Aufeinandertreffen

476 18 0
                                    


Nala steht vor dem Spiegel, der sanfte Stoff ihres pinken Pullovers schmiegt sich an ihre Haut. Es ist ein bequemer, fast schon vertrauter Pullover, der ihr sofort ein Gefühl der Geborgenheit und Vorfreude schenkt. Sie streicht sich die glatten braunen Haare zurück, achtet darauf, dass sie perfekt fallen. Der Tag, der vor ihr liegt, fühlt sich gleichzeitig aufregend und herausfordernd an. Es ist ihr erster Tag an der neuen Schule, und sie möchte einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Mit einem letzten Blick auf ihr Outfit, das sie mit einer weißen Jogginghose und weißen Schuhen kombiniert hat, atmet sie tief durch. „Ich kann das", murmelt sie zu sich selbst, als sie sich auf den Weg macht, um die Schule zu finden.

Der Weg ist länger als erwartet. Als sie schließlich vor dem imposanten Schulgebäude steht, verspürt sie ein Kribbeln in der Magengegend. Ihre Hände werden feucht vor Nervosität. Vor dem Eingang steht eine strenge Aufsichtsperson, die sie ohne ein Wort ansieht, bis sie sagt: „Schülerausweis, bitte."

Nala stockt der Atem. Unsicher klammert sie sich an den Riemen ihrer pinken Tasche und murmelt: „Ich habe noch keinen." Ein Moment der Stille vergeht, in dem die Lehrerin mit einer Mischung aus Unverständnis und Bürokratie auf ihr Handy tippt. Nala spürt, wie ihre Unsicherheit wächst, aber sie versucht, ruhig zu bleiben.

Plötzlich tritt ein Mann auf sie zu. Nala nimmt an, dass er ein Lehrer ist, und spürt, wie ihr Herz schneller schlägt. Der Mann, mit mittellangen, grauen Haaren und einer entspannten Ausstrahlung, trägt eine locker sitzende Bluse und eine hellblaue Jeans. Als er vor ihr steht, lächelt er freundlich und spricht sie mit Namen an. „Du musst Nala sein. Ich bin Herr Schmied, dein Klassenlehrer."

„Ja, schön, Sie kennenzulernen", antwortet sie zögerlich, ihre Nervosität nur schwer verbergend.

„Du brauchst dir keine Sorgen machen", sagt Herr Schmied, als er sie mit einer einladenden Handbewegung auffordert, ihm zu folgen. „Du bist nicht die Einzige, die heute neu ist."

Nala nickt, sagt jedoch nichts, während sie ihm durch das Gebäude folgt. Vor der Tür des Klassenraums steht ein Junge. Etwas dunklerer Teint, schwarze Bluse – und ein Gesichtsausdruck, der kaum Begeisterung verrät. Es ist, als würde seine Haltung alles andere als einladend wirken.

Als Herr Schmied die Tür zum Klassenzimmer öffnet, wird Nala von einem ohrenbetäubenden Lärm empfangen. Die Geräusche der Schüler, die wild durcheinander reden und lachen, füllen den Raum. Papierflieger fliegen durch die Luft, Stifte rasen über die Tische und das unaufhörliche Murmeln der Klassenkameraden vermischt sich mit dem Klang von Stühlen, die über den Boden schrammen. Herr Schmieds Stimme, energisch und fest, geht fast unter, als er ruft: „Ruhe hier!"

Der Junge, den Nala draußen schon gesehen hat, betritt den Raum mit einer gleichgültigen Haltung. Sein Blick ist scharf und durchdringend, als er den Raum absucht, bevor er mit einer fast schon selbstverständlichen Bewegung seinen Platz einnimmt. Seine dunklen Augen nehmen alles in sich auf, und trotz der Unruhe in der Luft wirkt er bemerkenswert ruhig. Herr Schmied setzt sich hinter den Lehrertisch und blickt ernst auf die Klasse.

Langsam beginnt die Klasse sich zu beruhigen, als die Schüler merken, dass die Autorität von Herrn Schmied nicht so leicht zu brechen ist. Doch Nala kann die ständigen Blicke auf sich spüren – neugierige, prüfende, und einige vielleicht auch etwas spöttische. Sie setzt sich auf ihren Platz, ihre Hände umklammern die Träger ihrer pinken Tasche. Der Junge mit der schwarzen Bluse, der vorhin so ungerührt gewirkt hat, wirft ihr einen flüchtigen Blick zu. Seine Miene bleibt hart, aber Nala erkennt einen Hauch von Neugier in seinen Augen. Ein Funken von Erstaunen, der sich hinter der Mauer aus Desinteresse verbirgt.

Ein leises Flüstern kriecht durch den Raum, während die Schüler, die sich wieder einigermaßen gefangen haben, beginnen, sich in der neuen Ordnung zurechtzufinden. Doch es dauert nicht lange, bis Herr Schmied mit seiner tiefen, ruhigen Stimme über das leise Gemurmel hinwegbricht.

Stille SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt