Oneshot

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1. Vigilie


Die Füße unter einer zusammengeknäulten Decke versteckt und den Oberkörper dem lodernden Kaminfeuer zugewandt, hatte Alicent die letzten Stunden ihr Buch über Verwandlungskünste gelesen. McGonagall zog ihrem Haus leidenschaftlich gern Punkte dafür ab, dass einige von ihnen die Zauber nie zu vollster Zufriedenheit hinbekamen. Wenn dann wenigstens einige wenige von ihnen das nötige Wissen hatten, konnten sie es in Zukunft vielleicht wieder ausgleichen. Sie war sich sicher, dass Professor Snape das so gewollt hätte, wenn er noch unter ihnen weilen würde. Der düstere Mann war nie besonders herzlich gewesen, aber ein guter Hauslehrer. Er hatte den Slytherins immer vermittelt, dass sie zusammenhalten mussten, und das hatten sie die letzten Jahre so gut es ging auch getan. Der Krieg hatte dies natürlich enorm erschwert, aber sie selbst war trotz aller Schwierigkeiten ihrer Familie und ihren Freunden treu geblieben. In ihren Augen hatten alle eine zweite Chance verdient.

Sie beugte sich gerade ein wenig nach vorn, griff nach einer offenen Schatulle mit Keksen, das goldig blonde Haar floss dabei fließend an ihr herab, als einige andere in den Gemeinschaftsraum kamen. Das Kichern der Mädchen ließ Alicent hellhörig werden. Sogleich bereute sie es jedoch von dem Keks abgebissen zu haben, als ihr Blick den der Jungs streifte. Verdammt, darin war sie noch nie gut gewesen. Augenblicklich begann sie leicht zu husten, als sie Draco und Blaise in Anzügen zurechtgemacht sah. Gleich daneben Theo, der grinsend zu ihr rüber sah. Oder hinter sie? Nein, das machte keinen Sinn. Hinter ihr war nur der Kamin und den würde er wohl kaum angrinsen. „Was machst du da auf der Couch!?", wollte Pansy fast schon entsetzt wissen, woraufhin Alicent erschrocken aufsprang. Sie wollte der Dunkelhaarigen zuvorkommen, die wie eine wütende Mutter auf sie zukam und diesen entschlossenen Blick draufhatte. Das schüchterne Mäuschen war sie nicht unbedingt. Man bekam durchaus etwas von ihr mit, da sie sich auch im Unterricht gerne zu Wort meldete, sie hatte Freunde und ein gutes Sozialleben, drängte sich aber eben nicht gerne auf.

„Du kannst doch nicht hier auf der Couch sitzen, wenn das Bankett gleich... nein wenn es schon begonnen hat", korrigierte sie sich mit einem Blick auf die Uhr. „Ich habe keinen Grund hinzugehen." Musste sie sich wirklich dafür entschuldigen? Sie hasste es in Gesellschaft von zu vielen anderen zu essen und wenn alle dabei schick angezogen waren, war es noch einmal viel schlimmer als in der großen Halle. Außerdem hatte keiner der Jungs sie gefragt, ob sie sein Date sein wollte. Es war nun einmal so, dass die Jungs in ihrem Jahrgang nur die Mädchen auf dem Schirm hatten, die sie kannten. Schüler wie Draco, Blaise, Theo, Crabbe und Goyle wiederholten aktuell ihr letztes Schuljahr, das während des Krieges stark gelitten hatte. Ebenso Pansy, Daphne, Milly und einige andere. Schüler wie sie, die immer ein Jahr unter ihnen gewesen waren, flogen unter ihrem Radar. „Lasst euch nicht aufhalten, ich habe alles was ich brauche", verkündete Alicent daher mit einem Lächeln und ließ sich guten Gewissens wieder auf die Couch sinken. Beleidigt atmete Pansy hörbar ein und lief zu den anderen zurück. Mit ihr verschwand auch die viel zu dichte Parfümwolke, an der Alicent beinahe erstickt wäre.

„Du kannst dich immer noch fertig machen. Zwar verpasst du das Essen, aber tanzen kannst du sicher noch", erinnerte Daphne sie freundlich. Alicent nickte. Sie wollte nicht unerreichbar spielen oder besonders lange darüber diskutieren und sie hatte es auch gar nicht darauf angelegt wie ein graues Mäuschen diesen Abend zu verpassen. Bisher hatte sie schlichtweg keinen Anlass gehabt hinzugehen. Viele von ihren Freundinnen waren bereits verfrüht nach Hause gereist, um ihre Familien nach dem Krieg länger sehen zu können. So weit sie wusste hatte es vor allem bei ihrer besten Freundin einige Glasscherben zu fixen gegeben, so viele Streitereien wie in ihrem Zuhause gewütet hatte, aber da steckte sie ihre Nase nicht hinein. „Ich mach mich schnell fertig und komme", versprach sie daher und lächelte sowohl Daphne als auch Pansy an. Die beiden waren netter als man glauben mochte, da konnte Alicent beinahe vergessen, dass ihre Freundinnen nicht da waren. „Wir halten dir einen Platz frei", rief einer der Jungs ihr noch zu, deren Blicke sie die gesamte Zeit über vermieden hatte. Es gab doch immer dieses gewisse Gerücht, das einem das Leben schwer machte und auch bei ihr war dies der Fall. Sie wusste nur nicht, wie viel die älteren Slytherins wirklich erreicht hatte.

Langsam entfernte sich die Gruppe von ihr und verschwand wie so viele vor ihnen aus dem Slytherin Domizil. Von Pansy hatte man am Gemeinschaftsraumausgang nur noch gehört, dass dies vermutlich der einzige und letzte Winterball war. Recht hatte sie damit. Zumindest war es ihr letzter, denn sie alle machten dieses Jahr hoffentlich ihren Abschluss. Alicent wollte nicht länger als nötig Zeit in Hogwarts verschwenden, sie wollte im Ministerium arbeiten und dort Karriere machen. Doch das war kein Thema für heute, jetzt musste sie sich erst einmal schnell zurechtmachen und in die große Halle eilen. „Shit", fluchte sie halblaut, packte ihre Sachen zusammen und rannte in ihr Zimmer, das sie sich mit ihrer besten Freundin teilte. Eben jene war nicht da, also hatte sie nun keine Beratung. Unsicher kaute Alicent auf ihrer Lippe herum, als sie ihren Kleiderschrank durchwühlte. Natürlich hatte sie viele Kleider, ihre Familie war ständig zu förmlichen Anlässen eingeladen gewesen, aber welches passte zu einem Winterball?

Schließlich entschied sie sich für eines und legte es fein säuberlich auf ihr Bett. Im Bad machte sie sich nur schnell frisch, für eine ausgiebige Dusche reichte die Zeit nicht, aber das hatte sie glücklicherweise heute Morgen schon getan. So kam es ihr auch zugute, dass sie ihr Haar in einer Haarklammer zusammengedreht hatte. Mit ein wenig Magie half sie nach, sodass sie wenige Augenblicke ein paar leichte Wellen sowie Locken im Haar hatte. Anders als Pansy, ihre eigentlich nette Art hinter verschlossenen Türen in allen Ehren, übertrieb Alicent nicht so mit dem Make-up, Schmuck oder überladenem Parfum. Es sollte ein rundes Gesamtbild abgeben, als sie sich um alles kümmerte und in ihr Kleid schlüpfte. Beinahe wäre sie am Reißverschluss gescheitert, aber auch dafür gab es Zauber, die ihr glücklicherweise wieder einfielen. Ihre Wangen waren durch die Hektik mittlerweile ein wenig am Glühen, was gleich vermutlich nicht viel besser werden würde, wenn sie zu spät in die große Halle kam. Sie hatte gehört, dass diese besonders festlich geschmückt worden war. Alicent konnte nur hoffen, dass die Gäste beschäftigt genug waren, um sie nicht anzustarren. Zuletzt fehlten nur noch die silbernen hohen Schuhe, als sie sich auf den Weg in die große Halle machte.

Unsicher stand sie einige Minuten vor der verschlossenen Tür. Durch einen Zauber von McGonagall drangen keine Geräusche von Innen nach Außen, was die Blonde nicht gerade hilfreich fand. Sie hätte gerne gewusst, ob das Bankett oder besser gesagt das Essen bereits beendet war und die Gäste schon zum Tanzen übergegangen waren. Bei ihrem Glück sprengte sie Todesstille und blamierte sich bis auf die Knochen. Für eine Slytherin hatte Alicent nämlich erstaunlich häufig das Talent sich viel zu viele Gedanken zu machen und das, obwohl ihre Mutter sie eigentlich zu einer selbstbewussten jungen Frau erzogen hatte. Tief atmete die junge Frau durch, ehe sie beide Türen schwungvoll öffnete und hindurchschritt. Sie hatte bereits mit dem Schlimmsten gerechnet, war aber glücklicherweise von Musik und einer enormen Geräuschkulisse empfangen worden. Augenblicklich verzogen sich ihre Lippen als sie das rege Treiben vor sich sah. Hinter ihr schlossen sich die Türen wieder, was sie daran erinnerte, dass sie nicht nur dort herumstehen sollte. Suchend hielt sie Ausschau nach den anderen Slytherins, betrachtete dabei aber viel eher die große Halle.

Am Himmel tobte ein weißer Schneesturm, dies hatte jedoch auch etwas Beruhigendes. Magische Schneeflocken fielen sogar an manchen Stellen und dennoch war es angenehm warm in der gesamten Halle. Die Tischdeko war passend weiß und erinnerte allgemein sehr an Schneeflocken. Alles glitzerte wundervoll und stimmte einen einfach nur glücklich. Zufrieden, dass man sie nun doch hergelockt hatte, wagte Alicent es noch einmal an sich herunterzusehen, bevor sie endgültig zu der Gruppe Slytherins trat. Ihr Kleid war insgesamt eher hell, war mit wunderschönen Stickereien verziert, die an das Muster auf Schmetterlingsflügeln erinnerten. Deshalb hatte sie das Kleid vor einiger Zeit für einen Ball in ihrem Familienanwesen ausgewählt, die einzelnen Ornamente gefielen ihr nämlich besonders gut, da sie nicht ausschließlich schneeweiß oder cremefarben waren.

Unter ihnen waren einige auch in ein unfassbar helles violett oder blau getaucht worden, sodass die Farbe nicht einmal als Pastellton bezeichnet werden konnte, so schwach war die Einfärbung. Nur auf den genaueren Blick zu erkennen und von Weitem nur zu erahnen. Die Stickereien zogen sich dabei durch das silberne Garn, welches genutzt worden war, wie glänzende Linien durch das gesamte Kleid. Es lag Alicent bis zu den Oberschenkeln eng an, betonte dabei ihre gute Figur, die wohl keiner vermutet hätte, der sie nicht privat kannte. In Hogwarts verschandelten diese hässlichen Schuluniformen alles, was man zu bieten hatte. So machte es ihr umso mehr Spaß sich in den Ferien oder nun hier auf diesem Bankett zurechtzumachen. Erst auf der Höhe ihrer Knie fiel das Kleid etwas weiter und machte so eine wundervolle Figur. Der Herzausschnitt schmeichelte ihrer Oberweite, die nicht besonders aus dem Durchschnitt hervorstach, aber in diesem Fall gut zur Geltung kam. Die Träger waren schmal, jedoch so geschnitten, dass ein wenig Stoff über ihre Oberarme fiel, wie es sich gehörte.

Da sie das Kleid an etwas Wunderschönes und Elegantes erinnerte, hatte Alicent sich beim Make-up für etwas Dezentes entschieden. So glitzerte der Lidschatten nur leicht, wenn Licht auf ihr Gesicht schien, trug aber nicht zu dick auf. Auch der Rest betonte mehr, als dass es erdrückte. Einzig und allein mit den weinroten Lippen war sie ein Risiko eingegangen, aber dies war eigentlich ihr Markenzeichen. Sie trug so gut wie immer weinroten Lippenstift und dieser Gewohnheit blieb sie treu. Die Ohrringe waren schmal, hingen jedoch einige Zentimeter herunter, da sie die obere Hälfte ihres Haars mit einer silbernen Haarklammer hochgesteckt hatte. Die verbliebenen Strähnen, sowie eine jeweils vorn fielen gewellt oder gar lockig ihren Rücken herab, beziehungsweise umschmeichelten ihr Gesicht. Alicent war ziemlich zufrieden mit sich. Sie wusste, dass sie gut aussah, ohne dabei arrogant auftreten zu müssen. Sie wusste, was sie hatte, und konnte damit umgehen. Das nötige Selbstbewusstsein an den Tag legend trat sie schließlich zu der Gruppe, die sie bereits vor einigen Augenblicke ins Auge gefasst hatte.

„Da bist du ja", begrüßte Daphne sie, als die Blonde mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihnen gekommen war. Alicent nickte leicht und ließ sich ein Sektglas in die Hand drücken, auch wenn sie es gleich wieder auf den Tisch stellte. „Das schenkt McGonagall aus? Mutig", feixte sie und nahm einen großen Schluck, um ihre Nerven etwas zu beruhigen. Man sah es ihr zwar äußerlich nicht an, was ausschließlich an der jahrelangen Übung lag, aber die Nervosität vernebelte ihr beinahe die Sinne. Was hielt ausgerechnet er von ihrem Auftreten? Es war albern sich darüber Gedanken zu machen, doch sobald Draco mit Pansy am Arm wieder zu ihnen trat, fiel ihr Blick unweigerlich auf ihn. Er stand dicht hinter den beiden und entließ gerade eine Ravenclaw aus seinem Griff, die kichernd zu ihren Freundinnen verschwand. Theodore Nott. Der Junge aus dem Jahr über ihr, der ihr den Kopf verdreht hatte, ohne es zu wissen. Alicent mochte ihn schon eine ganze Weile, doch erst seit diesem Jahr weiß er überhaupt von ihrer Existenz.

Sie bekam ein nicht schlecht von Draco, Pansy teilte ihr auf ihre ganz eigene Art mit, dass sie keine Einwände hatte und Theo... der hatte wohl keinen Blick für sie übrig. Er lief in die gleiche Richtung wie seine Ravenclaw, was Alicent enttäuscht ausatmen ließ. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Dafür war sie also hergekommen. Für einen Abend am Rande der Tanzfläche. Ganz ohne ihre Freundinnen, einen Tanzpartner oder eines Blickes von dem einzigen Jungen, von dem sie es gewagt hatte, ihn gut zu finden. Alicent hatte es sich immer verboten, da es in ihren Kreisen üblich war seinen zukünftigen Ehemann vorgestellt zu bekommen und sie sich vorher auf nichts einlassen wollte. Theo hatte sie dennoch gemocht und eben dieses Gerücht hatte sicher auch ihn erreicht. Offenbar musste er sie so furchtbar finden, dass er sie nun absichtlich mied. „Willst du tanzen?" Überrascht drehte die Blonde sich zu Vincent um, als dieser ihr mit einem treuen Lächeln auf den Lippen eine Hand hinhielt. Er war wirklich von Herzen gut. Nicht der Intelligenteste, aber seine Freunde und Familie würde er vermutlich bedingungslos beschützen. Er hatte ihr nie etwas getan, weshalb Alicent zu lächeln begann und ihre Hand in seine legen wollte.

Verhindert wurde dies jedoch durch Theodore, der sich zwischen sie beide drängte und ihr ein Glas Sekt hinhielt. Er war zu einer der Hauselfen gegangen, die Gläser mit sich herumtrugen. „Es tut mir furchtbar leid, wenn ich unterbreche", grinste er charmant, was Alicents Herz automatisch schneller schlagen ließ. Sie versuchte nicht allzu sichtbar einzuatmen, konnte jedoch nicht anders. Mit einem Glänzen in den Augen sah sie kurz zu den anderen rüber. Draco grinste zufrieden, als er seinen Arm um Pansy legte und auch Daphne zwinkerte ihr zu, oder hatte sie sich das bloß eingebildet? Hatte die ältere Greengrass Schwester sie absichtlich überredet herzukommen? „Nimmst du an?", fragte Theo und hob eine Braue, auch wenn das schelmische Schmunzeln seine Mundwinkel nicht verließ. „Oh ja auf jeden Fall", nickte sie in einem entschuldigenden Tonfall und nahm das Glas entgegen. Ihre Mühe hatte sich also doch gelohnt und auch wenn sie wusste, dass es kindisch war so auf eine Meinung eines anderen Menschen zu pochen, war es ihr dennoch wichtig.

Alicent unterhielt sich nämlich gerne mit dem Slytherin. Nicht nur heute, sondern auch im Unterricht, wenn sie eine qualitative Diskussion über den Unterrichtsstoff führten. Außerhalb der Klassenräume sprachen sie leider recht wenig, da hörte Alicent eher als Außenstehende zu und war kein Teil der Gruppe. So schlug ihr Herz nun natürlich umso schneller, als Theo ihr einige Minuten später das halb leere Glas sanft wieder abnahm, um sie auf die Tanzfläche zu führen. Selbst auf den Bällen ihrer Familie war es nie dazu gekommen, dass sie mit einem ihrer aktuellen Mitschüler getanzt hatte. Auch einen solchen wilden Herzschlag oder Vorfreude hatte sie deshalb noch nie gehabt, aber als Theo erst einmal begann sie zu führen, war es als wäre es niemals anders gewesen. Lachend unterhielt sie sich währenddessen mit ihm, vergaß doch glatt, dass sie eigentlich nervös sein sollte und genoss die Situation einfach nur. Alicent wusste gar nicht, wie Theo über sie dachte und wie lange er sie schon im Auge hatte. Es war nie einseitig gewesen.


Snowflake banquetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt