Teil 3

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Ich betrachtete meine Hände, sie zitterten immer noch, ich konnte sie nicht ruhig halten, also hielt ich mich wieder am Geländer fest. Ein erneuter Ruf aus der Küche und endlich setzte ich mich in Bewegung, als ich langsam über die Türschwelle trat erschrak ich, eine Scherbe der Tasse, die mein Vater zerschmettert hatte, steckte in seiner Hand, doch er kümmerte sich nicht darum. Das Blut war über den ganzen Tisch geflossen und tropfte nun langsam auf den Boden, angeekelt sah ich weg, ich verabscheute Blut, es machte mir Angst, es ließ mich schwindeln, selbst mein eigenes Blut war schlimm für mich.

„Alfred was ist los?" ich trat einen Schritt auf ihn zu, doch als er mit seiner Faust auf den Tisch haute, blieb ich erschrocken stehen, durch den Hieb wackelte der Tisch und mein Kleid wurde mit kleinen roten Spritzern beschmutzt, angeekelt sprang ich zurück und fuhr mir durch die Haare. „Dieser Mistkerl hat sich umgebracht!" eine Träne lief ihm über die Wange und ich fing an zu zittern, wer hatte sich umgebracht? Und seit wann konnte Alfred weinen? Ich schritt weiter auf ihn zu, schließlich setzte ich mich ihm gegenüber an den kleinen Tisch, an dem wir nur selten zusammen gegessen hatten, eigentlich nie. Alfred hatte ihn eigenhändig gebaut, er war ja nicht umsonst Schreiner, fast alle Möbel aus unserem Haus stammten von ihm, dafür war ich ihm auch wirklich dankbar, aber alles andere hätte er sich sparen können, die vorgespielte Liebe, das Vatersein, und vor allem das ständige trinken. Er hatte mir es schon mit 12 angewöhnt und obwohl ich mich vor dem Gebräu eckelte, musste ich es trinken, es machte mich glücklich, ohne es würde ich Nächte lang nur heulen. Ruhig fuhr ich über das geriffelte Holz des Tisches, er war alt und dem entsprechend auch rau und morsch. Blut lief mir an die Fingerspitzen und ich zuckte zurück, die rote, wiederliche Flüssigkeit färbte meine ganze Hand rot und ich blickte angewiedert zu Boden, in der Hoffnung mich nicht erbrechen zu müssen. „wer hat sich umgebracht?" flüsterte ich leise und spielte an meinem Kleid herum, meine Finger strichen über den hellblauen Stoff und hinterließen rote Flecken, mein Kleid war so gut wie ruiniert! Ich hatte es genäht wie ich 13 Jahre alt war, lange hatte ich gebraucht, aber schließlich war es so geworden wie ich es mir erhofft hatte. Es war in ein hellblau getaucht, spitzen zierten die Ärmel und den Saum, ein Seil an meiner Hüfte, das ich zuschnürte, ließ mich dünner aussehen. Lucas meinte immer ich wäre dünn, aber das war ich nicht, ich aß deshalb auch schon weniger, ich gefiel mir einfach nicht! Meine Klasse sagte ich wäre eine Magersüchtige Bitch, dabei war ich noch Jungfrau und hatte noch nicht mal einen Jungen geküsst, aber wer weiß, vielleicht definierten sie das Wort Bitch auch ganz anders. Außerdem würde ich mich auch nicht als Magersüchtig bezeichnen, ich aß nur etwas weniger als andere, aber das verlangen nach Essen war da, ich eckelte mich keineswegs davor.

Alfred hatte sich beruhigt, „Lucas" hob er an „die Polizei hat seine Leiche in der Schlucht gefunden, er ist gesprungen" eine Träne lief ihm über die Wange „sie kommen nachher um uns zu interviewen und mehr heraus zu finden." Ich wurde bleich und verfiel in ein wimmern, der Schmerz war unerträglich, er fraß mich auf, er würde mich zu Tode bringen wenn ich es nicht selbst tat. Deswegen hatte er diese Worte am Abend zuvor gesagt, er hatte sich von mir verabschiedet!

Alfred sah mich an „du gehst nicht in die Schule und lässt dich befragen" ich schüttelte erschrocken den Kopf, „das hat noch keinem was gebracht!" Alfred wurde erneut wütend, er bestand darauf, doch ich wollte nicht, sie würden die dümmsten Fragen stellen, sie würden uns die Schuld geben! Ich stand auf und machte mir einen Tee, erstmal brauchte ich etwas gegen den Schock, dann würde ich mich um alles kümmern, meinen Schmerz, meine Angst, die trauer im meinen geliebten Bruder war so unerträglich, sie brannte wie Feuer in meinem leider noch pumpendem Herzen.

Alles schien mich auffressen zu wollen, Lucas war mein einziger Halt in diesem Chaos, ohne ihn wollte ich nicht mehr, ohne ihn war das Urteil für mich gesprochen, ich würde zu ihm gehen!

Auf WiedersehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt