Als wir nach der Schule (Immer dieser Nachmittagsunterricht... und dann noch Hausaufgaben! Da hat man ja überhaupt keine Zeit mehr für wichtige Dinge...) zu mir nach Hause gingen, sah ich Valeen skeptisch an.
„Willst du wirklich bei meinem Vater im Arbeitszimmmer herumschnüffeln? Ich... echt jetzt?"
„Willst du etwas über deine Mutter erfahren?", kam prompt die Gegenfrage.
Oh, dieses Mädchen macht mich verrückt. Aber na gut...
„Wir haben zwei Stunden. Dann können wir noch an den Strand gehen", flüsterte ich.
Valeen klatschte in die Hände. „Let's go! Hmm... ich schaue am Schreibtisch und du beim Bücherregal, okay? Wenn da nichts ist, schauen wir noch im Schrank."
Eine halbe Ewigkeit später steckte ich gerade ein Buch über Meeresbiologie wieder in den Schrank, als ich das Klicken der Haustüre hörte.
Scheiße! „Valeen! Papa kommt heim!", wisperte ich.
Schritte kamen näher. „Mara?", rief Papas Stimme. „Mara, wo steckst du?"
Plötzlich seilte sich eine Spinne direkt vor mir ab. Ich zuckte zurück. Ein Buch hinter mir fiel mit einem dumpfen Knall auf den Boden. Ich erstarrte. Verdammter Mist aber auch!
Ich hörte ein Knarzen. Dann sah ich Valeen an. Die zeigte hinter mich und... grinste? Was an dieser Situation war bitte zum Lachen? Langsam drehte ich mich um. Das Regal war aufgeschwungen. Ich hörte Papa die Treppen hochkommen. Schnell packte ich Valeen am Arm und zog sie mit mir in den Gang hinter dem Bücherregal. Es klappte mit Schwung hinter uns zu, hoffentlich rechtzeitig! Durch ein Astloch sah ich, wie sich die Tür von Papas Arbeitszimmer öffnete.
„Mara?", fragte Papa. Er kam zur Tür hinein. Hoffentlich sah er das Buch am Boden nicht! Zeit, es wieder in das Regal zu stellen, hatten wir nämlich keine gehabt. Ich wagte kaum zu atmen. Bitte, Papa, geh wieder, beschwor ich ihn in Gedanken. Doch stattdessen setzte er sich mit gerunzelter Stirn an seinen Schreibtisch. Ich hörte ein kleines Seufzen aus der Dunkelheit neben mir, von dort, wo Valeen hocken musste. „Na toll", wisperte sie. „Wir müssen schauen, ob wir den Gang entlanggehen können. Hat dein Steinzeithandy eigentlich eine Taschenlampe? Die könnten wir jetzt, denke ich, ganz gut gebrauchen und meines liegt in meiner Schultasche." Wortlos zog ich mein Handy, Papas uraltes Tastenhandy aus meiner Hosentasche und schaltete die Taschenlampenfunktion an. Dann schlichen wir uns den Gang entlang. „Ist ganz schön gruselig hier", murmelte ich gedankenverloren. Ich dachte kurz nach. „Wir müssten jetzt ungefähr auf der Höhe meines Zimmers sein... Hey! Da ist eine Tür! Schau mal, Val!", rief ich aufgeregt. Das konnte doch nicht sein, oder? In meinem Zimmer war ein Zugang zu einem Geheimgang?? Ich wollte es unbedingt überprüfen und machte einen Schritt in Richtung der Türe, doch Valeen zog mich weiter. „Komm", meinte sie. „Da können wir später mal reinschauen. Wir sollten uns beeilen."
Wenig später landeten wir in einer großen Höhle... nein, eher einer Halle. Staunend sah ich mich um. Überall standen Sofas, Regale und Schränke, an den Wänden hingen Bilder und an einer Seite stand ein großes Himmelbett. So gut wie alles war in Blau- und Grüntönen gehalten. Die Decke war eine riesige Kuppel, die kunstvoll mit Fischen und anderen Meerestieren bemalt war. Es war atemberaubend schön hier. Wie ein Blitz durchfuhr mich ein Gedanke: Das hier muss das Zimmer meiner Mutter gewesen sein. Andächtig lief ich an den Regalen entlang. Fast alles waren Bücher – über das Meer, Fischarten, Delfine... und über die vier Elemente und Magie, Elfen und Trolle? Kurz wunderte ich mich, doch dann wanderte ich weiter. Es waren teils Sachbücher und teils Fantasyromane mit seltsamen Titeln wie 'Die Historie der Wassermenschen' oder 'Die Entstehung der Elementarvölker'. Alles hier war so schön! Doch dann bemerkte ich, dass Valeen schluckte. Sie sah beklommen aus. „Alles in Ordnung?", fragte ich sie besorgt. Sie sah mich ernst an. „Mara... das alles... ich fürchte, ich muss dir etwas erzählen. Komm, setzen wir uns.". Sie zog mich zu einem der schwarzen Samtsofas.
„Was denn?", drängte ich sie.. „Mara ... " Valeen zog mich in ihre Arme. Verdutzt erwiederte ich ihre Umarmung. „Hör mir gut zu, Mara. Was ich dir jetzt erzähle, darf nichts zwischen uns ändern, okay? Du..." Sie räusperte sich, während ich noch überlegte, was sie wohl gemeint hatte. „Du bist... spürst du eine Verbindung von dir zum Meer?" Ich erschrak. Woher konnte Val das wissen?? Ich hatte nie jemandem erzählt, dass ich das Gefühl hatte, das Meer würde mich verstehen, wenn ich am Strand meinen Gedanken nachhing, ja, ich hatte das Gefühl, die Ozeane hätten Seelen. „Ja...?", antwortete ich deshalb zögerlich. „Gut." Valeen wirkte erleichtert.
Mit ihren nächsten Worten sollte mein gesamtes bisheriges Leben aus den Angeln gehoben werden. „Pass auf. Du bist... Du bist ein Wassermädchen." Verdutzt sah ich sie an. „Ich bin was?" Zugegeben, ich wartete auf das Lachen und darauf, dass mir verkündet wurde, dass es nur ein Witz war. Doch es blieb aus. „Du bist ein Wassermädchen. Mehr noch, vermutlich sogar die als verschollen geltende Tochter der Königin der Meere." Verunsichert beobachtete ich ihre Miene, um zu schauen, ob es nicht vielleicht doch nur ein dummer Scherz war. Doch Valeen blieb ernst. „Jetzt schau nicht so! Ich meine es ernst!", seufte sie. „Also... du meinst Magie?", fragte ich sie schließlich. „Ja, in gewisser Weise Naturmagie", antwortete mir Val. „Aber... Magie gibt es nicht", unternahm ich einen letzten halbherzigen Versuch, meine sowieso schon unvorhandene Rationalität zu wahren. Valeen schnaubte. „Komm, das glaubst du doch selbst nicht! Aber bitte, du willst einen Beweis?" Mit diesen Worten entfaltete sie riesige, blaugraue Adlerschwingen auf ihrem Rücken. Mir blieb die Luft weg. „Ach du heilige Scheiße...", wisperte ich mit weit aufgerissen Augen. Meine Freundin klappte ihre Flügel (ihre Flügel!!!!) wieder ein und lächelte. „Hörst du mir jetzt bitte endlich zu? Es ist wichtig." Ich sah sie, noch immer schockiert, an. „Als ich dich zum ersten Mal sah, kamst du mir gleich... anders vor. Und du hattest diese Kette an..." Ich griff mir an den Hals. Valeens tiefe, graublaue Augen blitzten und sie grinste wölfisch. „Exakt diese. Ich vermutete, du müsstest ein Wassermädchen sein, doch auf meine Andeutungen hast du nie reagiert." Andeutungen? Ich hatte nie etwas in der Art mitbekommen! „Noch dazu war dein Signum grünblau – mit silbernen Ornamenten! So, musst du wissen, sehen nur die Energieträger der Aqua Regia aus. Doch weil du eben nichts von alledem wusstest, war ich mir schließlich sicher, dass ich mich geirrt hätte. Aber das hier...", sie machte eine ausladende Handbewegung, „...das ändert alles! Diese Bilder... Es steht fest: , die Königin des Meeres, aller Flüsse, Bäche und Seen, Fabelwesen des Wassers und Wassermenschen, aller sieben Weltmeere, ist deine Mutter." Sie ließ ihre Worte verklingen. Da machte etwas in mir klick.
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Die Schatten der Wellen - abgebrochen
FantasyEin Mädchen... der Ozean... Götter... und viel zu viele Geheimnisse. Mara, 16, wuchs in Havøysund, einer kleinen Insel in Norwegen auf. Als sie mit fünf Jahren mit ihrem Vater nach Fehmarn zog, war von Anfang an klar, dass sie niemals dazugehören wü...