Beim Anblick der massiven Stahltür wird mir schlecht vor Nervosität. Ich hatte keine Vorstellung von ihm, aber so hätte ich mir das Tor zu meiner Zukunft sicherlich nicht ausgemalt. Trotz seiner mächtigen Ausstrahlung wirkt der Stahl kalt und lieblos. Mein Herz hämmert in der Brust - im Gleichtakt mit dem Ächzen der Tür, als sie sich einen Spalt weit öffnet. Durch ihn fällt weißes Licht.
„Na los", wispert es, „Sieh hinein. Blick in deine Zukunft. Das wolltest du doch..."
Mir wird schmerzlich bewusst, dass ich mir von diesem Unterfangen eigentlich nicht unbedingt Wissen, sondern vor allem Zuversicht erhofft habe, ohne Garantie, ob sie mir mit dem, was hinter der Tür liegt, gewährt wird.
„Es wird Zeit", säuselt es. „Du hast nur diese eine Chance. Gleich schließt sie sich wieder."
Die Beschaffenheit der Tür verheißt nichts Gutes - jedenfalls rebelliert mein Bauch bereits und meine Angst wächst mit jedem schnellen Herzschlag. Aber ich kann nicht anders. Ich trete vor und lege eine Hand an die Tür, die andere an den Rahmen und beuge mich vor, um durch den Spalt zu spinxen. Meine Zukunft ist zum Greifen nah. Jetzt oder nie.
Doch als ich einen Blick hineinwerfen will, flammt das weiße Licht zu einem grellen Leuchten auf und blendet meine Augen, sodass ich mit einem Fluch auf den Lippen erschrocken zurückstolpere.
Ich höre das Kichern der Stimme, die mir vorher zugeflüstert hat.
„Was soll das?", brülle ich in den leeren, schwarzen Raum hinein, während die Tür unaufhaltsam zufällt. Als ich mich in meinem Unmut um die eigene Achse drehe, auf der Suche nach etwas, an dem ich meinen Frust auslassen kann, erstarre ich in der Bewegung.
Der Raum ist nicht mehr leer, wie ich ihn vorgefunden habe: Um mich herum wachsen etliche Türen in die Höhe, in allen möglichen Formen, Farben, Materialien und Größen - und bei jeder von ihnen öffnet sich gerade ein Spalt.
„Das ist deine Zukunft", verkündet die Stimme mit dem Klang einer niederschmetternden Wahrheit. „Du kannst in so viele Türen hineinsehen, wie du willst - du kannst dir sogar eine aussuchen. Deine ganz persönliche Zukunft, basierend auf dem, was war, was ist und was sein wird..."
Dort, wo die Türen in der Weite des Raums verschwinden, verschwimmt mein Blick. Ich zögere. Das Angebot klingt so verlockend, so unschlagbar - es stimmt mich zuversichtlich.
Doch in je mehr Türen ich hineinsehe, desto unsicherer werde ich. Ich kann immer nur einen kleinen Ausschnitt von dem sehen, was mich erwartet und immer sehe ich etwas, das mir nicht ganz perfekt erscheint. Aber schließlich warten da ja noch unzählige andere Türen, hinter denen etwas Besseres liegen könnte: Eine Zukunft, in der ich glücklich bin. Aber welche Tür ist es?
Ich kann mich nicht entscheiden. Und irgendwann merke ich, dass meine Zuversicht wieder zu schrumpfen beginnt, je mehr Türen ich öffne ohne hindurchzugehen. Stattdessen erdrückt mich die schiere Masse an Alternativen und die Zeit rennt mir davon. Dabei ist das doch meine eine Chance. Jetzt oder nie. Aber egal, wie viele Türen schon hinter mir liegen, es liegt immer noch mindestens das Doppelte vor mir.
Irgendwann bleibe ich unvermittelt stehen, voller Verwirrung, Unmut und Verzweiflung. Ich werde Ewigkeiten brauchen, alle Türen zu öffnen... womöglich ein Leben lang.
Weil mein Wunsch nach Zuversicht von dem Wunsch nach absoluter Erfüllung überlagert wird, seitdem ich die Wahl habe.
Und damit befinde ich mich im Grunde wieder in der Lage, als ich mir das enthüllende Tor zu meiner Zukunft herbeigesehnt habe. An dem Punkt, wo ich alles zerdenke, mich im Teufelskreis von Angst und Zweifeln bewege und mich am Gedanken an eine bessere Zukunft festklammere, ohne in ihm eine tatsächliche Ausflucht zu finden. Im Gegenteil:
Er lähmt mich, weil er jeder ausstehenden Entscheidung von mir eine schwerwiegende, wenngleich nicht einsehbare Bedeutung zumisst. Ich mache mich abhängig von einem Perfektionsanspruch an mich selbst und von optimierten Erfolgschancen, die ich an immer mehr, in ihrer Menge überwältigende Bedingungen knüpfe. Alles davon lässt die Selbstverantwortung permanent mit ihrem ganzen Druck und Gewicht auf mir lasten.
Mit dem Gedanken an eine bessere Zukunft neige ich dazu, den Fokus für die Gegenwart zu verlieren. Stattdessen arbeite ich auf eine utopische Ausgangssituation hin - ein Ziel, das ich weder erreichen kann noch das Endziel ist -, um mir Sprünge in die vermeintliche Freiheit - große Umbrüche - zukünftig zu erlauben.
Ich bin unzufrieden, weil ich nicht mehr greifen kann, welchen Wert mein jetziges Tun für meine großen Ziele hat. Aber vielleicht habe ich das Greifen, Fokussieren und Sehen nicht verlernt. Vielleicht habe ich vielmehr den Wunsch nach Klarheit fälschlicherweise auf die Projektion hinter unzähligen Türen verlagert, um Last abzustreifen, die ich mit jeder weiteren geöffneten Tür lediglich in Stücken wieder aufsammle. Als ich das realisiere, schließe ich die Augen.
Ich will keine Zeit mehr damit verschwenden, mit der Zukunft zu hadern oder nach der perfekten Tür zu suchen. Ich muss in mein Leben zurückzukehren, um dort eine nachhaltige Zuversicht zu suchen, die ich für eine glückliche Zukunft brauche. Meine Zuversicht ist nicht abhängig von dem Material, der Form und Farbe einer Tür oder von einer Erfolgsgarantie.
Sie lebt davon, dass ich meine innersten Wünsche erkenne und den Mut aufbringe, ihrer Erfüllung nachzugehen. Sie lebt davon, dass ich die gelaufenen Schritte auf dem Weg zu meinen Zielen im gelebten Moment erkenne. Ich darf und kann für mich und meine Zuversicht entscheiden und handeln.
Und zwar jetzt... und immer.
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Spalt
General FictionEine Tür, hinter der deine Zukunft liegt - Wirfst du einen Blick hinein?