3. Black

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„Lass uns aufteilen und später wieder an unserem Treffpunkt treffen."

Sagt mein Kumpel zu mir und dreht sich um, um alleine den Wald zu erkunden, ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten. Noch ein paar Schritte sehe ich ihn laufen, jedoch wird er dann total von der Dunkelheit gefressen. Ich habe nichts dagegen getrennte Wege zu gehen, also drehe ich mich um und laufe in die entgegengesetzte Richtung. Warum ich dem ganzen hier zugestimmt habe, weiß ich auch nicht ganz. Ich schätze ich habe aktuell nichts zu verlieren aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten in dem Wald so denken. Zusätzlich lasse ich meinen Kumpel Changbin ungerne alleine durch diese Hölle gehen.

Changbins Motivation ist es den Titel zu gewinnen. Er ist einiges besser vorbereitet als ich. Schon alleine seine Muskeln strahlen Überlegenheit aus. Er besucht täglich das Fitnessstudio und kann unfassbar schwere Gewichte stemmen. Er könnte als ein Bodybuilder durchgehen und auch ich habe mir das ein oder andere Mal ein paar Sport-Tipps bei ihm eingeholt. Er ernährt sich ausschließlich von Proteinen um seinen Muskelaufbau weiter zu fördern. Früher habe ich ihn immer im Beruf als Bodyguard gesehen aber seine Wahl als Produzent ist auch mehr als passend. Er kreiert wundervolle Songs, von Rap zu sentimentaler Musik ist alles dabei und man kann nur begeistert von der Begabung dieses Menschen sein.
Das Problem ist, dass er niemals jemanden umbringen könnte, er kann nicht einmal einer Fliege etwas zu leide tun. Unser beider Plan ist es so lange wie möglich auszuharren und erst in den letzten Zügen zu Kämpfen.

Ich habe mich für ein Messer entschieden, Changbin hingegen ist mit einem Baseballschläger seine Wege gezogen. Vor einer knappen halben Stunde haben die Spiele offiziell begonnen, weswegen ich auch bisher noch keinem fremden Menschen begegnet bin. Dies ändert sich jedoch, als ich an einer Lichtung ankomme und einen schmalen jungen Mann auf einer Picknickdecke essen sehe.

Er stopft sich das Essen in seine wohlgeformten, runden Wangen und erinnert mich dabei etwas an einen kleinen Hamster oder noch eher an einen Quokka so glücklich wie er in der Situation aussieht.

Ich beobachte wie sich der leichte Körper herunterbeugt und etwas auf der Matte zu beobachten scheint und da wird mir bewusst, dass dieser Mensch mit Sicherheit nicht weiß um was für einen Tag es sich heute handelt. Er sieht so unschuldig aus, er kann niemals kämpfen und dabei Menschen verletzen. Oder vielleicht wartet er auf den Moment, dass jemand aus dem Gebüsch springt und er vorher seine letzten glücklichen Minuten unter einem tiefroten Sonnenuntergang verbringen darf? Ich bin mir ziemlich sicher, dass verzweifelte Personen so eine gegebene Chance nutzen...

Neugierig lehne ich mich an einen Baum und beobachte den Braunhaarigen noch einige Minuten. Wie seine schmalen Finger eine der Weintrauben greifen und er sie sich genüsslich in den Mund schiebt. Er schaut in die Weite und nach oben in den Himmel. Fasziniert betrachtet er die Sternbilder und den großen Vollmond, der alles etwas heller leuchten lässt.

Gerade wollte ich mich hinsetzen und seine weiteren Handlungen studieren, da trete ich versehentlich auf einen Ast, der mit einem lauten knacken unter meinem Fuß zerbricht. Schnell drehe ich mich um und versuche in der Dunkelheit den Braunhaarigen auszumachen. Er steht dort wie angewurzelt mit seiner Glasflasche in der Hand, die Angst ist ihm ins Gesicht geschrieben. Ein leises, zögerndes „Hallo?" formt sich auf seinen Lippen.

Unsicher, ob er mich sehen kann versuche ich etwas Distanz zu gewinnen und laufe mit schnellem Gang weiter in den Wald hinein. Ein zweites Knackgeräusch entsteht durch meine Unachtsamkeit und ich bleibe schnell stehen um ja nicht noch einen Muchs von mir zu geben. Ich könnte fluchen, seine Aufmerksamkeit auf mich gelenkt zu haben und ihn nicht einfach ruhig weiteressen lassen habe.

Im Mondlicht kann ich die Figur weiterhin in derselben Position sehen und ich merke, dass er mich offensichtlich nicht sehen kann. Ich bin vollkommen schwarz gekleidet und das dunkle Rot meiner Haare wird man in der Finsternis genauso wenig wahrnehmen können.

Der Braunhaarige ruft ein weiteres Mal in den Wald hinein aber dieses Mal kann ich seine eher leisen Worte wegen des Abstandes nicht mehr verstehen.

Ich zucke zusammen als ein entferntes Schreien durch die weiten des Waldes dringt. Der Schrei ist grell und lässt eine Gänsehaut auf mir tanzen. Nie in meinem Leben habe ich so etwas gehört, so schmerzerfüllt und kläglich... In der Entfernung sehe ich wie der kleine Körper seine Sachen hektisch zusammenpackt und sich stolpernd in den Wald stürzt.

Schnellen Schrittes versuche ich die Distanz wieder einzuholen und gebe mir nicht wirklich viel Mühe leise zu sein, was den Braunhaarigen vor mir nur noch schneller rennen lässt. Ich will ihn nicht verlieren, er sieht so zerbrechlich und verletzlich aus und seine Flasche ist auch nicht die beste Waffe. Ich fühle mich verantwortlich und ich möchte ihn beschützen.
Ich bemitleide den Jungen...

Trotz des Braunhaarigen, den ich mir gerade zur Verantwortung gemacht habe, gehen meine Gedanken immer wieder zu Changbin, ob er schon auf mich wartet? Denkt er, dass etwas mit mir passiert ist, da ich noch nicht an unserem Treffpunkt bin? Ob es ihm gut geht? Er ist mein bester Freund und ich könnte nicht ohne ihn.

Entfernte Rufe holen mich zurück in die Realität und ich versuche den schmalen Braunhaarigen vor mir ausfindig zu machen aber weit und breit kann ich ihn nicht sehen. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Meine Schritte werden etwas langsamer und ich drehe mich ein paar Male im Kreis um auch wirklich sicher zu gehen den Jungen nicht übersehen zu haben. Auch ein zusammenkneifen meiner Augen lässt mich nichts außer Bäume sehen, keine Bewegung, kein zarter Körper, nur ein riesiger dunkler Wald voller Bäume.

Ein ganz leises Geräusch zu meiner rechten lässt mich weiter dort entlang gehen.

Ein kalter Windzug weht durch den Wald und in dem Moment, wo sich die Bäume etwas zur Seite bewegen und einen kleinen Schimmer an Mondschein durch die Blätter dringen lassen glaube ich den Braunhaarigen direkt vor mir an einem Baum stehen zu sehen.

Mit dem Wind steigt mir ein Moosiger und etwas Modderiger Duft in die Nase und entweder durch diesen gewöhnungsbedürftigen Geruch oder durch die Kälte läuft mir ein Schauer den Rücken hinunter.

Ich trete ein paar Schritte näher an ihn heran und öffne meinen Mund um ihn vorzuwarnen, damit er weiß, dass ich nichts Böses vor habe, aber in dem Moment dreht sich die zerbrechliche Gestalt um und fuchtelt wie wild mit der Glasflasche um sich herum. Ich wollte ausweichen aber innerhalb einer Sekunde spüre ich bereits den dumpfen Schlag an meiner Stirn. Langsam sinke ich zu Boden bis alles um mich herum schwarz wird.

The Game. MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt