»Mama? Wann sind wir endlich da?«
»Bald, Amy. Ruh' dich noch ein bisschen aus.«
Die Fahrt fühlte sich mittlerweile schon wie eine Ewigkeit an. Doch Amy wollte sich nicht ausruhen. Ausruhen konnte sie sich später noch genug. Sie wollte aus dem Fenster schauen. Und das tat sie auch.
Weitläufige grüne Felder, im Hintergrund graue Berge, deren Spitzen durch die Sonne, so schien es, in goldene Farbe getränkt waren. Ein paar kleine Wolken, die aussahen wie Figuren aus Märchenbüchern schmückten den türkisfarbenen Himmel. Es war ein perfekter Tag. Viel zu perfekt um den ganzen Tag in diesem Auto zu sitzen. Aber bald waren sie ja da.
Vor ihnen erstreckte sich ein schwarzes Asphaltband, das bis in die Unendlichkeit zu reichen schien. Neben der Straße begannen nun langsam, Bäume wie aus dem Nichts zu erscheinen. Schatten flogen über das Auto hinweg. Erst waren es nur ein paar. Amy versuchte, die Sonne hinter den dichten Nadeln zu erblicken. Sie schien noch immer genauso schön wie vorher.
Ein weiterer Schatten.
»Gleich sind wir da, Amy! Schau nur, wie schön der Wald hier ist.«
Amy suchte nach der Schönheit im Wald, doch in ihr breitete sich ein unbehagliches Gefühl aus. Die Sonne schien mit den Nadeln zu kämpfen, versuchte Amy in ihr warmes Licht zu tauchen. Doch sie schaffte es nicht. Das Licht wurde verdrängt und es dauerte nicht lange, bis sie durch einen finsteren Tunnel aus Bäumen rasten.
Das Auto verlangsamte sein Tempo, sodass die Bäume nun auf einmal viel greifbarer waren. Dunkle Silhouetten aus Gestein und Ästen. Etwas bewegte sich. Ein Reh? Amy würde am liebsten die Augen schließen, bis der Wald vorbei war, aber sie musste sehen, was sich da bewegt hatte.
»Mama?«
»Ja, mein Schatz?«
»Glaubst du hier gibt es Tiere im Wald?«
Mama lachte. »Mit Sicherheit! Hast du schon eines gesehen? Ich bin mir sicher, hier wimmelt es nur von Rehen! Oh, sieh nur!«
Das Auto blieb für einen Moment stehen und Amy erblickte eines der Tiere. Es war ein Hirsch, das wusste Amy. Sein majestätisches Geweih saß wie eine Krone auf seinem Kopf und seine Augen hatten Amy's fixiert. Sie spürte ein gemischtes Gefühl in ihrer Brust. Freude, Neugierde, aber auch Unbehagen und Angst. Er war riesig, bestimmt doppelt so groß wie sie selbst. Für einen Moment sah es aus, als würde er Amy zunicken, bevor er sich abwandte und hinter ein paar Büschen verschwand.
»Der war aber schön. Nicht wahr, Mama?«
»Ja, Amy. Ich muss zugeben, so nah habe ich selbst noch keinen Hirsch gesehen. Ah, jetzt sind wir gleich da. Siehst du das Schild am Straßenrand?«
Amy sah es. Ein altes, vom Wetter mitgenommenes, weißes Schild auf dem in großer Schrift zu lesen war:
Motel 66
Noch 4 Kilometer
Der Wald lichtete sich nach einer Weile und die Sonne war wieder zurückgekehrt. Amy freute sich, dass sie den dunklen Wald nun hinter sich lassen haben.
»Wow, Amy, sieh mal. Das ist ja gigantisch.«
Es war wirklich gigantisch. Obwohl man von hier nur die vordere Fassade sehen konnte, schien es riesig. Die steinernen Wände, die aussahen als wären sie schon ein wenig in die Jahre gekommen, erstreckten sich über drei Stockwerke nach oben. Etliche Fenster schmückten das alte Gestein und die grauen Vorhänge dahinter, ließen nur erahnen, wer in den Zimmern wohnen würde. Der Parkplatz war verhältnismäßig klein und nur ein paar Autos standen dort.
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Motel 66
Mystery / ThrillerAmy wird von ihrer Mutter bei einem mysteriösen Motel abgeliefert, an dem die Dinge nicht so sind wie es scheint. Es liegt nun an ihr, herauszufinden, warum sie überhaupt hier ist. Warum hat Mama sie alleine lassen? Warum sind die Leute hier so selt...