So fremd

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Sie schaut aus dem leicht beschlagenen Fenster des vorbei rauschenden Zuges, der durch die graue Landschaft gleitet. Ihre Augen verfolgen die Architektur der vorüberziehenden Gebäude, die sich wie unheimliche Silhouetten gegen den trüben Himmel abzeichnen. Majestätische Wolkenkratzer ragen bedrohlich in die Luft, während ihre glänzenden Glasfassaden in einem düsteren Licht schimmern. Zwischen den modernen Bauwerken verbergen sich die Reste einer längst vergangenen Zeit – alte, heruntergekommene Altbauten mit abblätternder Farbe und schiefen Fassaden, die eine gespenstische Atmosphäre verbreiten.

Die Kontraste zwischen den architektonischen Stilen wirken wie das Aufeinandertreffen von zwei Welten, die längst nicht mehr miteinander harmonieren. Es ist, als ob der Zug durch einen Albtraum fährt, in dem die Vergangenheit sich mit der Gegenwart vermischt. Die verfallenen Gebäude wirken wie Geister, die in den Schatten lauern, während die modernen Wolkenkratzer wie kalte, unnahbare Riesen den Horizont dominieren.

Der Zug saust weiter, als ob er den Blick von diesen düsteren Szenerien nicht länger ertragen könnte, doch sie kann den Blick nicht abwenden. In den dunklen Gassen zwischen den alten Häusern scheint etwas zu lauern, etwas, das darauf wartet, entdeckt zu werden. Vielleicht sind es die gelebten Geschichten der Stadt, die sich in den zerfallenen Wänden manifestiert haben – Geschichten von verlorenen Seelen, die in den Ecken dieser Gebäude hausen.

Die Sonne, die sich bruchstückhaft durch die Wolken bricht, wirft flimmernde Schatten auf die Glasfassaden, doch der Lichtschein fühlt sich unheimlich an, fast wie eine Täuschung, die nur die Illusion von Wärme erzeugt. Die Straßen wirken leer, die Atmosphäre fast erdrückend, als ob der Zug in eine längst vergessene, verlassene Welt fährt.

Ihre Gedanken schweifen ab, ein kaltes Schaudern läuft ihr über den Rücken. Sie fragt sich, was diese Stadt, diese Straßen wirklich verbergen. Welche düsteren Geheimnisse in den Mauern dieser Gebäude begraben liegen, welche Geschichten nie erzählt wurden und vielleicht auch nie erzählt werden wollen. Der Zug fährt weiter, doch das Gefühl der Beklommenheit bleibt, wie ein unsichtbarer Schatten, der sie immer enger umschließt.

Die Straßen sind voller Menschen, darunter viele Jugendliche, die auf den Straßen spielen oder Fahrrad fahren. Nala bemerkt ein Hochhaus mit etwa fünfzehn Stockwerken, das ihr sofort ins Auge fällt.

Die Graffiti-Zeichnungen und Aufschriften auf dem Gebäude sind besonders auffällig und eindrucksvoll. In Wedding sieht man so etwas relativ selten. Sie sind immer noch nicht angekommen, und ihre Stirn ist gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt.

Sie spürt den sanften Rhythmus des Zuges, während sie über ihr neues Zuhause nachdenkt. Der Lärm des Zuges und der Passagiere dröhnt in ihren Ohren, und sie versucht, ihn auszublenden, indem sie ihre Gedanken schweifen lässt.

Sie schließt die Augen und stellt sich vor, wie sie am Strand spazieren geht, die Sonne auf ihrer Haut spürt und das Rauschen des Meeres hört. Doch plötzlich unterbricht sie die mürrische Stimme ihrer Mutter: „Nala, komm, wir müssen raus." Sie öffnet die Augen und sieht, dass sie angekommen sind. Sie rafft ihre Koffer zusammen und folgt ihrer Mutter die Treppe hinunter. Der Bahnhof ist voller Menschen, und sie fühlt sich ein wenig überwältigt.

Sie merkt nicht, wie ihre Mutter zielstrebig auf den Ausgang des Bahnhofs geht, als wäre sie in einer anderen Welt. Sie folgt ihr, ihre Gedanken ein wirres Durcheinander, als sie endlich draußen sind und die frische Luft einatmet. Doch die Straßen von Neukölln haben einen beißenden Geruch, der von Abgasen und Müll durchzogen ist. Der Dreck scheint sich überall auszubreiten – auf dem Boden, an den Wänden der Häuser, in den Ecken, in denen sich Abfälle türmen.

Die Straßen sind voller Menschen, doch es fühlt sich nicht so an, als würde hier wirklich Leben pulsierten. Überall gibt es Obdachlose, die mit leerem Blick in der Sonne sitzen und niemanden mehr wirklich wahrzunehmen scheinen. Ihre Körper wirken wie Hüllen, in denen die Seele längst abhanden gekommen ist. Der Schmutz, der die Straßen bedeckt, schimmert in einem tristen Grau, und die kaputten Mülltonnen stehen wie stumme Zeugen einer längst verlorenen Ordnung.

Stille SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt