Chapitre 72

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Der Geruch leitet mich wie auf Schienen den Hang hinauf.

Florent läuft einen Schlenker, sodass wir die Neuankömmlinge in die Zange nehmen können.

Jagdinstinkt flutet meine Adern und singt meinem rationalen Ich ein stilles Wiegenlied.

Mit einem Satz breche ich aus dem Gebüsch und sprinte auf die Mauern des Klosters zu, die sich majestätisch in den blauen Himmel erheben. Für meine Wolfs-Persona sind sie auf geradezu lächerliche Weise uninteressant. Nur Steine und Moos und kleine Krabbeltiere, die sich in den Mauerritzen vor der Sommerhitze verkriechen.

Ich verkrieche mich nicht. Im Gegenteil.

Ein Kaninchen springt vor mir davon.

Die Sonne brennt mir auf den Pelz.

Der Geruch wird intensiver und manifestiert sich zu einem wabernden Bild.

Zwei Wölfe, die dicht zusammengedrängt in der Ecke eines Kreuzgangs kauern.

Blut.

Angst.

Schmerz.

Mindestens einer von ihnen ist verletzt.

Ich stürze durch ein leeres Rechteck in einen überdachten Säulenhof.

Ein Wolf springt mir entgegen. Er ist größer als ich, aber geschwächt und stinkt nicht nur nach Salzwasser und Tod, sondern auch nach Verzweiflung.

Ich weiche seinen zuschnappenden Kiefern aus und ramme ihn zu Boden.

Die Furcht verleiht ihm jedoch mehr Kraft, als ich vermutet hätte. Mit einem wütenden Knurren rappelt er sich wieder auf.

Ich halte Abstand. Er ist massig, mit blauschwarzem Fell und glühenden Augen. Nicht rot, sondern grün.

Bevor mein Verstand auf diese Information reagieren kann, schnellt er auch schon wieder vor. Ich wehre ihn ab. Wir steigen auf die Hinterbeine und schnappen nach der Kehle des jeweils anderen. Scharfe Klauen bohren sich durch mein Fell.

Dann ist Florent heran, packt den schwarzen Wolf am Hinterlauf und zerrt ihn von mir weg. Der Wolf bricht zusammen und winselt vor Schmerz.

Und dann ist da noch ein zweites Geräusch. Ein langgezogenes, flehendes Heulen.

Ich fahre herum und entdecke den anderen Wolf. Eine Fähe mit hellgrauem Fell. Sie humpelt auf uns zu und wirft sich zwischen Florent und den schwarzen Wolf. Dabei dreht sie sich halb auf den Bauch und präsentiert uns ihre Kehle zum Zeichen, dass sie sich uns unterwirft. Ihr Geruch kommt mir ebenfalls bekannt vor. Außerdem ist sie noch sehr jung, beinahe ein Welpe.

Florent lässt von dem schwarzen Wolf ab, trabt zu mir und stupst mich mit der Schnauze an.

Ich verstehe das Signal und zwinge mich zur Rückverwandlung.

Als der Opioid-Rausch nachlässt und ich mich wieder an meine Menschensinne gewöhnt habe, merke ich erst, wie sehr mich der Sprint durch die halbe Stadt angestrengt hat. Ich taumele und muss mich mit einer Hand an einer der Säulen abfangen, um nicht zu stürzen.

Florent atmet schwer. Die Haare kleben ihm klatschnass am Kopf. "Was ist hier eigentlich los?"

"Bitte", winselt die junge Wölfin, noch während sie sich verwandelt.

Kurz darauf kauert sie schweißüberströmt vor uns: Lilou Lavigne.

"Chloé, bitte. Tu ihm nichts."

Mon Loup: Die Gesetze des SwargWo Geschichten leben. Entdecke jetzt