Falsch gelaufen

431 83 54
                                    

"Wisst ihr, was ich immer noch nicht verstanden habe?" Marlene lehnt sich zurück und streckt sich wie eine Katze. "Wie Ilia es geschafft hat, Teil der Rumtreiber zu werden."

Ilia muss grinsen. Sie hängt nicht oft mit den Mädchen aus ihrem Schlafsaal herum, aber wenn sie mal zu fünft einen Abend verbringen, dann ist es immer spaßig.

"Tja, ich bin einfach cooler als ihr", erklärt sie und fährt sich durch die seit wenigen Wochen kurzen Haare.

Es ist ein Unfall gewesen, dass sie Feuer gefangen haben, aber James hat sich beim Schneiden wirklich große Mühe gegeben und nachdem Dorcas sich ihrer hinterher auch noch angenommen hat, ist das Ergebnis beinahe präsentabel gewesen. Jetzt, einige Wochen und noch einen zweiten Haarschnitt später, sind sich drei Viertel der Rumtreiber einig, dass ihre Frisur besser ist als die von Sirius. Ilia ist sich nicht sicher, ob James und Peter das ernst meinen oder ihn einfach nur ärgern wollen, aber sie wird das nicht hinterfragen. Er hat ihnen allen angedroht, dass er eine Woche nicht mit ihnen redet, was sie natürlich alle mit gespielter Erleichterung quittiert haben, weil er sowieso eine Quasselstrippe ist.

Ilia weiß nicht, wie gut sie es finden würde, wenn Sirius tatsächlich eine Woche lang nicht mit ihr reden würde, aber zum Glück würde er das eh nie durchhalten. Die drei Jungs prahlen seit einer Weile damit, dass sie demnächst aus Protest gegen unangekündigte mündliche Abfragen einen Monat ein Schweigegelübde ablegen wollen. Ilia bezweifelt, dass sie das ernsthaft probieren wollen. Dazu reden sie alle viel zu gerne Unsinn. Besonders Sirius.

Sie weiß nicht genau, wie wohl sie sich damit fühlt, dass ihr Hirn in letzter Zeit recht oft Gedanken mit "besonders Sirius" beendet. Sie ist nicht blöd, sie hat Mary lange genug zugehört, wie sie von ihren romantischen Eskapaden berichtet (auch wenn sie vierzehn sind und Ilia sich nicht sicher ist, inwieweit man mit vierzehn schon Eskapaden gehabt haben kann - Mary behauptet das zumindest) und auch James' Begeisterung für Lily hat kürzlich eine gewisse Grenze überschritten. Also nein, sie ist nicht verblendet genug, dass sie nicht merken würde, was da für Gefühle für Sirius in ihr keimen. Sie hofft nur sehr, dass die schnell wieder weggehen, das würde nämlich vielleicht alles kaputt machen.

Sie ist ein Rumtreiber, eine von vier. Wenn sie Sirius daten würde (wobei sowieso fraglich ist, wie viel Interesse er an ihr hat), dann würde sie in Gefahr laufen, am Ende nicht mehr eine von den Jungs zu sein, sondern...naja...die Freundin von Sirius. Und das will sie auf keinen Fall.

"Ich finde trotzdem, dass wir auch eine Chance hätten bekommen sollen", meint Marlene. Mary schnaubt.

"Was, du meinst, wir hätten irgendeine Mutprobe gestellt bekommen sollen, damit wir am Ende Teil einer Gruppe von Losern sein dürfen, die sich die Rumtreiber nennen?" Sie zwinkert in Ilias Richtung. Die grinst unschuldig.

"Also ich musste keine Mutprobe erfüllen, um Teil der Gruppe zu sein", wendet sie ein. Mary verdreht die Augen.

"Lia, Darling, länger als fünf Minuten am Stück Sirius zuzuhören ist eine Mutprobe", erklärt sie.

"Und seid ihr nicht auf den Gryffindorturm geklettert, um einen Stab an die Spitze zu kleben?", mischt sich Dorcas jetzt mit ins Gespräch. Ilia zuckt mit den Schultern.

"Also ich bin sehr froh, kein Teil der Rumtreiber zu sein", erklärt Lily, die ebenfalls bis eben still war. "Eure Streiche sind zwar...gelegentlich amüsant, aber vor allem albern. Einfach Jungs, die Jungs sind." Sie wirft Ilia einen entschuldigenden Blick zu. "Und du, anscheinend."

Ilia schmunzelt, denn irgendwie stört es sie überhaupt nicht, als einer von den Jungs bezeichnet zu werden. Es zeigt, dass sie dazugehört. Dass Außenstehende sie als vollwertigen Rumtreiber sehen und nicht als Anhängsel.

"Dankeschön", sagt sie deshalb an Lily gerichtet, die die Augen verdreht.

"Du hängst einfach zu viel mit den Jungs rum", meint sie, aber es klingt nicht böse. "Pass nur auf, sonst ist nach den Ferien ein Bett für dich bei ihnen im Schlafsaal."

Es ist ein Scherz, aber Ilia kann nicht anders, als es sich vorzustellen und ihr Herz klopft schneller. Seit Jahren stört es sie, dass die drei zwangsläufig eine engere Bindung haben, als mit ihr, weil sie einen Schlafsaal teilen. Auch wenn Ilia die meisten Abende mit ihnen dort rumhängt und erst geht, wenn sie anfangen, sich bettfertig zu machen, sie also offensichtlich nicht viel verpassen kann, ist sie immer etwas abseits.

"Vielleicht ist bei Ilia einfach was schiefgelaufen", scherzt Marlene jetzt, "und sie hätte eigentlich ein Junge werden sollen."

"Der Bruder der Freundin von meinem einen Cousin wäre lieber ein Mädchen", berichtet Mary. Ilia schaut sie skeptisch an, weil es so typisch Mary ist, dass sie weiß, was im Leben des Bruders der Freundin ihres Cousins vor sich geht. "Er...oder naja, eher sie, macht jetzt sogar eine Hormontherapie deswegen. Sie hat zwar noch eine tiefe Stimme, aber sonst merkt man es fast gar nicht mehr. Sie trägt Kleider und hat lange Haare und Brüste und so."

Ilias Augen weiten sich.

"Das geht?", fragt sie schockiert. Ein Bild von sich selbst materialisiert sich vor ihrem inneren Auge. Sie, mit einem Adamsapfel und einem Bart. Ob so eine Hormontherapie ihr wohl eine tiefere Stimme geben würde? Würde ihre Brust verschwinden? Tausend Gedanken kreisen durch ihren Kopf. Oder...Ilia kneift die Augen zusammen. Mary hat von dem Bruder der Freundin ihres Cousins als sie gesprochen, nicht als er. Ginge das andersherum vielleicht auch?

Ilia versucht, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn andere von ihr als "er" sprechen würden. Von...ihm als "er" sprechen würden. Oh....oh! das ist ein interessantes Gefühl. Es macht klick. Wie zwei Puzzleteile.

"Ist ja krass", erklärt Dorcas. Ilia nickt.

"Krass in der Tat", murmelt...er.

Remus & Sirius: PuzzleteileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt