nicht. Sonst würde ich nicht wegen Todschlag sitzen.

Behind it AllWo Geschichten leben. Entdecke jetzt