Aber der Stein wird nicht warm sein

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Der Priester legte seinen Stab neben sich hinab und fuhr mit der Hand in den heißen Wüstensand. Bevor er zugriff wendete er prüfend den Blick nach oben in den Himmel. Ihm blieb noch Zeit.

Eine Handbreit unter der Oberfläche war der Sand angenehm kühl. Dieser rann ihm durch die Finger, als er den Gegenstand hochhob. Der Priester drehte seine Handfläche nach oben und sah, dass es sich lediglich um einen Stein handelte. Kraftlos sackte er in sich zusammen. Er legte sich den kühlen Stein gegen seine Stirn, bevor er bald keine Abkühlung mehr bot. Verärgert warf er den Stein hinter sich. Diese Mondphase hatte ihm bisher kein Glück bei seiner Suche beschert. Er erhob sich wieder, nahm seinen Stab in die Hand und ließ seinen Blick weiter schweifen. Etwa ein Zehnt vor ihm lag ein felsiger Teil der Wüste und er beschloss, dort sein Glück zu versuchen. Nicht dass die flachen Steine etwa Schatten böten, denn die Sonne stand bald im Zenit über der Wüste. Doch eine felsige Stelle war stets ein guter Ort zum Suchen. Denn nicht nur der Priester fand Trost zwischen den Steinen, die die monotone Weite der Wüste durchbrachen. Jemand anderem mag es vor langer Zeit ebenso gegangen sein.

Der Priester trug ein moosgrünes Gewand welches mit kupferbraunen Bändern um seinen Körper und seine Arme gewickelt war. Auf den ersten Blick schien es, als ob er ebenso farbige Handschuhe sowie ein Kopftuch trug. Doch bei genauerem Hinsehen sah man, dass er Kopf und Hände mit einem Schlamm bedeckt hatte, der getrocknet war und wohl als Schutz vor der Sonne diente. Am rechten Ohr trug er einen Schmuck, der ihm bis zur Schulter herab reichte und aus vielen verschiedenen Gliedern bestand, die aus Knochen gefertigt waren.

Als der Priester sich der felsigen Stelle näherte, stach er seinen Stab, an dessen unterem Ende sich ein Querholz mit unzähligen dünnen Zinken befand, wieder in den Wüstenboden hinein. Mühsam zog er die Zinken durch den Sand. Zwischen drei größeren Steinen, die in Form eines Dreieckes angeordnet waren, spürte der Priester erneut einen Widerstand, kniete sich erneut in den Sand, legte erneut den Stab neben sich und grub erneut seine Hände in den heißen Sand. Wie viele Male hatte er all das am heutigen Tage schon getan. Behutsam fühlte er umher, fuhr eine unsichtbare Linie hinab und hob dann mit großer Vorsicht einen Schädel auf, aus dessen leeren Augen der Sand rieselte. Der Schädel schien riesig in den kleinen Händen des Priesters. Er lächelte zufrieden. Bevor er den Schädel hinter sich auf dem flachen geraden Stein platzierte, blickte er nochmals prüfend in den Himmel. Behutsam fuhr er mit beiden Daumen über den Schädel, der vor ihm lag und als er fand, wonach er gesucht hatte, griff er in sein Gewand. Er zog aus seinem Gürtel einen Stein, der an der einen Seite spitz angeschliffen und an der anderen Seite wie ein Griff geschlagen war. Mit diesem Werkzeug schlug er zu und zerschmetterte damit den Schädel, der in sich zusammenbrach, ohne dass die Splitter in alle Richtungen flogen. Erneut blickte er Richtung Himmel. Nun war Eile geboten. Als er denn Blick wieder senkte, sah er in der Ferne einen Mann, der in seine Richtung kam. Oder war es eine Sinnestäuschung? Wer würde in der Hitze des Mittages die Stadt verlassen? Doch nein, er irrte sich nicht. Der Mann kam näher.
Ohne Hast, jedoch mit zügigen Bewegungen drehte der Priester den Stein in seiner Hand herum und begann die zerbrochenen Schädelteile zu feinem Staub zu verreiben. Als er bereits einen großen Teil seiner Arbeit vollbracht hatte, stand der Mann vor ihm. Er hatte das sandfarbene Gewand des einfachen Volkes an, Kopf und Gesicht waren von einem Tuch umwickelt, sodass nur seine schwarzen Augen zu sehen waren. »Den Segen der Monde«, wünschte der Fremde.
»Kommt. Verbringt diese Oase mit mir«, erwiderte der Priester und zeigte zuerst hinauf zur Sonne und dann auf einen flachen Stein neben sich. Der Mann verbeugte sich und nahm Platz. Er löste hinter dem Ohr einen Teil seines Schales und ein freundliches Gesicht trat zutage.
Der Priester nickte ihm zu und fuhr mit seiner Arbeit fort.
»Was tut ihr da?«, fragte der Mann. »Ah, ihr seid einer von denen«, beantwortete der Mann seine eigene Frage und wedelte mit der Hand an seinem rechten Ohr. »Aber warum zerstört ihr dann den Knochen?«
Ohne von seiner Arbeit aufzuschauen antwortete der Priester. »Wenn der Schädel vollständig zerrieben ist, kann die Seele des Elteren in den Himmel aufsteigen. Erst dann können die restlichen Knochen gefahrlos geerntet werden.«
In diesem Moment erstarb das gleißende Licht der Wüstensonne und kehrte sich in blaue Schatten. Die Luft würde schlagartig kühl. Der Priester hielt in seiner Arbeit inne. Sein nassgeschwitztes Gewand klebte nun kalt an seinem Körper. Er legte genüsslich den Kopf in den Nacken und setzte sich auf einen der noch warmen Steine. Der Mond Pto'l hatte sich vor die Sonne geschoben.

Aber der Stein wird nicht warm seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt