Wie Tom in einen Spiegel blickt

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Tom erwachte von einem ohrenbetäubenden Knall. Die Wände bebten, Glas splitterte und Risse zogen sich wie Spinnfäden durch den Putz. Für einen Moment befürchtete er, die Villa würde endgültig in sich zusammenstürzen. Aber das Geräusch verebbte und das Zittern ließ nach. Dafür hörte er nun Stimmen aus dem Erdgeschoss. Stimmen, die weder von Severus, noch von Harry stammten. Und in diesem entsetzlichem Moment wurde ihm bewusst, dass sie gefunden worden waren. Er fühlte sich furchtbar schwach. Mit schierer Willenskraft gelang es ihm, sich aus dem Bett zu kämpfen. Als er endlich auf zwei Beinen stand, wäre er beinah zurückgefallen, sosehr zitterten sie unter seinem eigenen Gewicht. Er biss die Zähne zusammen und zog sich an der Wand entlang in Richtung Tür. Ihm war nicht bewusst, was er tun sollte, wenn er seinen Todessern gegenüberstand. Er wusste nur, dass er Harry und Severus beschützen musste. Endlich hatte er den Türrahmen erreicht. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und sein Atem ging stoßweise. Er war in keinem Zustand, seinen Todessern gegenüberzutreten. Doch gab es einen anderen Weg, Harry und Severus zu helfen? Leise öffnete er die Tür, verblieb jedoch im Schatten des Türrahmens und spähte hinaus. Der Anblick ließ sein Herz in der Bewegung erstarren. Das Treppenhaus war in sich zusammenstürzt. Eine Gruppe Todesser hatte die Trümmer mit gezückten Zauberstäben umringt. Und unter ihnen, mit schwarzen Locken, die glänzend über ihre Schultern wallten, stand Morgana. Sengender Hass durchflutete ihn, als er der Frau ansichtig wurde, die ihn in gleich zwei Leben ins Verderben gestürzt hatte. Schlimmer noch, es war diese Frau, die Artus Tod verursacht hatte. Alles in ihm verlangte danach, einen Todesfluch herabzuwerfen und ihre Existenz ein für alle Mal zu beenden. Aber das war nicht so einfach. Morgana war unsterblich. Und anders als mithilfe von Horkruxen, erhielt sie dieses Geschenk durch einen Feenpakt. Er konnte sie nicht töten. Vermutlich konnte er sie noch nicht einmal verletzen. Zumindest nicht in dem Zustand, in dem er sich gerade befand. Um sich abzulenken, wandte er sich von ihr ab, studierte stattdessen die Todesser. Zunächst hatte er geglaubt, dass sie die Trümmer mit Zaubern sicherten, um sich weiter durch das Gebäude bewegen zu können. Doch dafür waren sie zu aufmerksam, ihre Bewegungen zu angespannt. Und ihre Blicke waren eindeutig auf die Trümmer fixiert, so als wenn sie befürchteten, dass jeden Moment etwas oder jemand daraus hervorbrechen könnte. Darunter waren doch nicht etwa Harry und Severus begaben? Allein der Gedanke ließ ihn frösteln. Er konnte nicht hören, was dort unten gesprochen wurde, aber schließlich war es Lucius, der sich einen Weg durch die Trümmer bahnte und versuchte, soweit es denn möglich war, diesen Berg aus Schutt zu besteigen. Dann suchte er nach Lücken, zwischen Holz, Putz und Gestein und schien nach einer Weile fündig zu werden. Er entzündete ein Licht mit seinem Zauberstab und setzte seine Inspektion fort, schließlich nahm er seinen Gehstock zu Hilfe. Lucius wirkte angespannt. Der Vorstand des Hauses Malfoy war stets verkrampft in Toms Gegenwart. Aber diesmal war es schlimmer als sonst. Jede Bewegung war ruckartig, die übliche Anmut seiner Bewegungen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Beinah konnte Tom die Panik des Mannes fühlen. Ob es Morgana genauso ging? Tatsächlich hatte sich Misstrauen auf das schöne Gesicht gelegt. Sie sagte etwas und Lucius kämpfte um eine Antwort. Tom spürte die Macht, die von Morgana ausging und einen Moment später hoben sich die Trümmer empor, als wären sie nichts als Rauch und Federn. Die sich erhebenden Gebäudeteile enthüllten Harry und Severus, wie sie sich an Lucius Stab klammerten. Die Todesser sahen es ebenfalls. Und sofort waren sie zum Angriff bereit. Und schlimmer noch, auch Morgana war im Begriff, die Trümmer mit aller Wucht auf ihre Opfer herabschießen zu lassen. So schnell es seine Fähigkeiten erlaubten, wob Tom ein Schutzschild, um die drei Menschen zu schützen, die im Zentrum dieser Angriffe standen. Einen Moment später zischte er auf, als er nicht nur die geballte Macht seiner Diener, sondern auch Morganas Angriff abfing. Sein Blick wurde unscharf und er spürte, wie er zu Boden sackte. Seine Sinne drohten zu schwinden, doch mit aller Macht kämpfte er gegen die Ohnmacht an. Als er mühsam blinzelnd versuchte, das Bild unter ihm scharf zu stellen, wurde ihm bewusst, dass sich Harry, Lucius und Severus in einem Wirbel aus Magie auflösten. Beinah hätte er vor Erleichterung aufgelacht. Alle drei waren entkommen.
Schweigen hüllte sich um die Todesser. Morgana stand in ihrer Mitte, eine unbewegliche Statue vor einem Trümmerfeld. Dann drehte sie sich mit einem milden Lächeln zu den versammelten Todessern um. „Das passiert nicht noch einmal." Erneut zog sie nicht einmal den Zauberstab. Doch sämtliche Todesser fielen kraftlos zu Boden, wo sie begannen, sich in Qualen zu winden. Endlose Momente verstrichen, in denen Tom die Schreie seiner Diener in den Ohren gellten. Wie oft hatte er sich ebenfalls herausgenommen, sie auf diese Weise zu bestrafen? Öfter als er zählen konnte. Er hatte bereits gewusst, dass das, was er getan hatte, falsch war. Doch nun, wo er Morgana dabei beobachtete, wie sie sanft über Hände und Haare fuhr, wie sie ein „Schon gut", murmelte, während die Todesser sich durch ihren Crucio in Qualen wanden, in diesem Moment schauderte er vor Ekel. Auch er hatte das hier getan. Er hatte ganz ähnlich gehandelt. Aber es war etwas gänzlich anderes, es von außen mitzuerleben. Schließlich verstummten die Schreie, erstarben zu zitterndem Stöhnen und hilflosen Schluchzen. Morgana lächelte seinen Dienern zu. „Natürlich vergebe ich euch allen. Es ist nicht eure Schuld, dass einer von euch uns alle verraten hat. Aber ich denke, ihr versteht, dass sich das nicht wiederholen darf?" Sacht half sie einem der Todesser in ihrer Nähe auf die Beine. Dann lächelte sie erneut. „Imperio."
Stumm beobachtete Tom, wie ein Großteil seiner Diener vollkommen unter Morganas Kontrolle fiel. Er hätte wütend sein sollen, doch in diesem Moment war ihm einfach nur übel. Niemals hatte er das hier sehen wollen. Er wollte nicht, dass ihm seine eigenen Taten so unbarmherzig vor Augen geführt wurden. Einmal hatte er Morgana bekämpft, aufgrund der schwarzen Künste, derer sie sich bediente. Nun war er keinen Deut besser als sie.
Morgana lächelte währenddessen strahlend auf seine Diener herab. „Sucht ihr die beiden für mich? Würdet ihr das tun?"
Gleichzeitig bemerkte er, wie sie den Anti-Apparationszauber auflöste, der sie bisher wie ein unsichtbarer Käfig umgeben hatte. Seine Diener waren noch immer unsicher auf den Beinen. Viele konnten kaum aus eigener Kraft stehen. Er zitterte, als er sich abwandte. Er konnte dieses grausame Spiel keinen Moment mehr mit ansehen. Mit dem Rücken zu ihnen gewandt, hörte er, wie seine Diener nach und nach disapparierten. Eine Weile herrschte Stille. Irgendwo rieselte Putz herab und tanzte als grauweiße Schicht über den Boden. Morgana hob den Kopf. Suchend glitt ihr Blick durch das Treppenhaus. „Mein Lord? Ich weiß, dass du hier bist. Warum kommst du nicht, um eine alte Freundin zu begrüßen?" Ihre Stimme vibrierte lockend wie das Schnurren einer Katze.
Er durfte sich ihr nicht aussetzen. Zurzeit war sie ihm vollkommen überlegen. Aber er würde auch keine Schwäche zeigen. Er zeigte sich ihr am Treppenaufgang wie ein Herrscher, der eine Dienerin empfängt. Die Hand, mit der er sich am Geländer aufstützte, war so positioniert, dass die Pose entspannt wirkte und nicht wie der Halt, den er so dringend benötigte. „Morgana", grüßte er ruhig. „Macht es Spaß, mit meinen Todessern zu spielen?"
„Du bist zu weich mit ihnen. Dies war schon der zweite Verräter in so kurzer Zeit."
Suchend striffen ihre bernsteingelben Augen über sein Gesicht. Er frage sich, was sie wusste. Hatte sie Sir Hector und Sir Lancelot in deren früheren Leben kennen gelernt? War ihr die Verbindung zur Vergangenheit bekannt? Soweit ihm bekannt war, waren sie einander persönlich nie begegnet, aber musste das etwas heißen? Was wusste sie über ihn selbst und die Änderung seiner Pläne?
Er kniff die Augen zusammen. „Zu weich? Sei vorsichtig, Morgana. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Ganz besonders nicht, wo ich mich frage, ob ich dir noch trauen kann."
Lächelnd schlug sie die Augen nieder. „Aber ich habe deine Diener doch nur nach Harry und Severus suchen lassen. Ganz nach deinen letzten Anordnungen, mein Lord." Ihm gefiel nicht, wie besitzergreifend sie ihn mit „mein Lord", ansprach. War es schon immer so gewesen und es war ihm bisher nicht aufgefallen? Es erschien ihm als eine bittere Parodie dessen, dass er Harry so gerne in Gedanken seinen König nannte. Hastig besann er sich auf das Wesentliche. Lord Voldemort wäre erbost über die Übernahme seiner Diener. Emotionale Feinheiten wären ihm fremd. Erstmalig merkte er, wie sehr er sich bereits verändert hatte.
„Du hast bei deinem Suchbefehl einen Großteil meiner Diener unter deine Kontrolle gebracht, meine Lady". Er zischte ihr die Worte mit aller Abfälligkeit entgegen, die er aufbringen konnte. Ob er dabei den selben Ton wie früher traf? Er konnte es nicht sagen. Aber der Hass, den er empfand, war echt.
Sorge lag auf den ebenmäßigen Zügen der Zauberin. „Du scheinst in letzter Zeit sehr beschäftigt, mein Lord. Ich wollte nichts tun, als dich ein wenig in deiner Queste zu unterstützen."
„Ist das so?", fragte er langsam. „Dann lass sie frei. Auf der Stelle."
Aus großen unschuldigen Augen blickte sie ihn an. „Sicherlich, mein Lord. Doch zuvor hätte ich auch gerne einige Antworten von dir." Gut verhüllte Wut blitzte in ihren Augen. Aber er sah sie trotzdem Ob sie ihn auch so lesen konnte wie er sie? Sie glitt auf ihn zu. Ihr langes Kleid raschelte über den Boden. „Warum bist du hier und Potter und Snape noch am Leben?"
Sie wusste also nicht alles. Das war zumindest ein schaler Trost. Er entschied sich für einen Teil der Wahrheit. „In letzter Zeit spüre ich zu Potter eine seltsame Verbindung. Ich möchte ihr auf den Grund gehen. Und was wäre dazu besser geeignet, als sein Vertrauen zu erringen?"
Scheinbar beiläufig warf ihm Morgana einen Blick zu. „Meine Diener berichteten mir, sie hätten dich in der Begleitung von Snape und Potter in der Winkelgasse gesehen. Du warst ohnmächtig und die beiden levitierten dich zwischen sich. Was hat das zu bedeuten?"
Er zeigte ihr die kalte Wut, die er ihr gegenüber empfand. „Ich gab Ihnen Grund zur Annahme, sie hätten mich besiegt, und genug zu denken um mich nicht gleich auszuliefern. Wärest du nicht gekommen, vielleicht hätte ich dann endlich das Gespräch führen können, auf das ich schon seit einer Weile hinarbeitete."
Langsam schritt Morgana zu ihm empor. „Ich bin untröstlich, deine Pläne durchkreuzt zu haben. Aber welche Art von Verbindung soll zwischen euch sein, dass du dafür deine größeren Ziele verschiebst?"
„Bist du nicht von selbst darauf gekommen? Ich trage denselben Zauberstab wie der Junge. Wir können uns in unseren Träumen erreichen und unsere Nähe spüren. Wundert es dich wirklich, das ich versuche, den Grund für diese Verbindung herauszufinden? Alles, was ich über den Jungen weiß, wird mit dabei helfen, ihn endgültig zu beseitigen. Ist das allein nicht Grund, der Angelegenheit nachzugehen?"
Sie stand nun vor ihm, legte eine bleiche Hand an seine Wange. Er gab sein Bestes, nicht zu schaudern. „Ich danke dir für diesen Einblick in deine Gedanken, mein Lord." Sie seufzte bedauernd. „Ich wünschte nur, es wäre die Wahrheit."
„Du zweifelst meine Worte an?", fragte er warnend.
Sie lächelte sanft. „Du hast nicht eingegriffen, als ich deine Todesser übernahm. Du bist nicht hinzugekommen, um den letzten Schlag gegen Potter zu führen, wie es dir zusteht. Und die Kraft, die die drei Verräter am Ende abschirmte ... keiner der Drei hätte etwas derartiges zu Wege gebracht." Verzweiflung und Wut glomm in ihren Augen. Und er war sich sicher, dass diese Gefühle echt waren. „Du warst geschwächt, zu schwach um einzugreifen, weil du deine Horkruxe zurücknimmst. Und dennoch hast du sämtliche verbliebene Kraft selbstlos aufgeopfert, damit dein König entkommen kann. Ist es nicht so ... Merlin?"
Für einen Herzschlag trafen sich ihre Blicke. Es hatte keinen Sinn, diese Scharade weiterzuspielen. Er war durchschaut. Er spürte, dass sie Kraft für einen Angriff sammelte. Genauso wie er wusste, dass es dazu nicht kommen durfte. Nicht jetzt, nicht hier. Er musste hier fort, bevor er womöglich mehr verlor als sein Leben. Sie begriff im selben Moment, was er vorhatte. Er spürte, wie sie erneut einen Anti-Apparationszauber heraufbeschwor, um ihn an der Flucht zu hindern. Sie war gut und sorgfältig, wie sie es stets gewesen war. Aber es brauchte mehr als einen eilfertig heraufbeschworenen Zauber um einen Zauberer seines Kalibers an der Flucht zu hindern. Wie ein Schwall Rauch drang er durch das Netz ihres Zaubers. Ihr wütender Schrei, war das letzte, was er hörte, bevor die Welt schwarz wurde.

„Hallo Merlin. Du stinkst nach schwarzer Magie." Die Stimme klang wie das Glucksen eines Tümpels. Er war zu geschwächt gewesen, um bei seiner Apparation einen klaren Gedanken, geschweige denn ein klares Ziel ins Auge zu fassen. Eigentlich war es mehr Instinkt gewesen, der ihn hier her getragen hatte. Aber nun, wo er hier war, wusste er nur zu deutlich, was er zu tun hatte.
Grollend kniff Tom die Augen zusammen und massierte seine schmerzenden Schläfen. Sein ganzer Körper fühlte sich zerschlagen an. Kaum gelang es ihm, die Hände zu heben. Alles in ihm fühlte sich schwach und zittrig an. Und dieser verdammte Nöck redete definitiv viel zu laut. „Ich hasse dich, Niam", murmelte er.
Ein eisig kalter Schwall Wasser ging auf ihn nieder. Prustend öffnete er nun doch die Augen. Um ihn her lag die Nacht in Frost erstarrt. Und aus einem Tümpel blickte ihm das grinsende Gesicht des Nöck entgegen. „Danke, gleichfalls", sagte das Wesen ohne Hitze und begutachtete ihn spöttisch.
„Hast du mich gerade mitten in einer frostigen Winternacht mit Wasser übergossen?"
„Eigentlich war es mehr Matsch als Wasser", korrigierte das Wesen hilfreich.
Stöhnend ließ Tom seinen Kopf zurückfallen. „Kann ich mit deiner Herrin sprechen?"
Der Nöck verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum wollen immer alle mit meiner Herrin sprechen? Auch wenn mein Königreich aus einer schiefen Hütte am Grund dieses Tümpels besteht, ein Reich ist es dennoch. Nur weil sie ein ganzes Schloss mit Gefolgschaft, ein Dorf, Wälder Seen und Felder hat, heißt das noch lange nicht, dass sie wichtiger ist, als ich."
Tom warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
Der Nöck verzog schmollend den Mund. „Gut, selbst wenn sie wichtiger ist als ich, heißt das noch lange nicht, dass ich dir nicht auch weiterhelfen kann."
Tom seufzte. „Kannst du mich denn reinigen, Niam?"
Die Augen des Nöcks blitzten. Eine weitere Wasserfontäne stürzte in seine Richtung und wusch den Schlamm fort. „Gern geschehen."
Tom ließ den Kopf ins Gras fallen und konzentrierte sich aufs Atmen. Vielleicht war es ein Glück, dass er zu geschwächt war, um wirklichen Schaden anzurichten. Denn gerade hatte er den wirklich innigen Drang, dieses unverschämte Wesen mit einigen wahrhaft dunklen Flüchen zu belegen. Dann dachte er an Morgana und das Bedürfnis fiel in sich zusammen wie ein Häuflein Asche. „Eigentlich meinte ich das Reinigen von schwarzer Magie", brachte er hervor.
„Achso", sagte der Nöck vergnügt. „Ups." Neugierig legte er den Kopf schräg. „Ist es eigentlich bequem, da so im Gras zu liegen?", fragte er betont arglos. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass unter deiner Hüfte ein spitzer Stein liegt."
„Was du nicht sagst", murmelte Tom. Unter Mühen stemmte er sich in eine etwas aufrechtere Position. „Die Herrin von See? Bitte?"
Der Nöck betrachtete ihn eingehend. Dann schlich sich erstmals Sorge auf die ebenmäßigen Züge. „Dir geht es nicht gut, oder?"
Tom biss die Zähne zusammen. „Wie kommst du denn darauf?"
Niam verschränkte die Arme. „Hast du schon mal ein Feenwesen getroffen, dass gut darin war, die Befindlichkeiten eines Menschen einzuschätzen? Ein Hinweis wäre nett gewesen!"
„Ich liege mitten im Winter auf einer Wiese!", grollte Tom.
„Genau!", rief der Nöck aufgebracht. „Das tue ich auch ständig. Es ist schön da!" Dann wurde sein Blick sanfter. „Ich bin gleich mit der Herrin zurück."
Er tauchte unter und einen Moment hörte Tom nichts weiter als das Rauschen des Windes und das leise Glucksen des Wassers.

Schon wollte er in selige Ohnmacht zurücksinken, als ihn eine Stimme daran hinderte.
„Merlin. Es ist lange her."
Er sah auf und erblickte eine Frau, die in Wasser und Schaum gekleidet war. Ihr Haar besaß die Grün- und Blautöne eines Sees und ihre Augen leuchteten in der Farbe von klarem Wasser.
„Nimue", murmelte er.
Er hörte mehr, als dass er sah, wie sie sich neben ihm niederließ. Ein kühler Finger strich über seine Wange und vertrieb einen Teil der Schmerzen.
Sorge lag in ihrer Stimme. „Wer hat dich so übel zugerichtet?"
Er schmunzelte humorlos. „Ich selbst."
„Meinst du damit deinen Zustand, oder die schwarze Magie, die wie Gift durch deinen Körper rinnt?"
Mühsam öffnete er die Augen. „Beides."
Sie schwieg. Schon hatte er Angst, sie würde wieder gehen, doch alles, was sie tat, war ihn genau zu betrachten. Voller Scham wandte er sich ab.
„Niam meint, du wärest hier, um Reinigung zu erfahren?"
Langsam atmete er aus. „Wenn du glaubst, dass es möglich ist."
„Du bist sehr geschwächt, mein Freund. Und der Körper, den du bewohnst, er ist selbst ein Zeugnis schwarzer Magie, nicht wahr?"
„So ist es", murmelte er. „Einer meiner Diener hat ihn in einem schwarzmagischen Ritual für mich erschaffen, nachdem mein alter ... verloren war."
„So ist sowohl dein Körper, als auch deine Seele von schwarzer Magie erfüllt", sagte sie leise. „Wenn ich dich reinige, so weiß ich nicht, was von dir übrig bleibt."
Er dachte an Morgana. Erst vor wenigen Momenten hatte er verstanden, wie tief seine Schuld eigentlich reichte. Er konnte nicht zulassen, dass so etwas noch einmal geschah. „Gerade ... bin ich eine ständige Gefahr für die Menschen, die mir etwas bedeuten. Ich muss etwas dagegen tun."
Sie betrachtete ihn eingehend. „Aber du hast bereits begonnen, deine Horkruxe in dich aufzunehmen. Ich kann es spüren."
„Die Seelensplitter sind genauso verdorben wie die Magie in mir. Wenn du mir hilfst, vielleicht werde ich dann in der Lage sein, sie künftig selbst zu reinigen." Vielleicht wäre er dann auch wieder in der Lage zu heilen. Noch immer erschreckte ihn, wie knapp Harry und Severus heute dem Tod entronnen waren. Der Gedanke, sie zu verlieren, weil er des Heilens nicht mächtig war, war unerträglich.
Sie musterte ihn scharf. „Und wenn es dein Leben kostet?"
.Sein Leben ... es war nicht lange her, da war der Tod seine größte Angst gewesen. Er begann gerade erst wieder zu verstehen, dass es so viel größere Dinge gab. Er schloss die Augen. „Dann soll es so sein."
Eine grazile und doch kräftige Hand half ihm auf. „Dann komm", flüsterte Nimue. „Komm zum Wasser."
Schwer musste er sich auf sie stützen. Doch sie half ihm, bis er bis zum Oberkörper im eisigen Wasser stand.
„Wenn Harry und Severus nach mir suchen, sag ihnen ..."
Klare blaue Augen blickten ihn abwartend an.
Was sollte er sagen? In manchen Momenten reichten Worte nicht aus, ganz gleich, welche man wählte. Er schüttelte den Kopf. „Sag ihnen, es tut mir leid."
Sie nickte. „Einst hast du mich aus Morganas Herrschaft befreit. Nun ist es an der Zeit, dir dieses Geschenk zurückzugeben."
Sie hob die Arme empor und die Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen.

XXX

Eigentlich war es eine schöne Winternacht. Schnee rieselte gegen das mit magischen Eiszapfen geschmückte Fenster. Von Ferne war das Donnern der nahen Brandung zu hören. Aber Draco Malfoy fand keine Ruhe. Im Licht einiger Kerzen saß er im Arbeitszimmer seines Vaters und arbeitete sich durch die Geschäftsbücher. Es war keine Aufgabe, der er gerne nachging. Aber Lucius hatte nur zu deutlich gemacht, dass sein Leben am seidenen Faden hing. Jedes Mal,wenn sein Vater gerufen wurde, fürchtete Draco, er würde nicht zurückkehren. Und so hatte er bereits einige lange Nächte wie diese verbracht. Würde sein Vater sterben, konnte Draco die Geschäfte übernehmen. Würde es soweit sein, dann hatte er zumindest einen Überblick über die Finanzen und konnte für sich und seine Mutter sorgen. Was für ein schaler Trost. Und doch war es etwas, das er tun konnte, anstelle sich ruhelos in seinem Bett zu wälzen, wo die Gedanken ewige Kreise zogen.

Als er das Sirren eines Portschlüssels hörte, als die mitgenommene Gestalt seines Vaters im Raum erschien, hätte er ihn, seiner reinblütigen Erziehung zum Trotz, beinah vor Erleichterung umarmt. Aber es kam gar nicht dazu. Mit der Gewalt eines Steinschlags schlug etwas gegen seinen Stuhl und riss ihn zu Boden. Als er aufblickte, sah er über sich ein Gesicht mit grünen Augen, das von wirrem schwarzen Haar umrahmt wurde. Die Narbe auf der Stirn seiner Nemesis hatte er nie so aus der Nähe begutachten können, wie in diesem Moment.
„Potter?", fragte er mehr verblüfft als verärgert. „Was machst du hier?"
Hastig rappelte sich der Gryffindor auf. „Das könnte ich dich fragen, Malfoy!"
Was für eine schlaue Erwiderung. Der Malfoy-Erbe erhob sich mit aller Würde, die er aufbringen konnte und strich sich die ramponierten Roben glatt. „Dies ist das Ferienhaus meiner Familie. Und eigentlich ist es von einer Vielzahl alter und mächtiger Schutzzauber umgeben, die es Leuten wie dir unmöglich machen sollten, hierher zu gelangen."
Er folgte Potters Blick, als sich dieser umsah, die Einrichtung aus hellen Holztönen und die großen Fenster zur Kenntnis nahm, durch die man erst eine felsige Küste und dahinter das Meer sehen konnte. Langsam schien sich Potters Verwirrung zu legen. „Es sind Weihnachtsferien. Deswegen bist du nicht in Hogwarts."
Was für eine Glanzleistung. „Aufgepasst!", näselte Draco. „Potter versucht zu denken."
„Lass gut sein, Draco", sagte Lucius noch immer ein wenig zittrig. „Mr Potter ist mit mir hierhergekommen. Ganz genau wie Severus hier."
Draco neigte den Kopf, als er seines Paten und Lehrers ansichtig wurde. „Onkel Severus."
„Es tut gut, dich zu sehen, Draco", antwortete der schwarz gewandete Zauberer nicht ohne Wärme.
„Die Freude ist ganz meinerseits, aber was macht Potter hier?"
„Mr Potter ist offensichtlich nicht in der Lage, einen Portschlüssel zu bedienen. Irgendetwas an der Anweisung „Festhalten" scheint ihn zu überfordern." Die Worte passten zu dem Umgang, den Draco von den beiden kannte. Aber etwas in der Betonung, oder in der Art, in der Severus Potter ansah, als würde er ihn tatsächlich nach Verletzungen absuchte, war definitiv anders als sonst.
Potters Antwort war es auch. Anstatt wütend zurückzuschlagen, grinste er. „Ich kann Ihnen ja nicht ständig die Show stehlen, Professor." Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen und das Grinsen vertiefte sich. „Sagen Sie, wo wir schon wieder miteinander nur knapp dem Tod entkommen sind, sollen wir uns nicht langsam duzen?"
Severus hob eine Augenbraue. „Diese Frage steht Ihnen nach dem Gebot der Höflichkeit gar nicht zu, Mr Potter. Es wäre an mir, Sie zu stellen." Seine Lippen zuckten. „Und ich habe es sicherlich nicht vor."
Dracos Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Und das betraf nicht nur dieses seltsame Gespräch. Er hatte sich große Sorgen um Severus gemacht, seitdem er gehört hatte, dass sein Pate den Dunklen Lord verraten hatte. Wenn er und Potter nun hier waren und beide nicht wie Gefangene aussahen, dann konnte das nur eines bedeuten. Auch sein Vater hatte den Dunklen Lord hintergangen. Bei dem, was sein Vater in den Reihen Voldemorts noch galt, war dies vielleicht nicht die schlechteste Entscheidung. Er hoffte nur, dass die Schutzzauber seiner Familie der Rache dieses Zauberers standhalten würden. Müde fuhr sich Lucius durch das Haar. Erst jetzt wurde Draco bewusst, wie mitgenommen alle Drei aussahen. Es konnte nicht lange her sein, dass sie einem Kampf entkommen waren. Vielleicht waren sie sogar unmittelbar aus einem geflohen. „Emmeran?"
Ein alter Hauself erschien vor ihm mit einem leisen Plopp. „Bereite Tee, Getränke und etwas zu Essen für unsere Gäste zu. Und wo du schon dabei bist, benachrichtige meine Mutter, dass wir zu später Stunde Besuch empfangen." Der Hauself verneigte sich und apparierte. „Bitte folgt mir", wandte sich Draco an die Neuankömmlinge. Und trotz der ernsten Situation kam er nicht umhin, sich in Lucius und Severus stolzen Blick zu sonnen, als er die Gäste ins Esszimmer geleitete. Das Weihnachtsfest lag bereits hinter ihnen, doch der große Esstisch aus hellem Holz war noch mit Tannenzweigen geschmückt.
Anstelle sich gleich zu setzen, blieb Potter vor Dracos Vater stehen und blickte ihm ernst in die Augen. „Sie haben uns das Leben gerettet. Vielen Dank, Mr Malfoy." Draco stutzte. Da war etwas an Potter, das zuvor nicht da gewesen war. Es lag an der Art, wie er sich hielt, gerade und mit entspannten Schultern, aber auch an der ruhigen, sicheren Art, wie er sprach. Harry Potter war nie unbedingt schüchtern gewesen. Aber gerade strahlte er Selbstbewusstsein und ja, Autorität aus. Was immer in der letzten Zeit geschehen war, es hatte seinen Konkurrenten stark verändert.
Fahrig ließ sich Lucius auf einem Stuhl nieder. „Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren ist." Er warf Potter einen verwirrten Blick zu, bevor er weiter zu Severus huschte. „Geht es euch gut? Bedürft ihr medizinischer Versorgung?"
Potter und Severus tauschten einen Blick, um dann gemeinschaftlich den Kopf zu schütteln. Schon wieder eine Veränderung, die Draco nicht zuordnen konnte. „Dank dir sind wir unverletzt", erwiderte Severus und warf Lucius einen fragenden Blick zu. „Auch ich möchte dir sehr für deine Hilfe danken. Du bist ein enormes Risiko eingegangen, indem du dich Morgana und den Todessern in den Weg gestellt hast." Potter war nicht der einzige, der sich verändert hatte. Bei Severus war es schwerer zu bemerken, doch auch er stand eine Spur stolzer und etwas in seinem Blick wirkte weniger bitter. Was war nur los? Und was hatte Morgana damit zu tun? Soweit Draco wusste, war sie eine geheimnisvolle verbündete des Dunklen Lords. Wie wollte sie in dieses Bild passen?
Kaum war der Duft von Tee zu vernehmen, öffnete sich eine Tür und Dracos Mutter stand im Eingang. Rasch huschten ihre Augen zwischen den Versammelten umher, dann schenkte sie allen Anwesenden ein höfliches Lächeln. Draco wusste, sie hatte sofort verstanden, was es bedeutete, dass sie Potter und Severus bewirteten. Er selbst hielt sich durchaus für klug, doch seine Mutter neigte dazu, ihn in dieser Eigenschaft noch zu übertreffen. Ihrer Stimme war nichts anzumerken, als sie, ganz die Gastgeberin, die Arme ausbreitete. „Willkommen in unserem Feriendomizil. Was für eine angenehme Überraschung, dass uns mein Mann mit Gästen beehrt."
Sie streckte dem Hauslehrer von Slytherin die Hand entgegen. „Severus. Ich hatte schon Sorge, dass wir dich so bald nicht mehr als Gast empfangen könnten. Was für eine Freude, dass sich diese Vermutung nicht bewahrheitet hat."
Severus hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken, ohne sie dabei zu berühren. „Wie immer danke ich dir für den freundlichen Empfang, Narzissa. Auch ich bin froh, dass wir hier im Guten wieder aufeinandertreffen."
Narzissas helle Augen flogen zu seinem Vater. Dann warf sie Potter einen langen Blick zu. Und für einen abstrusen Moment hatte Draco den Eindruck, sie würde ausgerechnet seinen Konkurrenten umarmen. Aber sie tat es nicht und legte die Hände stattdessen ineinander. „Herzlich willkommen. Ich bitte dich, fühle dich wie zu Hause."
Der Gryffindor nickte. Für einen Moment wirkte er so unbeholfen wie früher. „Danke, das ist sehr nett von Ihnen."
Draco blickte immer fassungsloser von einem zu anderem. „Will mir mal endlich jemand verraten, was hier los ist?"
„Die Todesser haben uns gefunden", erklärte Harry. „Und dein Vater hat uns das Leben gerettet, in dem er uns hierher brachte."
Draco hatte es bereits vermutet. Doch nun, wo Potter es aussprach, spürte er, wie die Angst kalt seinen Rücken hinauf kroch. Er war nicht mutig. Er war noch nie mutig gewesen. Wie war er bloß hier hineingeraten? „Also haben wir nun alle die Sache des Dunklen Lords verraten?", fragte er zittrig.
„Es ist nicht der Dunkle Lord, den Lucius mit seinen Taten erzürnt hat", sagte Severus. „Genau genommen sollte dieser sehr dankbar für das sein, was dein Vater heute getan hat."
Nun blickte ihn Dracos ganze Familie entgeistert an. „Ich habe seinem Erzfeind und einem Verräter zur Flucht verholfen", sagte Lucius langsam. „Ich sehe nicht, wie ihn diese Tat besonders erfreuen sollte."
„Professor Snape hat mich auf Toms Befehl befreit", sagte Potter und blickte jedermann am Tisch nacheinander in die Augen. Draco entging nicht, wie lapidar dieser den Dunklen Lord bei seinem einstigen Vornamen genannt hatte. Aber Potter fuhr fort, als wäre es keine große Sache. „Er hat eingesehen, dass er in der Vergangenheit einige Fehler gemacht hat,. Und nun versucht er, sie wieder gut zu machen. Professor Snape und ich helfen ihm dabei so gut es geht." Draco spürte, wie sich seine Augen weiteten. Und seiner Familie ging es nicht besser. Die Hände seines Vaters klammerten sich so fest um den Tisch, dass die Knöchel weiß hervortraten, während seine Mutter unruhig mit der Tischdecke spielte. „Der Dunkle Lord glaubt, einen Fehler gemacht zu haben?", fragte er schwach. „Und ausgerechnet ihr beide sollt ihm helfen?"
Eindringlich erwiderte Harry seinen Blick. „Es ist nicht an mir, seine Gründe zu nennen. Sie sind sehr persönlicher Natur."
„Ich weiß, wie unglaublich sich das für euch anhören muss", ergänzte Severus ernst. „Aber Mr Potter hat recht. Der Dunkle Lord hat seine Pläne geändert. Ich kann euch versichern, dass euch durch Lucius Einschreiten seine Dankbarkeit gewiss ist."
Eine Weile herrschte perplexes Schweigen, während Dracos Familie versuchte, diese Neuigkeiten zu verarbeiten. Noch immer konnte Draco kaum glauben, was er hörte. Das alles klang viel zu abstrus, um wahr zu sein.
Narzissas Augen blitzten scharf in ihrem anmutigen Gesicht. „Nachdem, was wir gehört haben, ist er auf der Suche nach Ihnen, Mr Potter. Wenn es stimmt, was Sie sagen, wo hält er sich dann in Wirklichkeit auf?"
„Im selben Gebäude wie wir. Wir ließen ihn zurück, da die Todesser für ihn wohl keine Bedrohung darstellten."
Lucius warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Er kam Ihnen nicht zu Hilfe. Und nur ein Wort von ihm hätte ausgereicht, Sie aus Ihrer gefährlichen Lage zu befreien."
„Natürlich kam er uns zu Hilfe!" Potters Stimme war erstaunlich hitzig, als er für seinen Erzfeind Partei ergriff. „Das Schutzschild, das uns am Ende vor all den Flüchen bewahrte, dieses Schutzschild stammte von ihm."
„Er möchte nicht, dass Morgana von den Änderungen erfährt, die seinen Plänen widerfahren sind", fügte Severus erklärend hinzu. „Deswegen wird er uns nicht öffentlich unterstützen, wenn er es vermeiden kann. Aber ich kann euch versichern, dass er auf unserer Seite ist."
„Mr Potter", sagte Lucius und beugte sich vor. „Als Sie und Severus aus unserem Manor geflohen sind, haben Sie mich mit einem anderen Namen angesprochen. Warum?" Das Drängen in den grauen Augen zeigte nur zu deutlich, wie wichtig ihm die Beantwortung dieser Frage war,
Harry lächelte. „Sir Hector. Ich habe Sie damals Sir Hector genannt."
„Aber warum? Ich meine ..."
Fest erwiderte Harry seinen Blick. „Weil Sie einmal für mich ein Vater waren."
Lucius wirkte, als hätte Harry ihn mit einem äußerst üblen Fluch erwischt. Er tauschte einen Blick mit Narzissa. Draco hatte währenddessen das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.
„In letzter Zeit hatten wir seltsame Träume", sagte Dracos Mutter und warf Potter einen sanften Blick zu. „Wir hatten uns bereits gefragt, was es damit auf sich hat."
„Was?!", rief Draco aufgebracht. „Ihr müsst euch irren! Es ist vollkommen undenkbar, dass er und ich ..." Seine Stimme erstarb. Auch er selbst hatte immer wieder seltsame Träume in letzter Zeit. Träume, in denen er als Ritter an der Seite seines Stiefbruders kämpfte. Eines Stiefbruders, der Potter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Aber das waren nichts als Träume. Es war vollkommen irrsinnig zu behaupten, dass irgendetwas Wahres daran wäre.
„Wäre es so schlimm, wenn wir Stiefbrüder wären?", fragte Potter. Draco klappte der Mund auf. „Und das fragst du noch?!", brach es aus ihm hervor. „Du ... du bist Harry Potter!" Er wusste selbst, dass das herzlich wenig erklärte. Aber gerade war er zu abgelenkt für eine bessere Erklärung.
„Findest du es wirklich so abwegig?", argumentierte Potter ruhig. „In der ersten Klasse hast du versucht, meine Freundschaft zu erringen, nicht wahr? Alles andere fing an, weil ich deinen Stolz verletzte, oder?"
Draco blickte von einem zum anderen. „Ihr seid verrückt! Allesamt! Onkel Severus, sag du etwas dazu."
„Ich stimme Mr Potter zu", sagte sein Pate zu Dracos vollkommenen Entsetzen. „Seit wann stimmst du ihm zu?", brach es aus ihm hervor. Wie kannst du überhaupt so ruhig neben ihm sitzen? Du hasst ihn!"
„Das ist bereits seit einiger Zeit nicht länger der Fall", antwortete sein Professor ruhig.
Harry grinste ihm zu. „Ich glaube, das ist das netteste, was Sie je zu mir gesagt haben, Professor."
Severus zog eine Augenbraue hoch. „Gewöhnen Sie sich nicht daran, Mr Potter." Draco traute seinen Ohren nicht. War das gerade ein freundschaftlicher Schlagabtausch zwischen seinem Paten und ausgerechnet Potter gewesen? Er konnte es nicht fassen. Der Dunkle Lord beschützte Potter? Potter und Severus vertrugen sich? Potter sollte einmal sein Stiefbruder gewesen sein? Wann war seine Welt in eine solche Schräglage geraten?
Draco wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er ein seltsamen Prickeln auf seinem linken Unterarm verspürte. Er riss den Ärmel herauf und betrachtete das Dunkle Mal. Es war durchscheinend geworden und wie Rauch, der von seinem Arm emporstieg, schien es sich jeden Moment weiter aufzulösen. Auch Severus und sein Vater schauten ungläubig auf ihre Unterarme.
„Was hat das zu bedeuten?", fragte Lucius leise.
Sorge lag in Severus Blick. „Nichts Gutes."
Potter war von seinem Stuhl aufgesprungen. „Ich muss zu ihm!"
„Wie wollen Sie das anstellen?!", fragte Dracos Pate. „Wenn Sie nach Riddle Manor zurückkehren, wäre das Ihr Tod! Und wir wissen noch nicht einmal mit Sicherheit, ob er noch wirklich dort ist!"
„Dann schlagen Sie etwas besseres vor!", fauchte Potter zurück. „Sie können nicht von mir erwarten, dass ich hier sitze und nichts tue!"
„Nein, das erwarte ich nicht", gab Severus kühl zurück. „Ich erwarte nur, dass Sie Ihren Kopf einsetzen. Ich hoffe, ich muss Sie nicht daran erinnern, was das letzte Mal passiert ist, als Sie blindlings zu einer voreiligen Rettungsmission eilten."
Daran musste hier niemand erinnert werden. Draco hatte Sirius Black nie persönlich kennen gelernt. Aber die Geschichte seines Todes war unweigerlich mit der des Scheiterns seines Vaters im Ministerium verknüpft. Das würde er so schnell nicht vergessen.
Einen langen Moment maßen sich Potter und Severus mit Blicken. Dann sacken die Schultern des Gryffindor zurück. „Es gibt noch eine Möglichkeit, ihn zu erreichen." Potter wandte sich an Narzissa. „Haben Sie einen Schlaftrunk im Haus? Er darf aber nicht verhindern, dass ich träume."
Natürlich hatten sie so etwas auf Vorrat. In letzter Zeit fand niemand in dieser Familie schnell in den Schlaf, Dracos Mutter nickte. „Natürlich. Doch wüsste ich nicht, wie Ihnen dieser bei Ihrem Problem helfen sollte."
„Ich kann ihn im Schlaf erreichen", sagte Potter nachdrücklich. „Ich habe ihn so schon oft gefunden."
Wieder tauschte er einen Blick mit Severus und diesmal neigte der Tränkemeister den Kopf. Es war ein wenig, als wenn ein Berater seinen Segen zu der Entscheidung eines Königs gab. Im nächsten Moment verfluchte er sich selbst für den albernen Vergleich. Aber ganz gleich, was hier gespielt wurde,
Draco sah das Drängen in den Augen seines Stief- seiner Nemesis und beschwor erneut Emmeran herbei. Der Hauself reichte ihm auf seinen Befehl den gewünschten Trank und er drückte ihn Potter in die Hand. Das Dunkle Mal auf seinem Unterarm war mittlerweile kaum noch zu erahnen. „Wenn all das vorbei ist, möchte ich ein paar anständige Erklärungen, Potter."
Der Schwarzhaarige nickte ihm dankbar zu. Dann warf er sich auf das Sofa und stürzte den Trank in einem Zug herunter. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen. Draco sah zu, wie sich die letzten Reste des Dunklen Mals von seiner Haut lösten. Er wusste nicht, was er fühlen oder denken sollte. Severus zog sich einen Stuhl heran und postierte ihn neben Potter.
„Was genau versucht er zu tun?", fragte Narzissa besorgt.
„Mr Potter teilt eine Verbindung zum Dunklen Lord", erwiderte Severus ernst. „Er wird versuchen, ihn zu finden."
„Glaubst du, er wird Erfolg haben?", fragte Lucius unruhig.
Voller Sorge strich Severus über seinen nun makellosen Unterarm. „Ich hoffe, er ist nicht zu spät."

Tom trieb unter der Oberfläche des Sees. Vereinzelte Strahlen des Mondlichts durchbrachen die kräuselnde Oberfläche des Wassers und drangen zu ihm herab. Um ihn her war war nichts als wogende Schwärze. Luftblasen stiegen von seinen Lippen auf und entflohen in die Dunkelheit. Er litt keine Atemnot. Die Magie Nimues schützte ihn vor dem Ertrinken. Er wusste, würde er noch tiefer sinken, dann würde er in ihr Reich gelangen. Ein Ort, an dem sich grüne Hügel und sonnenbeschienene Täler an ein Schloss aus Perlmutt schmiegten. Aber dies war nicht das Ziel seiner Reise. Das Wasser um ihn her begann zu brodeln. Der Teich, der zuvor noch furchtbar kalt gewesen war, begann sich um ihn her immer mehr zu erwärmen. Doch die Wärme war nur kurze Zeit angenehm. Immer heißer wurde das Wasser, immer stärker sprudelte und wirbelte das Element um seine Gestalt. Der Schmerz war unerwartet und heftig. Er hatte gewusst, dass es weh tun würde, aber er, der er schon einige Horkruxe in sich aufgenommen hatte, hatte geglaubt, den Schmerz gewohnt zu sein.

Er hatte sich geirrt.

Das zurücknehmen der Horkruxe war schmerzhaft, ja, aber letztendlich nahm er etwas zurück, das schon immer zu ihm gehört hatte. Die Qualen mochten beinah unerträglich sein, doch es war ein heilsamer Schmerz. Das hier war anders. Mit schierer Gewalt umschloss ihn das Wasser, schoss brodelnd und zischend gegen seinen Körper. Er spürte, wie die Magie des Elements in ihn einsank und versuchte, die Dunkelheit zu vertreiben, die seinen Körper bewohnte. Es war nicht so sehr das Wasser, das schmerzte, sondern die schwarze Magie, die wie ein blutsaugendes Insekt an ihm klebte, die sich weigerte, herausgespült zu werden und so ihre Krallen immer enger schlug, um sich des Angriffs zu erwehren. Sein eigener Körper wendete sich gegen ihn. Es war ihm, als müsste er verbrennen oder erfrieren, die Schmerzen waren so furchtbar, dass er sie kaum zu benennen wusste. Die Magie tobte in seinem Innern, weigerte sich, sich austreiben zu lassen und verursachte dabei unerträgliche Schmerzen. Mit neuer Gewalt kämpfte das Wasser gegen die schwarze Magie, die sich brodelnd immer fester in sein Fleisch, sein Blut, seinen Körper bohrte. Er schrie auf, ein Laut, der vom tosenden Wasser verschluckt wurde. Dann, endlich, versank er in gnädiger Schwärze.

„Tom?"
„Tom!"
Mühsam öffnete er die Augen. Er lag auf dem Kirchhof. Schnee fiel herab und nahm ihm die Sicht. Aber das Gesicht, das ihn voller Sorge musterte, hätte er überall wiedererkannt. „Harry", flüsterte er rau.
„Ein Glück", flüsterte sein König. „Für einen Moment hatte ich gedacht ..." Seine Stimme erstarb.
Er lag erstaunlich weich. Erst langsam wurde ihm bewusst, dass sein Kopf auf dem Schoß des jungen Mannes ruhte. Er hob eine Hand, legte sie sacht an Harrys Wange. „Mach dir keine Sorgen um mich.
„Keine Sorgen?! Das Dunkle Mal ist verschwunden! Ich dachte du bist ..." Energisch wischte Harry die Tränen von seinen Wangen. „Wo bist du? Wo kann ich dich finden? Was ist geschehen?"
Tom lächelte. „So viele Fragen auf einmal?"
Grüne Augen verengten sich. „Ich habe noch eine ganze Menge mehr für dich."
Der Slytherin schmunzelte matt. „Davon bin ich überzeugt. Ich bin an dem See, an dem wir der Banshee begegnet sind. Ich habe Nimue, die Herrin von See, gebeten, mich zu reinigen."
„Die Herrin von See lebt in einem solchen Tümpel?"
Tom schmunzelte. „Sie kann in jedem Gewässer Britanniens gerufen werden. Ihre Macht reicht weit."
Sorge lag in den grünen Augen. „Was bedeuten es, dass sie dich reinigt?"
„Sie entfernt die schwarze Magie aus meinem Körper."
Harry starrte ihn an. „Aber du ... dein Körper besteht aus schwarzer Magie!"
„Er wurde mit schwarzer Magie erschaffen. Das ist ein Unterschied."
„Aber ..."
Tom legte ihm einen Finger an die Lippen. „Ich verstehe deine Bedenken. Aber ich habe Morgana gesehen. Ich habe gesehen, was sie mit meinen Dienern gemacht hat. Ich ... ich habe nie darüber nachgedacht, was es mit ihnen macht. Und sie selbst ... ich habe sie einmal bekämpft, für das, was sie ist. Und nun ... bin ich genauso. Ich muss das ändern. Und dies hier ... dies ist der einzige Weg, den ich kenne."
Harry blickte ihn voller Wärme an. „Du bist nicht wie sie", flüsterte er. „Du hast dich dagegen entschieden."
„Ich fürchte nur, es ist zu spät." Er spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Selbst im Traum vermochte er es kaum noch, die Konzentration aufzubringen, die es brauchte, um sich mit Harry zu unterhalten. Er wusste, das sein Körper noch immer dort im Wasser war, ein Kampffeld auf dem sich das reinigende Wasser einem Kampf mit der Dunklen Magie in seinem Innern lieferte.
Angst trat in Harrys Augen. „Tom, du wirst durchscheinend!"
Er konnte nichts erwidern. Zu sehr war er damit beschäftigt, Harrys Bild noch ein wenig länger heraufzubeschwören. Aber der Gryffindor verstand auch so. Sein König schloss die Arme um ihn und hielt ihn fest. „Du gehst nirgendwohin", sagte er entschlossen.
Tom spürte, wie sich neben Harrys Arme auch seine Magie wie ein schützender Kokon um ihn legte." Wir bleiben hier, bis es überstanden ist. Zusammen."
Tom hatte sich nie anderen anvertrauen können. Sein ganzes Leben war es darum gegangen, Stärke zu zeigen, um nicht der Schwächere zu sein. Aber hier, hier war es etwas anderes. Er tat einen erleichterten Atemzug und schloss die Augen. Harry würde ihn nicht verraten. Sein König würde es nicht ausnutzen, wenn er Schwäche zeigte. Noch immer nahm er vage war, wie in seinem Körper eine Schlacht tobte. Aber die Schmerzen erreichten ihn hier nicht. Harrys Magie hielt ihn an diesem Ort, schirmte ihn besser, als es jeder Schutzschild vermocht hätte. Hier ... war er sicher.

Etliche Stunden später teilte sich das Wasser des Tümpels und ein Mann brach durch die Oberfläche. Für einen endlosen Moment trieb er einfach auf der Stelle, die Augen auf die nächtliche Szenerie gerichtet, wie ein Gefangener, der zum ersten Mal seit langer Zeit das Licht der Freiheit erahnt. Dann, endlich, schien er zu bemerken, wie kalt das Wasser war, in dem er sich befand. Etwas unbeholfen, so als müsse er sich noch an die Änderungen an seinem Körper gewöhnen, zog er sich ans Ufer und trocknete sein Haar und seine Robe mit einem schnellen Zauber. Dann legte er einen Wärmezauber über sich und atmete erleichtert auf, als das Zittern seiner Glieder langsam nachließ.
„Merlin, bist du das?"
Tom wandte sich um und blickte zurück auf die schwarzen Wellen des Tümpels. Niams Kopf lugte hervor, die bläuliche Haut leuchtete im Mondlicht.
„Hast du mit jemand anderem gerechnet?", fragte der Zauberer belustigt.
Der Nöck spie einen Schwall Wasser aus. „Entschuldige, wenn ich zweimal hingucken musste. Im Gegensatz zu vorher, siehst du wieder wirklich lebendig aus. Du bist nicht leicht totzukriegen, was?"
„So leid es mir tut, ich werde dir auf dem Grunde des Sees so schnell keine Gesellschaft sein", antwortete Tom mit einem ironischem Lächeln. „Ich fühle mich noch immer wie verdaut und wieder ausgespuckt. Aber wahrscheinlich ist das im Gegensatz zu vorher dennoch ein Fortschritt."
Niam grinste. „Zu einer korrumpierten Schlange? Auf jeden Fall."
Das Wasser kräuselte sich und Nimues anmutige Gestalt brach durch die Oberfläche. „Ich wünsche dir alles Gute, Merlin. Und wenn du Lancelot siehst, sag ihm, dass er in diesem Leben vielleicht keine Familie hat. Aber er hat immer noch eine Mutter."
Respektvoll neigte Merlin den Kopf. „Ich sage es ihm. Doch in einem muss ich dir widersprechen. Er hat noch immer eine Familie, wenn er sie denn will."
Ernst lagen Nimues Augen auf seinem Gesicht. „Und dafür danke ich dir", sagte sie sanft. „Wie war es dir möglich, die Reinigung zu überstehen? Zwischenzeitlich hätte ich sie beinah abgebrochen, so schlimm stand es um dich."
Toms Züge füllten sich mit Wärme. „Mein König hat über mich gewacht."

Nebel und EichenhainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt