Es ist nun schon einige Zeit vergangen seitdem ich dachte meine Nachforschungen einstellen zu müssen. Damals dachte ich an einen Punkt angelangt zu sein, an dem ich nicht mehr weiter komme. Eigentlich verdanke ich es nur einem Zufall, dann doch endlich an die Informationen gelangt zu sein, welche ich schon fast aufgegeben hätte. Doch das Glück war zu diesem Tag auf meiner Seite, und nun durfte ich doch endlich die ganze Geschichte erfahren.
Da war ich nun auf der Terrasse, dieser alten Dame, und wartete, dass sie mit einer Kanne Tee und zwei Tassen zurück kam.Ich wartete nun schon etwas, und meine Vorfreude, oder anders gesagt; meine Anspannung, wuchs in diesen letzten Minuten, ins unerträgliche. Zu oft, und zu lang, hatte ich mir genau diesen Moment ausgemalt, und mir erdacht, wie, und unter welchen Umständen er wohl eintreten möge. Vorsichtig spähte ich mit einem schüchternen Blick ins innere des Hauses. Denn die Terrasse war nur der Ausklang eines großen Wintergartens, durch dessen große Scheiben, ich nun etwas in den unteren Bereich des Wohnzimmers (oder eher Salons) blicken konnte.
In jenem Moment sah ich nun die Alte, wie sie mit einem Tablet und dem besagten Tee, die Stufen des Salons herunter kam. Die Alte war schon sehr alt, jetzt da ich drüber nachdachte. Zumindest sah ich ihr an, dass sie Schwierigkeiten, beim tragen des Tablets hatte. Sie zitterte etwas, die Tassen klapperten, und impulsiv wollte ich aufstehen und ihr zur Hilfe eilen. Doch etwas an ihrem Gang verlieh ihr Sicherheit. Zumindest strahlte sie eine Art Selbstbewusstsein aus. Ein solches Selbstbewusstsein, wie es nur die alten Leute haben. Man kann ihnen ansehen, wie viel sie schon durchgemacht haben, und dass das Leben schon längst hinter ihnen liegt. Und ich ertappte mich bei dem Gefühl großer Ehrfurcht vor dieser Frau, die manch Dinge gesehen und erlebt hatte, von denen ich nun so ungeduldig erfahren wollte.Da saß ich also. Bezaubert und gebannt zugleich. Ich konnte meine Neugier bald schon bitter auf der Zunge schmecken. Und doch hatte ich eine dunkle Vorahnung, die von Sekunde zu Sekunde wuchs. Je mehr die Alte sich der Terrassentür näherte, desto mehr fühlte ich meinen Körper versteinern. Es wurde ganz still um mich herum, und ein furchtbarer Druck auf den Ohren baute sich auf. Fast wie wenn man unter Wasser fällt, und tiefer und tiefer sinkt. So schwer wurde mir, und ich bangte ob es noch gut sei, da zu bleiben. Da bleiben und wirklich diese Geschichte hören? Welche so vielen Menschen das Leben gekostet hatte.
Das Klacken der Terrassentür riss mich zu Bewusstsein.-"Hallo. Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat. Aber mein Wasserkocher spinnt etwas, wissen Sie. Und letztendlich habe ich dann doch den Herd benutzt." Die Alte setzte das Tablett auf den Tisch ab, an dem ich saß, und setzte sich selbst etwas schräg gegenüber von mir, auf einen dieser bequemen Stühle, auf einen derer ich auch saß.
-"Schon gut, keine Sorge, mir fiel es nicht schwer zu warten.", log ich und versuchte das herzhafteste Lächeln aufzusetzen, welches ich zu bieten hatte.
-"Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Es ist nicht selbstverständlich. Vor allem nicht zu diesem Thema."
-"Ach nein, keine Ursache. Ich freue mich doch immer gerne um etwas Besuch. In meinem Alter bekommt man den nicht mehr so oft, wissen Sie?" Die Alte hatte etwas schüchternes in ihrer Stimme, obgleich ich es aber viel eher ihrer charismatischen Höflichkeit zuschrieb. Sie stellte die Tassen vor uns, und schenkte ein. Leichte Dampfschwaden stiegen empor, als das heiße Wasser in den Tassen seine Ruhe fand. Ein angenehmer Duft stieg mir in die Nase. Und schon waren meine Zweifel und Ängste besänftigt. Ich entspannte mich, und die Alte schien dies zu bemerken. Eine wohle Wonne an Seligkeit überfiel mich, wie es nur in der Gegenwart mancher Menschen geschieht, in deren Nähe man sich stets, durch ihrer bloßen Anwesenheit, geborgen fühlt. Die Alte beobachtete mich für einen Moment. Dann blickte sie in die Ferne, und gemeinsam lauschten wir den Geräuschen des Gartens.
-"Also", fing ich nach einer Weile der Stille an. "Mein Name ist Constantin Kirsgarder. Es freut mich ihre Bekanntschaft machen zu dürfen Frau Dämong."
-"Die Freude ist ganz meinerseits. Aber bitte nennen Sie mich Risa. Risa Dämong." Sie lächelte. Und es war ein solch freundliches Lächeln, dass auch ich lächeln musste, und mich gleichermaßen ein warmes Gefühl von Dankbarkeit umfing. Es fühlte sich an, wie das langerwartete Wiedersehen mit einer Tante, oder vielleicht meiner Oma. Auch wenn letztere schon lang verstorben war, so hatte ich in diesem Augenblick ihr Gesicht vor mir, und dachte an sie, als ob sie selbst gerade vor mir säße.
-"Ich bin froh endlich jemanden gefunden zu haben, der mir weiterhelfen kann, zu verstehen, was damals geschehen ist. Sie müssen wissen, es fällt mir bis zum heutigen Tage nicht leicht zu begreifen, warum, und wie, ein solches Unglück über uns fallen konnte. Ich hatte gehofft, wenn ich die ganze Wahrheit erfahre, kann ich endlich abschließen, und diesen Teil der Vergangenheit ruhen lassen." Frau Dämong hatte mir aufmerksam zugehört, und jetzt schaute sie mich etwas besorgt an. Sie nahm einen kleinen aber achtsamen Schluck von ihrem Tee und sprach dann:
-"Ja vielleicht. Aber wissen Sie, über die Vergangenheit zu erfahren, macht sie nicht ungeschehen. Und ich kann ihnen bei weitem nicht versprechen, dass meine Geschichte Sie beruhigen wird. Eher im Gegenteil. Diese Geschichte ist grässlich, und bei Gott, keine leichte Kost. Ich habe zwar kein Problem damit sie ihnen zu erzählen. Aber sind sie wirklich sicher, dass Sie sie hören wollen?" Sie sah mich ernst an, und ich konnte die Besorgnis ihrer Worte nun abermals in ihrem Blick wiedererkennen. Ein Keim von Zweifel gedieh in mir heran. War ich doch eben noch so fest entschlossen.
-"Doch, ich will sie hören. Um meiner Mutter Willen. Ich will ihr Grab in Frieden besuchen können. Ich will meine Alpträume verstehen, und lernen dieser Angst ins Auge sehen zu können. Die Wahrheit über die Insel, ist der erste Schritt den ich gehen muss. Bitte erzählen sie mir die ganze Geschichte, wie Sie sie erlebt haben. Verschonen Sie mich um keine Details. Ich bin mittlerweile schon 17 Jahre alt. Ich verkrafte einen Schock, wenn es sein muss auch mehrere." Bei meinen letzten Worten zögerte ich. Aber ich sprach sie voller Überzeugung aus, obgleich ich mir absolut unbewusst war, was da kommen mochte. Frau Dämong hielt ihre Tasse in der Hand und schaute in ihr eigenes Spiegelbild, welches sich auf der Oberfläche ihres Tees abzeichnete.
-"Nun gut ich nehme Sie beim Wort. Ich beginne also ganz am Anfang. Hören Sie gut zu."