022 | noah

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oh panik, oh panik, ich singe nur für dich
weil ich weiß, dass du mein anfang und mein ende bist

⋆.ೃ࿔*:・

„Okay, zu meiner Verteidigung", begann ich direkt, als die beiden in mein Sichtfeld gerieten, doch Joel brachte mich mit einer Handbewegung zum schweigen und Colin sah ihn etwas eingeschüchtert an. Sie saßen an einem der Holztische, die Frau Schiller in den Schulgarten hatte stellen lassen. Sirius hatte sich zwar stark dagegen gewehrt (die Tische warfen angeblich Schatten, die die Ernte seines Gemüsebeets dürftig ausfallen lassen würden), aber wie so oft hatte ihm niemand zugehört. Und ich hatte nicht gewusst, dass wir uns heute draußen treffen würden und etwa zwanzig Minuten in der Cafeteria gewartet, bis ich Joel und Colin durch das Fenster erkannt hatte.

     „Colin hatte gerade eine tolle Idee für unseren Vortrag", sagte Joel voller Überzeugung, die ich weder in Colins Blick noch in dem Haufen Klebezettel finden konnte, die jemand über den gesamten Tisch verteilt hatte. Auf manchen davon standen seltsame Fragen, wie „Genre reflektiert Geschichte??", „Charlie = Sam Korrelation?" oder „Waffengesetze yay or nay?", auf anderen nur einzelne Schlagworte. Definitiv Joels Idee.

     Ich sah Colin mit hochgezogenen Augenbrauen an und er räusperte sich.

     „Na ja, ob sie toll ist weiß ich nicht, aber... Also, ich habe darüber nachgedacht, dass wir in Sachen Umsetzung ziemlich frei sind. Ich glaube aber, viele werden trotzdem einen normalen Vortrag halten und mich deshalb nach Alternativen umgesehen. Und, na ja, vielleicht wäre es möglich, unsere Erkenntnisse in Form eines Briefes zu schreiben. So wie Charlie es im Buch tut", murmelte er zögerlich und zuckte dann die Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht ist das auch bescheuert."

     „Hast du dir den Film endlich angeschaut?", warf Joel ein und sah mich kritisch an. Ich grinste schief.

     „Das mache ich heute Abend. Versprochen."

     „Ich will nicht gemein sein, aber deine Versprechen scheinen erschreckend wenig zu bedeuten."

     „Ist klar. Ich finde ein langer Brief ist eine gute Idee", sagte ich fest und setzte mich auf die Bank. Joel atmete genervt aus.

     „Du weißt doch nicht einmal, wieso. Du hast das Buch ja nicht gelesen."

     „Das stimmt. Aber Colin hat es dafür mindestens siebenhundert Mal gelesen, zumindest sieht das Buch so aus, deswegen vertraue ich seiner Meinung." Ich warf Colin einen entschuldigenden Blick zu, obwohl es stimmte. Das Buch hatte schon vor den Ferien auf seinem Nachttisch gelegen und sah aus, als hätte er daran den ein oder anderen Wutanfall ausgelassen. Der Wasserschaden und der scheinbar angebrannte Buchrücken waren dabei nur die Spitze des Eisberges. Entweder liebte Colin das Buch wirklich, oder er hatte eine äußerst beängstigende Art, zu lesen.

     „Wie auch immer", murrte Joel und setzte sich ebenfalls hin. Er nahm Colin einen Zettel aus der Hand und gab ihn mir. „Er hat schon etwas geschrieben. Ließ es dir durch und versuche, es zu verstehen." Ich verkniff mir einen schnippischen Kommentar.

     Patrick's love for Brad isn't proven by him accepting the secrecy of the relationship. It's not proven when Patrick tries to force Brad to stand with him in the cafeteria and it is not proven when he allows him back into his life after his father attacked him. All of those things and their dramatics may show that Patrick has fallen for him, but not that he is in love. Because falling in love and loving aren't always the same thing, which is something most people don't realize.

    That Patrick loves Brad is shown when the absence of any kind of relationship with him causes Patrick to lose his sense of self. Not because loving is giving yourself up, but because that is what young people tend to do when they love. Patrick wants to let Brad go, but he can't. Deep down, he knows their souls are somehow intertwined and even if they don't work out, there is no way anything else is going to. That is the reason why I believe the relationship between Patrick and Brad is actually portraying unrequited love.

    Obviously, Brad is attracted to Patrick, even to an extreme of kissing him when drunk, perhaps even more. It could be claimed that Brad fell for Patrick. Fell in love. But there comes the difference between falling in love and loving truly. As Fyodor Dostoyevsky put it: "But to fall in love does not mean to love. One can fall in love and still hate." Brad fell in love with Patrick, but hated it. He did not love him, because to love someone would mean welcoming exactly those feelings that he hates about himself.

Ich blickte etwas verschreckt auf. Colin wich meinem Blick aus, indem er sich ausgiebig umsah, während Joel mich kritisch beobachtete. Es war recht offensichtlich, dass diese Text nicht für meine Augen bestimmt gewesen war. Zumindest nicht in dieser Form.

     „Das ist gut", sagte ich knapp und gab Colin das Blatt zurück. Er nahm es an, ohne mich anzuschauen. Joel verdrehte die Augen.

     „Gut. Gut. Ich hoffe sehr, dass deine Auffassung von gut eine andere ist als meine. Selbst wenn der Rest total scheiße ist, kann uns dieser Abschnitt 15 Punkte holen! Das ist heftiges Material." Er seufzte verächtlich. „Aber vielleicht fehlt dir für das Verständnis auch das nötige... etwas. Immerhin ist das ziemlich emotional und wir wissen ja beide, dass das nicht so deine Stärke..."

     „Ich glaube, er hat es verstanden", unterbrach ihn Colin, dessen Stimme noch zittriger klang, als ich mich fühlte. Joel sah etwas verwirrt drein, aber fuhr nicht fort, während ich mir einen zufälligen Fleck auf dem Tisch suchte und versuchte, eins mit ihm zu werden.

     „Sorry, Noah, aber wenn du beim nächsten Treffen immer noch nicht das Material kennst, musst du dir einen anderen Weg suchen, um dich nützlich zu machen", sagte Joel dann und legte den Zettel in eine große blaue Mappe, die vermutlich eine von vielen war. „Ansonsten werde ich mich dafür einsetzen, dass Colin und ich allein an diesem Projekt arbeiten." Jetzt hob Colin den Kopf und sah Joel verstört an.

     „Ich schaue den Film heute Abend", murmelte ich abgelenkt. „Sorry, ich muss los."

     „Und das kannst du dir auch sparen. Wir arbeiten immer nur an dem Projekt, wenn alle drei von uns Zeit haben. Dafür habe ich extra unsere Stundenpläne abgeglichen. Du hast also keine Ausreden mehr." Ich seufzte und schulterte meinen Rucksack. Leider hatte er recht; ich hatte absolut nichts zu tun, außer ein paar Hausaufgaben die ich in meinem Kopf aber bereits auf morgen (nie) verschoben hatte. Gerade zog es mich aber sehr intensiv in den Wald und Pausen für mentale Gesundheit würden jawohl gelten.

     „Wir sehen uns morgen", murmelte ich noch, ohne direkt auf Joels Aussage einzugehen. Er warf mir einen schnippischen Kommentar hinterher, den ich aber schließlich gar nicht mehr hörte, da sich im gleichen Moment die Tür hinter mir schloss.

𝙀𝙓𝙄𝙇𝙀 ⁿᵒˡⁱⁿWo Geschichten leben. Entdecke jetzt