strange but lovely

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»Kommt dir dieser Brunnen bekannt vor?«, fragte der Fremde, seine tiefe Stimme brachte die ganze Umgebung zum Vibrieren. Also, gefühlt.

Ich starrte hinab in den Brunnen, meine Hände auf dem Stein abgestützt, Moos kitzelte meine Handinnenflächen. Beinahe hätte ich zu lachen angefangen.

Irgendetwas machte Klick in meinem Kopf. Aber irgendetwas auch nicht. Der Brunnen kam mir bekannt vor. Aber irgendwie auch nicht.

»Ich weiß nicht«, antwortete ich dem Fremden dann, während ich noch immer in das schwarze Nichts starrte. Wobei. Eigentlich war es nicht nur schwarz. Winzige, golden schimmernde Punkte erhellten das Schwarz. Sie sahen aus wie kleine Sterne, doch plausibler erschienen mir ... Glühwürmchen?

»Nun, dies ist der Brunnen, in den du damals gefallen bist«, klärte mich der Fremde auf und ich schwang den Kopf zu ihm zurück.

»Woher weißt du das?«, fragte ich mit verengten Augen. Er war mir schon die ganze Zeit suspekt, auch wenn er mir versprochen hatte, dass ich Rose retten konnte.

Rose ...

»Das ist unwichtig«, winkte er ab, beobachtete mich nur, als ich meinen Kopf wieder zum Brunnen wandte.

War das wirklich der Brunnen?

Ich war mir nicht sicher. Ich wusste auch gar nicht mehr, was ich hier damals gemacht hatte. Und wer mich aus dem Brunnen geholt hatte. Und wer mich Julia genannt hatte.

Warum weiß ich darüber nichts? Und warum der Fremde schon?

Zum ersten Mal in meinem Leben, fragte ich mich, was in der Vergangenheit passiert war.

Und für einen kurzen Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen.

Ich starrte weiter auf den Grund, meine Hände fest um den Stein geschlossen.

Ich grub und grub in meinem Gehirn, in den hintersten Ecken und fand doch keine Erinnerungen an diesen Tag.

Bis ... einige der goldenen Funken näher und näher kamen, um mich herum flogen. Es waren wirklich Glühwürmchen.

Begeistert schaute ich zu, wie sie mich weiter umkreisten.

Und plötzlich begannen Bilder vor meinem inneren Auge aufzublitzen.

Ein Mann, ich an seiner Hand. Wir, durch den Wald laufend.

Dann nur noch ich allein, der Mann war verschwunden.

Ich allein durch den Wald streunend, dann den Brunnen entdeckend.

Ich, wie ich mich über den Rand des Brunnens beugte und ... mich zu weit darüber beugte, hineinfiel. Dann nur schwarz.

Mein Herz begann zu rasen.

Neue Bilder blitzten auf. Ein Mann mit einem Hut. Dessen eine Gesichtshälfte nur Knochen war.
Und mit einem ... Zepter in der Hand?

Zahnfee?

***

Alles um mich herum ist dunkel. Obwohl. Nicht ganz. Golden schimmernde Punkte fliegen um mich herum. Mit großen Augen beobachte ich sie, schaue mich um, hier, auf dem Grund des Brunnens.

Ich muss ein bisschen kichern. Wie konnte ich nur in einen Brunnen fallen?

Noch immer kichernd rappele ich mich auf, schaue mich weiter um. Mein rechtes Handgelenk tut ein bisschen weh, doch das ignoriere ich. Außerdem brennt meine Haut ein bisschen, liegt vielleicht an den Brennnesseln hier auf dem Grund.

strange but lovely || Rose & Julia (Rolia)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt