11. Oktober 1901: Silbers Glanz und Goldes Schein sollen mein Vermächtnis sein *** aus dem Tagebuch von Annie Taylor.
Nicht mehr lange, und sie säße im Fünf-Uhr-Zwanzig-Zug nach Niagara Falls. Doch zuvor hatte sie noch etwas zu erledigen.
Schon am Vorabend hatte sie das Nötigste für zwei Wochen gepackt und ihre Vermieterin um Verlängerung ihres Mietvertrags um einen weiteren Monat gebeten, komme was wolle. Alles, was jetzt noch fehlte, war Henry, auf den schon das Reisekörbchen wartete, und den sie nur noch einsammeln musste – und natürlich das verflixte Interview. Vor dem graute ihr jetzt schon. Warum auch hatte sie sich darauf bloß eingelassen? Zugegeben, der Time-Press-Reporter war zu hartnäckig gewesen, als er sie vor dem Pere-Marquette-Depot regelrecht abgefangen und sich ihr in den Weg gestellt hatte. Dass hinter dem scheinbar freundlichen und harmlosen Gruß mehr steckte und sie in der Zwickmühle, erkannte sie erst, als er sich als Vertreter der schreibenden Zunft zu erkennen gab und es für sie zu spät war, um noch einen Rückzieher machen zu können. Dass diese Presseleute aber auch immer so penetrant sein mussten...
Andererseits hatte Frank, ihr Manager, sie oft genug darauf hingewiesen, dass Klappern zu jedem anständigen Handwerk gehörte und ordentliches Trommeln in ihrem ganz speziellen und noch nie dagewesenen Fall unerlässlich war; und zwar je lauter, desto besser. Wie er die Hände gerieben hatte, als die Nachricht von ihrem Nerven aus Stahl erfordernden Rekordversuch wie ein Orkan durch den Blätterwald gefegt war! Und das unmittelbar, nachdem er damit bereits wenige Tage nach ihrem ersten Zusammentreffen an die Öffentlichkeit gegangen war, ohne ihren Namen preiszugeben. Dieser, so hatte Frank ihr eingeschärft, sollte vorerst ungenannt bleiben, denn nichts heizte die Fantasie eines sensationshungrigen Publikums besser an als ein kurz vor der Aufdeckung stehendes Geheimnis. Außerdem würde diese Taktik ihnen beiden den zeitlichen Spielraum verschaffen, der nötig war, um eine geeignete Werbestrategie auszuarbeiten: Mit dem passenden Transportunternehmen als weiterem Sponsor neben Mr. Saunders' Küferei könnte man eine simple Reise von Bay City nach Niagara Falls in eine ausgedehnte Werbetournee mit allen möglichen Zwischenstopps verwandeln. Je später der Tag X für ihre Unternehmung, desto besser – und nicht nur aus Gründen der Pietät gegenüber dem verblichenen Präsidenten. Dass sie den allgemeinen Trauermonat abwarteten, würde jeder verstehen.
Nein, bis dahin wäre das öffentliche Interesse so gewaltig, dass sich an besagtem Tag – vielleicht sogar an ihrem Geburtstag! - das größtmögliche Publikum an den Fällen einfinden würde und der Knalleffekt umso größer wäre, wenn es richtig losginge. Er hatte wirklich keine Zeit verloren, um das in letzter Minute fertiggestellte Fass im Schaufenster eines Geschäfts an der südöstlichen Ecke Center Avenue/Saginaw Street für achtundvierzig Stunden bis zum Startschuss für den großen Werbefeldzug auszustellen. Dann wollte Frank mit dem mit „Queen of the Mist" beschrifteten Vehikel nach Niagara Falls aufbrechen und dort die Ankunft Annies erwarten. Zwei Tage lag nun seine Abreise zurück und Annie wurde von einer seltsamen Stimmung ergriffen.
DU LIEST GERADE
Silber's Glanz
Исторические романы4. Juli 1901: Silber's Glanz und Goldes Schein sollen mein Vermächtnis sein (aus dem Tagebuch von Annie Taylor) $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Das Leben hat es nicht immer gut gemeint mit Annie Tay...