1.London

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Es regnete schon seit heute Morgen. Inzwischen war es vier Uhr am Nachmittag, und Sie machte sich auf den Weg zur Tube Station. Immer wieder wich sie großen Pfützen aus und begutachtete sich in den matten Schaufensterscheiben. Die blonden Haare waren zu einem strengen Dutt hochgesteckt und der lange graue Mantel saß perfekt. Als das kalte Wasser ihren linken Schuh tränkte, fluchte sie laut, sah sich flüchtig um, zückte den schwarzen Stab, der in ihrer Mantelinnentasche versteckt war, und lief nach einem Schlenker mit diesem eilig weiter.

London war trotz des schlechten Wetters voller Menschen. Touristen hasteten mit bunten Regenschirmen von Souvenir-shop zum nächsten, Taxis spritzen Fluten von dreckigen Wasser auf die Gehsteige und die feinen Herren mit Anzug und Krawatte, verschwanden in den großen Bürogebäuden oder in Pubs um sich einen Tee zu genehmigen.

Sie schloss den grauen, schlichten Schirm, als sie Baker street Station erreichte und bog quer durch die schnatternden Menschenmengen zum Bahnsteig der gelben Linie.

Sie wollte auf dem schnellsten Wege zum Ziel kommen, kein Umsteigen, kein kompliziertes Wechseln zwischen Under- und Overground und so wenig Kontakt zu den anderen wie möglich.

Die Wagen fuhren, begleitet von kaltem Wind aus den dunklen Tunneln ein und hielt mit einem scharfen Quietschen.

Die Frauenstimme aus dem Lautsprecher verkündete „Baker street" und zählte die Umsteigmöglichkeiten auf. Zwischen, mit Regenmänteln bekleideten alten Damen und einem Mädchen, dessen Nase von oben bis unten durchlöchert zu sein schien, war noch ein Platz frei. Auf dem blau gemusterten Bezug prangte ein großer Kaffeefleck und sie blieb an einer der gelben Haltestangen stehen. Die Türen schlossen sich, begleitet von der Frauenstimme, die an die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig erinnerte.

Als der Wagon mit einem Ruck anfuhr, glitt ihr Blick aus einem der verkratzen Fenster zu ihrer linken. Dunkelheit und Schemen von Gebälk und Mauerwerk zogen mit einer rasenden Geschwindigkeit vorbei. Über der Wagentür, hinter der ein weiterer Wagon angrenzte zog kalter Wind und ließ die blonden Haare, die zu kurz für den Dutt waren, in das emotionslose Gesicht wehen.

Nach nur wenigem Schaukeln, Quietschen und Ruckeln, fuhr der Zug erneut in eine Station ein. „Euston Square" erklärte die Frauenstimme und erneut öffneten sich die Türen und ließen kalte Luft ein. Der unverwechselbare Tube-Geruch strömte ihr in die Nase, das Geräusch unzähliger von Schritten auf dem kalten Fliesenboden und das Lachen von fröhlichen Menschen drang an ihre Ohren - Aber sie blieb weiter unbeweglich stehen und zeigte keine Regung. Noch zwei weitere Male fuhr der Zug an, raste durch die Dunkelheit und hielt an einer hell erleuchteten Station, an welcher bereits Menschen, bepackt mit Taschen, lachend und schwatzend warteten, an.

Und zwei weitere Male blieb sie regungslos stehen.

Erst als der Zug das dritte Mal einfuhr und hielt, die Frauenstimme „Liverpool Street" ankündigte, und sich die Türen quietschend öffneten, ließ ihre blasse Hand die Haltestange los und sie verließ den Zug.

Lärmend fuhr er erneut in den Tunnel, als sie die Rolltreppe erreichte und wieder an Londons Oberfläche kam.

Es regnete immer noch, das kleine Stück Himmel, das man zwischen den Häusern erkennen konnte, war von grauen Wolken verhangen, und die Sonne immer noch hinter ihnen verschwunden.

Sie sah kurz nach oben, der Blick hing an den großen, fast schwarzen Wolken, dann spannte sie ihren Schirm wieder auf und eilte den fast leeren Gehweg entlang. Nachdem sie in zwei Seitenstraßen eingebogen war, erreichte sie endlich ihr Ziel. Drei weitere Menschen die ihr entgegenkamen hasteten an dem kleinen, schmuddelig aussehenden Pub vorbei, als würden sie ihn gar nicht bemerken. Sie aber stieß die Tür auf, schloss den Schirm und zückte den schwarzen Stab als hätte sie es schon geahnt, dass ihr die drei vermummten Gestalten entgegenkommen würden.

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