Marian fragte sich mittlerweile, ob sie zu selten in die Sonntagsmesse gegangen war? Oder ob der liebe Herrgott sie vielleicht für den Frevel strafen wollte, sich mit einem vogelfreien Rebellen auf sündhafte Diebstähle und eine Konspiration gegen den König von England einzulassen?
Etwas musste sie in jedem Falle sehr, sehr falsch gemacht haben, damit das Unglück ihr so hartnäckig am Stiefel zu kleben pflegte. Vielleicht es gar nicht der Herrgott selbst. Vielleicht empfand der Teufel es als amüsant, ihr Steine in den Weg zu legen. Wie sagte man im Kloster damals? 'Der Herr mutet uns niemals mehr zu, als wir tragen können'. Alles jammern und klagen würde ihr nun auch nicht weiterhelfen. Sie hoffte inständig, dass sie auch dieses Verhör irgendwie überstand.
'Komm schon! Lass dir etwas einfallen!'
Marians Körper schien es ihren Nerven gleichtun zu wollen: Er spannte sich an und sie fühlte sich wie ein Bogen, bereit zum Schuss. Aber sie durfte nicht zu gehetzt reagieren, zu bissig oder abweisend... dadurch konnte sie sich nur verraten. Guy war kein Narr und die Ausrede musste plausibel sein. Je mehr man sich jedoch Geschichten ausdachte, umso leichter verstrickte man sich darin und fiel über die eigenen Lügen. Guy hatte die höflichen Floskeln fallen lassen und sprach damit mehr oder weniger auf Augenhöhe mit ihr. Dennoch durfte sich Marian nicht der Naivität hingeben, dass er Verständnis für die Wahrheit aufgebracht hätte.
„Ich bin wirklich erleichtert, dass ihr ihn gefunden habt!", meinte sie deshalb und legte eine Hand über ihre Brust, um dabei gespielt erleichtert auszuatmen. „Wie du siehst", dabei deutete sie auf ihre schmutzige Kleidung, „... hat Bayard mich abgeworfen. Du weißt doch, wie bockig er manchmal ist."
Klang das plausibel? Glaubte er ihr? Eben hatte sie immerhin noch behauptet, der Ausritt sei angenehm gewesen. Wie hatte sie nur so dumm sein können?! Hoffentlich hatte sie sich damit nicht die eigenen Fallstricke gelegt, die ihr nun zum Verhängnis wurden.
„Aha."
Verdammt. Er klang nicht überzeugt.
„Und aus welchem Grund war er mit einem weiteren Ross angebunden?"
Marian wollte stöhnen. Er glaubte ihr nicht. Natürlich nicht.
Nur mühsam konnte sie sich bremsen, auf ihrem Hintern hin und her zu rutschen. Wurde ihm der durchbohrende Blick von seinem Vater in die Wiege gelegt? Offensichtlich. Und sie mochte das nicht. Dabei kam Guy in vielen Belangen kaum nach dem Sheriff„Verzeih, aber woher soll ich das wissen? Vielleicht hat ihn jemand gefunden und dort angebunden? Es gibt zu diesen Zeiten kaum jemanden, der ein frei laufendes Pferd nicht sofort mit Handkuss an sich nehmen würde. Wo die Menschen immerhin kaum noch etwas haben, von dem sie leben können." Der kleine Seitenhieb geschah unbeabsichtigt. Marian bemerkte ihn zwar erst, nachdem sie es ausgesprochen hatte, hätte es aber auch nicht mehr zurückgenommen. Im Gegenteil. Innerlich klopfte sie sich für diese Worte sogar auf die eigene Schulter. Robins Arroganz war vielleicht ein klein wenig ansteckend.
Guy hingegen stieß ein leidiges Seufzen aus und löste seine verkrampfte Haltung, um sich mit den Fingern in das dunkle Haar zu fahren. Sie konnte die Worte förmlich in seinem Gesicht ablesen: 'Verkauf mich bitte nicht für dumm!'
„Marian, ich weiß, dass du ein weiches Herz und viel Mitleid mit dem einfachen Volk besitzt", setzte er neu an, doch darin lag nicht das Verständnis, das sie sich gewünscht und erhofft hätte. Natürlich nicht. Manchmal wurden Wünsche einfach nicht erhört und Menschen, die man liebte oder schätzte, verstanden einen selbst dann nicht, wenn man ihnen verzweifelt versuchte einen anderen Blickwinkel aufzuzeigen.
Guy war ein Mann des Gesetzes und der Krone loyal ergeben. Für ihn war die Welt einfach gestrickt: Der Regent war von Gott eingesetzt und damit hatte man zu tun, was er verlangte. Ohne zu hinterfragen, ohne zu zweifeln. Denn den König anzuzweifeln wäre, als würde man Gott anzweifeln. Diese Meinung vertraten sein Vater, ein Großteil des Adels und natürlich auch lange ebenso das Volk. Sie hatten nicht das Recht, die Krone zu hinterfragen - und auch nicht die Gesetze. Marian konnte es in gewisser Hinsicht verstehen.
„Der König erhebt die Steuern und die Bürger haben sie zu entrichten. So ist nun einmal das Gesetz."
„Aber das ist nicht gerecht!", zischte Marian nun und wappnete sich gegen einen Streit, den sie und Guy nicht das erste Mal austrugen. Diese Diskussion hatte sie mit ihrem Vater und ihm in verschiedensten Formen schon tausendmal geführt. Doch am Ende wurde ihre Stimme mit der Dominanz männlicher Befehlsgewalt stets niedergedrückt. Sie war es so unglaublich Leid. Warum konnten sie einfach nicht verstehen?
„Recht bedeutet nicht immer Gerechtigkeit, Marian. Das mag hart klingen, aber so ist es nun einmal."
Marian stöhnte und rollte mit den Augen. Frustration und Verzweiflung vermengten sich zu einer explosiven Mischung. Wie oft wollten sie das noch sagen? Glaubten ihr Vater oder Guy, nur weil man es oft herunterbetete, würde sie es eines Tages schlucken? Als wäre sie ein Stein, den man nur lange genug behauen musste, damit er endlich die gewünschte Form annahm. Aber immer nur wegzusehen, würde nicht helfen. Sie hatte früher immer weggesehen und das hatte Gillian das Leben gekostet. Gillian und ihre Mutter - sie hätten Marian verstanden. Sie hätten ihr den Rücken gestärkt. Da war sie sich sicher. Wegzusehen machte nichts besser.
„Du musst endlich damit aufhören, gegen den Strom zu schwimmen, Marian. Dein Vater oder auch ich, wir können dich nicht ständig decken. Und wir können an den Umständen nun einmal nichts ändern. Ich nicht, DU nicht." Guys Ausdruck wurde härter und seine Lippen wurden schmal. "Und ein vogelfreier Taugenichts und Dieb erst recht nicht", fügte er schärfer hinzu.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst", beharrte Marian und reckte trotzig das Kinn. In ihrem Magen aber bildete sich zunehmend ein Klumpen. Zweifel und Sorgen, welche immerzu dort gewesen waren und inzwischen einen wachsenden Felsen bildeten, der ihr zunehmend aufs Gewissen drückte.
Guy wollte Marian am liebsten schütteln, um Vernunft in den sturen, leichtsinnigen Kopf zu bekommen. Oder sie küssen, in der Hoffnung, dass sie sich erinnerte, WER die ganze Zeit für sie da war, um sie zu beschützen. Wäre da nicht der drückende Dorn der Eifersucht gewesen, welcher ihm den Magen flau und seine Muskeln hart machte, vielleicht wäre er besonnener an dieses Gespräch herangegangen.
So jedoch legte er die Hände mit festem Griff an ihre Schultern und zwang sie so, ihm in die Augen zu sehen. „Ich weiß, dass es aus deiner Sicht vielleicht sehr heldenhaft wirken mag, was Hood tut", knirschte Guy zwischen den Zähnen hervor.
Dachte sie, er würde es nicht erfahren? Glaubte sie, er würde ihre Lügen nicht durchschauen?
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Die Königin von Pfeil & Bogen
Historical Fiction[WATTYS 2023-WINNER/Fesselndste Welt] ** Marian, stehlende Adelstochter mit großem Herzen trifft auf Robin Hood, verwegener Dieb mit gewaltigem Ego. Werden sie alten Schmerz, Vorurteile und schließlich den grausamen Sheriff von Nottingham überwinden...