Zoe 2010
Ich beobachte wie das letzte Blatt am Baum abfiel und vom Wind in den grauen Herbsthimmel getragen wurde. Mir fröstelte es. Die Kälte breite sich tief in meinem Inneren aus und ließ meine Gedanken schwer werden. Es war Anfang Oktober und ich meinte, bereits den kalten Schnee in der Luft riechen zu können. Ich brauchte dringend eine Unterkunft für den nahenden Winter. Auf dem Campingplatz konnte ich vielleicht noch eine Woche bleiben, ehe es im Wohnwagen zu kalt werden würde. Kurz nach den Herbstferien würde der Platz für die Wintersaison eh schließen und ich brauchte eine Alternative. Aber wo sollte ich hin?
Ich brauchte nicht viel, aber ich musste die Möglichkeit haben, mich und meine Klamotten zu waschen, das war die Minimalanforderung. Sollte ich vielleicht doch fragen, ob ich wieder nach Hause kommen könnte? Wobei sich die Wörter „zu Hause" höhnisch in meinem Kopf anhörten und gleichzeitig einen unglaublichen Schmerz in meinen Eingeweiden auslöste. Ich hatte kein zu Hause, nicht mehr, vielleicht hatte ich es auch nie wirklich, aber nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter, hatte mir mein Stiefvater unmissverständlich klargemacht, dass ich in der Wohnung, welches ich für mein zu Hause hielt, nichts mehr zu suchen hatte. Nach der Beerdigung hatte er einige wenige Klamotten und meine Schulsachen in eine Tasche gepackt und sie mir mit hartem Blick in die Hand gedrückt.
„Ich will dich hier nicht mehr sehen! Den Sommer über kannst Du im Wohnwagen bleiben, danach musst Du selbst zusehen. Ich überweise Dir Kindergeld und Halbwaisenrente, sieh zu wie Du zurechtkommst! Ich will nichts mehr von dir sehen oder hören, ich bin auch nicht für Dich verantwortlich! Haben wir uns verstanden?"
Anstatt etwas zu erwidern, zu betteln oder nach dem Warum zu fragen, nickte ich einfach nur still. Seine Gefühlskälte hatte mich innerlich erstarren lassen. Ich verstand es nicht. Ich hatte ihm doch nie etwas getan? Sicher, wir hatten nicht das innigste Verhältnis zu einander, eigentlich gar keines, aber er war 10 Jahre lang der Mann meiner Mutter gewesen und ich wusste, dass die beiden eine tiefe Liebe verband, ich hatte es in ihren Augen gesehen. Doch ich war nie Teil ihrer Verbindung, ich war glaube ich, noch nicht einmal ein Teil im Herzen meiner Mutter, obwohl sie mich manchmal mit einem fragenden und traurigen Blick betrachtete, aber das werden wir nicht mehr klären können, nie mehr. Und trotzdem verstand ich nicht, wieso mein Stiefvater mich so allein ließ, ein Mädchen, welches 10 Jahre lang mit ihm am Tisch gesessen hatte, welches Teil seiner Reisen war die er mit meiner Mutter unternommen hatte und für die er sogar finanzielle Verantwortung übernommen hatte. Ich traute mich, noch einmal in seine grauen Augen zu blicken und erschrak, als ich auf pure Ablehnung und Geringschätzung stieß.
Und so kam es, dass ich mit 15 Jahren, nur mit einer Tasche und den nötigsten Dingen, aber ohne Erinnerungsstücke, Bilder oder anderen Dingen, die meine Persönlichkeit zeichneten, auf den Campingplatz zog und ganz allein für mich und mein Leben verantwortlich war.
Ich hatte Niemanden mehr. Kurz wollte die Verzweiflung in mir die Oberhand ergreifen, doch meine innere Kraft zwang sie nieder. Nein! Ich würde nicht aufgeben! Weiter zur Schule gehen, mein Abitur machen und Medizin studieren, so, wie es schon immer mein Plan gewesen war. Dieser Plan half mir, mich an meine neuen Lebensumstände anzupassen und den Sommer auf dem Campingplatz sogar ein wenig genießen zu können. Ich freundete mich mit dem Platzwart Albert an und durfte mir mit kleinen Arbeiten ein wenig hinzuverdienen. Er kannte meine Geschichte und schützte mich, in dem er schwieg und doch konnte er seine sorgenvolle Blicke nicht vor mir verbergen. Aber der Sommer war nun vorbei und ich brauchte ein Quartier für den Winter. Albert hatte mir angeboten, zu ihm und seiner Frau zu ziehen, aber die beiden wohnten am anderen Ende von Deutschland und ich wollte auf keinen Fall meine gute Schule verlassen, die für das Umsetzen meines Plans so elementar war. Und so stehe ich jetzt vor der ersten großen Herausforderung meines neuen Lebens und bin nicht sicher, ob ich ihr gewachsen bin.
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Mrs. Moon
RomanceMein Leben wird sich verändern, das Datum steht bereits geschrieben, aber bevor das geschieht, muss ich euch eine Geschichte erzählen. Ich habe die Wahrheit noch nie Jemandem erzählt, das wird sich nun ändern und ich erzähle von ihr, von Rachel Moon...