Kapitel 1

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„Wo warst Du als ...?"

Es gibt Ereignisse, die so einprägsam sind, dass diese Frage von sehr vielen Menschen ohne groß nachzudenken beantwortet werden kann. Ereignisse, die mit der eigenen Erlebniswelt untrennbar verknüpft werden und unauslöschlich im Gedächtnis verankert bleiben. Eines dieser Ereignisse ging als „Der Wimbledon-Zwischenfall" in die Geschichte ein.

Laura Martinelli würde für immer wissen, wo sie an jenem Tag gewesen war. Sie erwachte früh morgens in ihrem Zimmer des Hotels Olympia, wie sie es auch in den vergangenen Tagen tat. Und dennoch war etwas anders. Ein seltsames Kribbeln lief durch ihren trainierten Körper - ein Gefühl, das sich so ganz von der ihr bekannten Mischung aus Nervosität und Vorfreude unterschied, die sie sonst vor einem Spiel und insbesondere einem Finale empfand.

„Finale" hauchte sie mit einem glücklichen Lächeln und räkelte sich wohlig. Es war nicht ihr erstes Finale in Wimbledon, doch ihr erstes im Mixed-Doppel, was sie besonders stolz machte. Ihr Spielpartner Marco Arcangelo musste einiges an Überzeugungsarbeit leisten, mit ihm bei diesem Turnier anzutreten. Und von Runde zu Runde wurde ihr Selbstvertrauen größer und sie genoss jedes Match, als wäre es ihr erstes.

Laura setzte sich auf und schwang ihre langen Beine über die Bettkante. Sie blickte aus dem großen Fenster, durch das die Morgensonne das Zimmer mit Licht flutete. Es war, als wären die Bäume heute noch grüner, das Leuchten der blühenden Büsche noch intensiver und der Gesang der Vögel noch lieblicher. Beschwingt erhob sie sich und begab sich unter die Dusche.

Das warme Wasser perlte über ihre gebräunte Haut, lief über ihre Schultern und Arme, ihre festen Brüste und den flachen Bauch. Es nahm seinen Weg über ihre rasierte Mitte und ihre schlanken Beine. Sie liebte dieses Gefühl, das heute noch intensiver war. Jeder Wassertropfen wie eine verheißungsvolle Liebkosung. Laura schloss genießerisch die Augen. Stellte sich vor, es wären die Fingerspitzen und die Lippen und die Zungenspitze eines Mannes, der jeden Millimeter ihrer empfindsamen Haut liebkost. Wie magisch angezogen wanderte Lauras Hand zwischen ihre Beine. „Fokus!" schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Nicht jetzt, nicht vor diesem Spiel.

Rasch stellte sie das Wasser ab und griff eilig nach dem Handtuch. Sie versuchte sich und ihre Libido zu beruhigen, indem sie ihre übliche Routine wieder aufnahm. Anziehen, Tasche packen, Rackets bereitlegen. Und spätestens beim Frühstück und in Gesellschaft anderer Menschen sollte sich dieses Gefühl endlich legen, hoffte sie.

Marco begrüßte sie mit den üblichen Wangenküsschen und einem freundlichen „Ciao bella". Das war an diesem Morgen das Einzige, was sie von ihm zu hören bekam. Es war das Einzige, was sie auch an jedem anderen Tag vor 9 Uhr von ihm zu hören bekam. Man konnte stundenlang mit ihm reden und herzhaft scherzen oder diskutieren. Aber nicht um diese Uhrzeit. „Alles in Ordnung?" fragte Marco, nachdem sie beinahe mit ihrem Frühstück fertig waren, und blickte Laura prüfend ins Gesicht. Laura ließ vor Schreck ihren Löffel fallen und starrte ihn entgeistert an. Er hat es getan! Er hat tatsächlich etwas gesagt! Und schlimmer: Er hat etwas gemerkt! „Ja, Ja, alles ok" stammelte sie hastig. „Ich bin nur nervös wegen dem Spiel" log sie und hoffte inständig, dass Marco es dabei belassen würde. Er beließ. „Wir sehen uns später" zwang sich Laura zu einem Lächeln und enteilte aus dem Frühstücksraum.

☆☆☆

Als Sven Johannson den Frühstücksraum betrat, fühlte er eine intensive Präsenz. Er konnte nicht erklären oder verstehen, woher dieses Gefühl kam, doch es schien jede Zelle seines durchtrainierten Körpers in Schwingung zu versetzen. Schon beim Aufwachen fühlte sich etwas ganz und gar anders an. Ein Prickeln lief unablässig über seine Haut und es war, als wären seine Sinne geschärft wie nie zuvor. Er hörte, sah und roch alles viel intensiver, als er es gewohnt war und die nicht zu leugnende sexuelle Erregung konnte er unter der Dusche nur bis zu einem gewissen Grad abbauen.

Liv Bergstöm lief ihm mit einem freudigen Strahlen entgegen und umarmte ihn überschwänglich. Sie waren seit ihrer Kindheit eng befreundet, begannen gemeinsam Tennis zu spielen, durchlitten miteinander sowohl berufliche als auch private Höhen und Tiefen. Vielleicht waren sie der Gegenbeweis zu Harrys Behauptung, Männer und Frauen können niemals Freunde sein, weil ihnen immer der Sex dazwischen kommt. Nicht dass sie beide nicht ausgesprochen attraktive Exemplare ihres jeweiligen Geschlechts waren. Doch sie hatten eine stille, unausgesprochene Übereinkunft, an die sie sich hielten.

Während sie gemeinsam frühstückten, textete Liv Sven mit dem neuesten Klatsch über alle Adelsfamilien dieser Welt zu. Sven kannte nicht einmal die Hälfte der Personen, aber er genoss die frische, lebhafte Art, in der Liv erzählte. Plötzlich hielt sie inne. „Ist alles in Ordnung?" fragte sie mit einem prüfenden Blick. Natürlich war es da nicht, doch das konnte Sven ihr so kurz vor diesem wichtigen Spiel nicht sagen. „Ja, Ja, alles ok" stammelte er hastig. „Ich bin nur nervös wegen dem Spiel" log er und hoffte inständig, dass Liv es dabei belassen würde. Sie beließ. „Wir sehen uns später" zwang sich Sven zu einem Lächeln und enteilte aus dem Frühstücksraum.

Der Wimbledon-ZwischenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt