Der erste Kuss

Hier war ich nun, in der wohl unvorteilhaftesten Situation die mir hätte passieren können. Meine beste Freundin kniete über mir, ihre Hände umklammerten haltsuchend meine Schultern. Unsere Gesichter gerieten gefährlich nah aneinander. Ich erstarrte förmlich, spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Mein Mund war leicht geöffnet, jedoch unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. Unsere Blicke fingen sich gegenseitig ein, nicht Willens jemals wieder abzulassen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte ich plötzlich 2 Finger auf Höhe meiner Halsschlagader. Sie pulsierte verräterisch. „Ich...", wollte ich beginnen, war jedoch nicht im Stande meinen Satz zu beenden. Ihre Finger glitten – schon fast zu zaghaft – über meinen Kiefer hoch zu meiner Wange und umschlossen sie sanft. Ihr Blick fiel auf meine Lippen, ihr Mund formte sich zu einem kleinen traurigen Lächeln. Wir fühlten es beide. Jedoch war keiner von uns imstande den nächsten Schritt zu gehen...meinetwegen.

Noch vor wenigen Monaten fühlte ich eine eigenartige Unzufriedenheit, als würde mir etwas fehlen oder ich würde irgendetwas verpassen. Dabei konnte ich mich eigentlich nicht beklagen. Ich bin seit Jahren in einer – eigentlich – glücklichen Beziehung mit meinem Freund, auch im Job läuft es gut. Aber dennoch ließ mich dieses nagende Gefühl nicht los...bis ich SIE traf. Bevor ich es auch nur ansatzweise begriff, stellte sie mein ganzes Leben auf den Kopf – im guten Sinne.

Sie stellte DIE Definition einer Besten Freundin dar, jedoch bemerkte ich mit der Zeit, dass sich meinerseits andere Gefühle einschlichen. Gefühle, die ich nicht haben dürfte. Es geht nicht darum, dass sie eine Frau ist. Was meine Sexualität angeht habe ich mich nie auf ein bestimmtes Geschlecht festgelegt. Aber ich bin verdammt nochmal in einer Beziehung, wie kann ich da plötzlich Gefühle für jemand anderen entwickeln?!

Das sie diese anscheinend erwiderte, machte die Sache nicht gerade leichter. Man spürte in so vielen Situationen diese romantische Anziehung zwischen uns, ein Wunder, dass uns noch keiner darauf angesprochen hat. Es wäre wohl das Einfachste von ihr Abstand zu nehmen, unseren Gefühlen zu erlauben abzuebben. Aber ich kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Wer nimmt mir dann diese Unzufriedenheit, wer füllt diese kleine Leere in mir? Wer lässt mich aus meinem Alltag ausbrechen?

Sie nahm langsam die Hand von meiner Wange, entfernte sich von meinem Gesicht und erhob sich. Doch noch ehe sie sich versah saß sie wieder auf meinem Schoß. Ich packte – schon fast instinktiv – ihre Hüfte und zog sie zurück an mich heran. Mein stark pulsierendes Herz hatte kurzerhand die Oberhand über meinen Verstand.

Bevor sie etwas hätte sagen können, legte ich meine Lippen sanft auf ihre und ließ mich leicht zurückfallen. Sie erwiderte den Kuss ohne zu zögern.