Am Strand

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Es war gegen Ende des Sommers. Es war sehr warm, und es herrschte eine heitere Stimmung auf der Insel. Ich hatte gerade einen hübschen Burschen namens Mino kennengelernt. Denn ich war zu der Zeit noch sehr jung, wissen Sie. Ich hatte gerade die Schule beendet. Und wir hatten nur eine Schule auf der Insel damals. Soweit ich mich entsinne, ist es auch die einzige Schule geblieben, die jemals auf der Insel existieren sollte. Die Insel ist ja zwar nicht gerade klein. Aber wirklich groß ist sie auch nicht. Man konnte bequem von einer Seite zur anderen laufen, und an manchen Tagen, wie diesen, wenn das Wetter schön war, entlang der Klippen und der Strandabschnitte, einmal um sie herum laufen. Und das taten Mino und ich nun. Denn es war Samstag, und er musste an diesem Tag nicht arbeiten. Er war bei den Fischern beschäftigt, wissen Sie. Tag ein, Tag aus, fuhr er mit den Fischerbooten, zusammen mit seiner Mannschaft, hinaus aufs offene Meer, und vollrichtete die wohl bedeutendste Arbeit auf der Insel. Fischen. Ich bewunderte ihn dafür. Denn die Fischer der Insel, waren hoch angesehene Leute, und alle respektierten sie, für das was sie taten. Sie versorgten die Insel mit dem wichtigsten Gut, welches sie zu bieten hatte. Denn wissen Sie, der Fisch den sie mit nach Hause brachten, reichte nicht nur um die Bewohner der Insel zufrieden zu stellen. Nein, sie fischten auch soviel über, dass ein großer Teil davon ans Festland verkauft werden konnte, und die Fischer somit die Haupteinnahmequelle der Insel waren. Auch Krabben, Muscheln, und all das andere, was man dort teuer verkaufen konnte, brachten sie mit. Und es verkaufte sich gut. Die Insel galt immer als zuverlässige Quelle, und viele auf dem Festland neideten sie deswegen. Umso mehr hatte ich eine bewundernde Achtung vor Mino. Dieser starke gut aussehende Mann, der jetzt mit mir an seiner Seite, mit ausgerechnet mir, um die Insel lief. Wir liefen Barfuß, und der Sand presste sich durch unsere Zehen, als wir den Strand entlang liefen. Die Insel hat eigentlich nicht viele Strände, doch an dieser Stelle traf der Sand auf das Meer, und die nächste Klippe war noch etwas vor uns entfernt.

-"Mino sag mal.", sprach ich endlich, nachdem wir eine ganze Weile, nichts sagend, so entlang gelaufen waren.

-"Fährst du eigentlich gerne zur See?" Mino schaute weiter auf seine Füße, als ich ihm die Frage stellte, und betrachtete wie das Wasser im ruhigen Takt der Wellen, hin und her, seine Füße überströmte, und sich kleine Krater in seinen Fußabdrücken bildeten. Er schien eine ganze Weile nachzudenken, bevor er mir schließlich antwortete:

-"Nein, eigentlich nicht, Risa."

-"Aber warum denn nicht?", kam meine Antwort, fast wie aus der Pistole geschossen. "Du hast doch so eine respektable Arbeit, und alle bewundern dich dafür."

-"Das mag sein, Risa. Aber weißt du..." Er legte eine Pause ein, und schaute immer noch auf seine Füße. Er ging nun etwas langsamer, und schließlich blieb er stehen. Das Wasser war durch die Sonne erhitzt, immer noch angenehm warm, und auch meine Füße umspülte es, mit einem sanften Kitzeln von Schaum und Sand. Die Sonne spiegelte sich im Wasser, und flackerte auf und ab, zum Tanz der Wellen. Auch ich sah hinunter, und es kitzelte mich nun zusätzlich in der Nase, sodass ich tief Luft holen musste um nicht zu nießen. Schnell blickte ich wieder herauf, und sah Mino an, der nun etwas über den Knöcheln tief, im Wasser stand. Er sah nun nicht mehr nach unten. Stattdessen waren seine Augen weit in die Ferne gerichtet. Ich folgte seinem Blick und konnte am Horizont nichts weiter erkennen, als das Meer und die Wolken. Mir kam es vor wie in einem Traum, und alles war still. Alles war still, bis auf das Rauschen der Wellen, und hier und da das Kreischen einer entfernten Möwe.

-"Ich habe Angst.", unterbrach Mino meine Träumerei. "Ich habe Angst vor dem Meer, und der Unendlichkeit des Wassers. Denn es liegt etwas Bedrohliches in diesen Tiefen. Jedes Mal, wenn ich mit der Mannschaft hinausfahre, ergreift sie mich wieder. Diese Angst. Das Wetter. Das Wetter Risa, ist unvorhersehbar. Und somit umso bedrohlicher. Man weiß nie, wann ein Sturm kommen mag, und wann diese unvorstellbaren Wassermengen, einen mal in die Tiefe reißen werden. Denn das tun sie Risa. Ja das tun sie." Er hielt einen längeren Moment inne. Sein Blick starrte immer noch fern hin zum Horizont, und die Wolken, spiegelten sich in seinen Augen. Seinen schönen blauen Augen. Wie das Meer dachte ich. So voller Tiefe und Scharfsinn. Ich konnte nicht ganz deuten, woran er wohl gerade dachte. Aber ich wusste, in diesem Moment, war er weit weit da draußen. Irgendwo inmitten der See, umringt von Wellen und dunklen Regenwolken. Seine Augen zuckten kurz, als hätte er sich an etwas erinnert, und schließlich sprach er weiter:

-"Es ist einige Zeit her, als es geschah. Wir waren weit draußen. Weit entfernt von der Insel, oder jeglichem Land, welches uns hätte halten können. Wir hatten einen guten Fang gemacht, und waren bereits auf dem Rückweg. Doch da geschah es. Der Wind hatte gedreht, und eine große Regenfront, aus pechschwarzen Wolken, baute sich vor uns auf. Noch eben war alles klar und unbekümmert. Keiner von uns hätte diesen grässlichen Wetterwechsel überhaupt je für Möglich gehalten. Doch da waren wir nun, und tauchten in die nasse Finsternis. In dieser Nacht Risa, ist mir klar geworden, wie vergänglich unsere Leben sind. Und wie zerbrechlich so ein jämmerliches Fischerboot. Du siehst, ich bin noch am Leben, und irgendwie sind wir dem Sturm entkommen. Doch meine Angst bleibt Risa. Meine Angst wird seitdem wohl immer bleiben. Diese Erfahrung hat mir gezeigt: dass mit dem Wetter und dem Wasser nicht zu spaßen ist. Das Wasser um unsere Insel ist tödlich Risa. Ob in den Wolken oder in den Wellen. Es ist tödlich. Und es wartet nur auf den richtigen Augenblick um uns zu holen Risa. Es wartet nur." Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Das Wasser an meinen Füßen, fühlte sich nicht mehr so angenehm warm an, wie es eben noch tat. Instinktiv nahm ich ein paar Schritte zurück, Richtung trockenen Sand. Mino bemerkte wohl mein Unbehagen, und schien von seinen Gedanken zu erwachen. Er löste seinen Blick vom Horizont, und wandte sich zu mir. Er ging mir ein paar Schritte entgegen, und fasste mich bei der Hand. Vorsichtig hielt er mich, während er mich, mit seinen Armen leitend, zu Boden setzte. Auch er setzte sich, und nahm mich in den Arm, sodass ich meinen Kopf auf seine Brust legen konnte. Das Wasser kam nicht ganz an unsere Füße, der Sand unter uns war warm, und zusammen mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages, entspannte ich mich wieder. Mino schien es auch so zu gehen, zumindest pochte sein Herz ruhig und gleichmäßig an meinem Ohr.

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