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Decker und Meyer hasteten so schnell sie konnten zurück ins Dorf und in die Richtung, aus der sie annahmen die Schreie und den Schuss gehört zu haben. Deckers Lunge brannte fürchterlich, aber er konnte jetzt weder anhalten noch sein Tempo verlangsamen, er musste schnell sein um schlimmeres zu verhindern!

Als sie bei den ersten Häusern ankamen, fiel es ihnen schwer auszumachen, woher genau die Geräusche gekommen waren, denn nun war es totenstill.

„Sehen Sie, dort drüber, Herr Doktor!", sagte Meyer aufgeregt, der etwas am Boden bemerkt hatte und darauf zeigte.

Decker beugte sich über die besagte Stelle und untersuchte sie. „Holzsplitter", stellte er fest, dann bemerkte er weitere, sogar noch größere Holzstücke. „Mir scheint, als könnten sie von einer Türe stammen."

Die Männer sahen sich um und bemerkten im fahlen Mondlicht, dass die Tür der Jagdhütte aus ihren Angeln gerissen und in mehrere Teile gebrochen war. Einige tiefe Kratzer waren in das Holz eingelassen. Es bestand kein Zweifel daran, dass diese Türe mit gewaltiger Kraft bearbeitet worden sein musste. Jemand oder Etwas hatte sich gewaltsam Zugang zur Hütte verschafft!

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, griff Decker sein Gewehr, lud erneut eine Patrone und näherte sich vorsichtig der Türe. Schussbereit betrat er die hölzerne Hütte, die nur spärlich durch ein Kaminfeuer beleuchtet wurde. Meyer wartete derweil vor dem Gebäude und umklammerte seine Pistole.

Als erstes bemerkte der erfahrene Decker das blanke Chaos, welches im Inneren herrschte: Überall war Blut, das gemächlich an den Wänden und von den Möbeln herunterlief! Zudem war ein Schrank umgestürzt und hatte seinen Inhalt quer durch den Raum verteilt, einige Jagdtrophäen waren von der Wand gerissen worden und inmitten dieser Verwüstung fand Decker die Leichen zweier Männer. Er blickte sich noch kurz um, ob weitere Personen hier waren, fand aber niemanden.

„Verdammt, wir kommen zu spät!", fluchte Decker, „kommen Sie rein, Herr Meyer, es ist nun sicher."

Zögerlich betrat Meyer das kleine Häuschen und blickte entsetzt auf das grausige Bild, welches ihm hier geboten wurde. Der Schrecken war ihm deutlich in seinem Gesicht abzulesen.

Decker ging hinüber zu einem Bett, dessen Latten gebrochen waren und welches zahlreiche tiefe Kratzspuren aufwies. Darauf lag der blutige Leichnam eines Mannes. Er war entsetzlich zugerichtet! Die Glieder skurril verdreht, der Torso offenbar von einer kräftigen Kralle aufgeritzt, sodass die inneren Organe herausquollen. In seiner Hand umklammerte der Tote noch immer ein Jagdgewehr.

„Das ist Karl, der Jäger", kommentierte Meyer. „Er lebt hier in dieser Hütte, Meine Güte, was hat man ihm nur angetan?" Angewidert wendete er seinen Blick ab, doch sein Blick wanderte direkt hinüber zur zweiten Leiche. Der zweite Mann hatte eine Schusswunde in der Brust und wirkte geradezu unversehrt im Vergleich mit dem anderen.

„Das fürchterliche Werk eines Werwolfs!", merkte Decker an, „und um wen handelt es sich hier bei der zweiten Person?"
Er führte eine kurze Untersuchung durch und prüfte die Vitalzeichen, doch wie schon vermutet war auch dieser Mann verstorben. Sämtliche Versuche diesen Mann noch zurück ins Leben zu holen, wären vergebens gewesen.

„Das ist Stefan, er arbeitet als Schäfer. Der wohnt hier gleich gegenüber, auch am Rande des Dorfes."

„Mir scheint es so als wenn dieser Karl im Schlaf von einem Werwolf attackiert worden sein muss, doch ihm gelang es offenbar noch im Todeskampf nach seiner Büchse zu greifen und einen Schuss abzugeben. Dieser traf daraufhin Stefan in den Torso. Wie ich sehe, ein glatter Durchschuss. Anders würden sich mir die Lagen der beiden Toten nicht erschließen."

„Da stimme ich Ihnen zu, Herr Doktor, die Spuren sprechen eine eindeutige Sprache", entgegnete Meyer aufgeregt, „aber bedeutet dies, dass Stefan der Angreifer war? War etwa er der Werwolf, der unter uns weilte?"

„Das ist nicht ganz eindeutig", erklärte der Experte, „für gewöhnlich behalten Werwölfe ihre Gestalt post mortem."

Meyer blickte Decker nur fragend an.

„Das bedeutet nach dem Tod. Hier liegen aber zwei ganz normale Menschen - so wie Sie und ich! Außerdem liegt dieser Stefan viel zu weit weg, als dass er Karl hätte angreifen können. Seine Körperhaltung spricht auch dafür, dass er die Hütte eben erst betreten hatte, als ihn die tödliche Kugel traf. Wenn er die Hütte hätte verlassen wollen, müsste sein Körper anders platziert sein."

„Ich verstehe... Vielleicht wollte Stefan Karl nur zur Hilfe kommen?"

„Das wäre eine plausible Erklärung."

„Sehen Sie nur einmal hier am Boden!" Meyer zeigte auf die Holzplanken. Zwischen dem ganzen Chaos war es gar nicht so einfach, doch bei genauerem Hinsehen konnte man blutige Pfotenabdrücke ausmachen. Die Spuren erinnerten an die Pfoten eines Wolfes, waren aber um einiges größer. Sie führten zur zerbrochenen Türe und aus dem Haus hinaus.

Die beiden Männer folgten den Abdrücken, mussten aber schon wenige Meter vor dem Haus feststellen, dass es unmöglich war, die Spuren im feuchten Schlamm weiter zu verfolgen.

„Eindeutig war hier gerade ein Werwolf zugange! Diese abscheuliche Bestie hat erneut zugeschlagen!", reflektierte Decker die jüngsten Ereignisse.

„Werden Sie ihn verfolgen?"

„Nein, das hat keinen Nutzen. Dieses Monstrum ist bereits über alle Berge!", sagte Decker und schüttelte resigniert den Kopf.

Heuberg - Ein Dorf in Aufruhr (Kurzroman)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt