Kannst du mich in deinen Arm nehmen?

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(Spielt nach der achten Folge, kurz nach der Gruppendusche.)

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Ich wälze mich wieder im Bett, kann einfach nicht einschlafen, so eine Scheiße. Eigentlich bin ich es gewohnt, nicht viel Schlaf abzubekommen, aber dieses Mal kann ich aus einem anderen Grund nicht schlafen. Die Dusche mit Vitus und Quyntin vorhin war echt eine Schippe zu viel.

Sobald ich den zweiten Namen lediglich in meinen Gedanken ausspreche, dreht sich mein Magen bereits um, wobei dies irgendwie eher ein wohliges Gefühl hervorbringt. Dennoch möchte ich dieses Gefühl nicht haben, ich möchte einfach nur pennen, verdammte Scheiße.

„Varryn, ich weiß, dass du noch wach bist", kommt es feixend von der Seite. Dieser verdammte Geist, das hat mir gerade echt noch gefehlt. Ich vergrabe meinen Kopf im Kissen, sodass ich den schrecklichen Gesang des Geistes nur noch gedämpft höre. Ist der denn nie erschöpft?

In dem Augenblick, in dem ich den Geist aus meinen Gedanken verbanne, hat Quyntin wieder freien Eintritt und alles dreht sich nur noch um ihn. Ich kann nicht anders als an sein wundervolles Lächeln zu denken, das meine Mundwinkel schon einige Male nach oben zucken lassen hat.

Immer wenn ich an Quyntin denke, dann merke ich, wie sehr ich mich doch danach sehne, ihn einfach in meine Arme schließen zu können, ihm eine Stütze sein zu können für die guten wie die schlechten Zeiten. Doch ich kann es nicht, ich schaffe es einfach nicht. Ich konnte es auch vorher nie, weil ich es noch nie musste.

Ich stöhne genervt auf, diese ganzen scheiß Gefühle wachsen mir über den Kopf, ich möchte wirklich nur ein wenig Schlaf abbekommen, um langsam wieder Kraft zu bekommen. Die letzten Tage waren einfach scheiße anstrengend, ebenso die schlaflosen Nächte, die ich in letzter Zeit viel zu häufig habe. Wie lange habe ich jetzt schon kein Auge mehr zubekommen?

Sobald mein Geist endlich verstummt, ich meine Gedanken halbwegs abschalten kann und zum erneuten Male, dieses Mal mit etwas mehr Aussicht, versuche einzuschlafen, höre ich, wie sich etwas weiter entfernt von mir jemand bewegt und leise seufzt. Als ich meine Augen öffne, sehe ich Quyntin, der aufrecht in seinem Bett sitzt und sich mit den Händen übers Gesicht fährt. Wenig später verlässt er schleichend den Raum.

Ich zögere mit dem Gedanken, ihm zu folgen, um nach dem Rechten zu schauen. Vielleicht ist er ja nur mal kurz raus, um frische Luft zu schnappen, schließlich waren die letzten Stunden ziemlich nervenaufreibend und erschöpfend.

„Warum verlässt er mitten in der Nacht den Raum?", fragt mein Geist verwundert. Ich drücke mein Gesicht ins Kissen: Es war doch eben erst Ruhe, verdammte Scheiße!

„Sei still!", rufe ich flüsternd in mein Kissen, das die Worte glücklicherweise dämpft. Jedoch finde ich etwas Wahres an seiner Aussage, als ich mir sie nochmal durch den Kopf gehen lasse. Warum verlässt Quyntin mitten in der Nacht den Raum?

Als ich aus dem Flur ein Schluchzen vernehme, kann ich eins und eins zusammen zählen und zögere nur wenige Sekunden, bevor ich mich vorsichtig aus dem Bett schäle und ebenso wie er den Raum schleichend verlasse.

Die Tür öffnend sehe ich, wie Quyntin an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzt, die Beine angezogen und den Kopf auf den Armen ruhend. Sein gesamter Körper zittert und immer wieder weicht ein leises Schluchzen aus seinem Mund. Er sieht echt fertig aus.

Ich setze mich neben ihn, lasse meinen Kopf gegen die Wand hinter mir fallen und seufze leise. Wie scheiße es Quyntin wohl geht? Ich schaue noch einmal kurz zur Seite und beäuge sein Äußeres: Anscheinend sehr. Ich spüre einen Anflug von Mitleid, den ich vorher in diesem Ausmaß noch selten gespürt habe. Zwar würde ich ihm gerne helfen und ihn trösten, doch ich weiß nicht wie. Wie zum Fick tröstet man jemanden?

Einige Zeit überlege ich, was Audrey an meiner Stelle tun würde und was somit die beste Entscheidung wäre, doch schließlich sage ich einfach das, was mir als erstes in den Kopf gekommen ist, da Quyntin scheinbar mit jeder vergehenden Sekunde verzweifelter wird: „Du, ähm", ich blicke kurz leicht verlegen zur Seite, „du musst nicht traurig sein."

Als Quyntin zu mir hochschaut, die glasigen, roten Augen unübersehbar - auch weil die einzige Lichtquelle in diesem Flur die Laterne über uns ist -, fahre ich fort: „Ich, ähm... Also du... Du hast ein schönes Lächeln." Ich versuche meine Mundwinkel tröstend zu heben, was mir aber nicht besonders gut gelingt, da ich bei dem Anblick eines verzweifelten Quyntins erst recht nicht Lächeln kann. Er schmunzelt ein wenig über meinen Versuch ihn zu trösten, wendet seinen Kopf jedoch von mir ab und blickt auf die Wand gegenüber.

„Ach, Varryn", mein Geist schaut mich angestrengt und enttäuscht an, „Trösten ist doch nicht so schwer." Ich ignoriere ihn, schaue stattdessen zu Quyntin.

„Sag ihm einfach, dass du für ihn da bist", ergänzt mein Geist. Doch sobald ich auch nur versuche meinen Mund zu öffnen, schnürt es mir die Kehle zu und ich bin gezwungen meinen Mund wieder zu schließen. Warum ist das denn so scheiße schwer jemanden zu trösten? Ich seufze.

Quyntin schaut wieder zu mir, als er mein Seufzen hört. „Du musst nicht hier bleiben", sagt er.

„Doch", entgegne ich, aber den Grund, warum ich bleibe kann ich ihm nicht nennen, denn sobald ich dies versuche, fehlen mir wieder die richtigen Worte. Quyntin schaut mich einige Sekunden leer an, bis er seinen Blick wieder von mir abwendet.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich wieder etwas klarer denken kann und meine Kehle sich wieder frei anfühlt. Der Geist schaut mich erwartungsvoll an und sagt: „Varryn, jetzt oder nie."

Ich schlucke noch einmal schwer, sammle und sortiere die Worte, die ich aussprechen möchte, in meinem Kopf, lege meine Hand auf Quyntins Schulter und sage dann: „Ich möchte für dich da sein."

Quyntin zuckt erst bei meiner Berührung zusammen, dann schaut er mich mit einem Blick an, den ich nicht ganz deuten kann. Überraschung? Hoffnung?

Sein Blick wandert kurz zu meiner Hand, die auf seiner Schulter ruht, dann wieder zu mir. Möchte er, dass ich meine Hand dort wegnehme? Langsam ziehe ich meine Hand unsicher zurück, doch bereits nach wenigen Augenblicken liegt Quyntins Hand auf meiner. Ich blicke verwirrt auf unsere Hände, merke, wie sich etwas Röte auf meine Wangen legt und schaue dann wieder hoch in Quyntins grüne, verheulte Augen.

In jeder Sekunde, die langsam vergeht, wird Quyntin unruhiger, seine Hand zittert stärker und sein Atem wird schneller und unkontrollierter - fast so, als könnte er jede Sekunde die Kontrolle über seinen Körper verlieren. Er schaut mich wieder mit diesem Blick an und erst jetzt meine ich, ihn verstehen zu können. Quyntins Blick strahlt einen Funken Hoffnung aus, jedoch wird dieser von Unsicherheit und Angst fast schon erdrückt. Doch wovor hat Quyntin Angst? Glaubt er nicht, dass ich diese Worte ernst meine? Glaub er nicht, dass diese Worte wirklich etwas bedeuten?

„Kannst du mich in deinen Arm nehmen?", flüstert Quyntin unsicher. Und als hätte ich nur auf diese Worte gewartet, nehme ich Quyntin direkt in den Arm, halte ihn fest und lasse ihn nicht mehr los. Er soll sich in meinen Armen wohlfühlen und keine Angst mehr verspüren. Er soll wissen, dass es okay ist, alles einfach mal herauszulassen. Und vor allem soll er wissen, dass ich hier bin, um ihn zu unterstützen.

Die Zeit vergeht elendig langsam, tausende Tränen verlassen Quyntins Augen, es scheint, als würde es kein Ende nehmen. Sein Kopf ruht auf meiner Schulter, die vielen Tränen landen auf meinem Pullover und durchnässen den Stoff, doch ich lasse diese Kälte nicht durch und versuche Quyntin so viel Wärme, wie möglich, zu bieten. Auch wenn ich das niemals zugeben würde, Quyntins Anblick lässt meine harte Fassade bröckeln.

Ich verstehe selbst nicht, warum das so ist, doch Quyntin hat etwas in mir geweckt, er hat meine Empathie, die ich vor Jahren tief vergraben habe, wieder das Licht erblicken lassen. Sanft streiche ich über seinen Rücken, lasse das Licht durchscheinen und biete ihm Schutz, gewähre ihm den Eintritt in mein Herz. Quyntins Atmung wird ruhiger, er passt sie an meine an und unsere Herzen schlagen im Takt.

„Danke, Varryn Oswald Carmine", bricht Quyntin nach einiger Zeit flüsternd die Stille.

„Varryn reicht", entgegne ich und drücke ihn fester an mich. Ich spüre Quyntins Lächeln auf meiner Haut und auch meine Lippen formen ein leichtes Lächeln.

Gemeinsam, Arm in Arm, schaffen wir es durch die finstere Nacht.

~ 1380 Wörter

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 15, 2023 ⏰

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