Sense8

Riley Blue

Die sanften Klänge des Klaviers weckten sie. Wie spät es wohl sein mochte? Ihr Papa war schon immer ein Frühaufsteher gewesen. Bestimmt hatte er schon etwas zu essen gemacht. Hoffentlich Pancakes. Schnell stieg sie aus dem Bett und schlüpfte aus ihrem Nachthemd. Sie suchte sich frische Kleidung aus dem Holzschrank in ihrem Zimmer.

Dann tapste sie auf nackten Füßen ins Wohnzimmer, wo ihr Vater in sein Klavierspiel vertieft war. Seine Finger glitten über die Tasten, spielten kleine fröhliche Melodien, begleitet von drei sich wiederholenden Dur-Akkorden. Sie selbst konnte auch ein bisschen spielen. Ihr Vater hatte ihr ab und zu etwas gezeigt. Aber am liebsten hörte sie ihm zu. Er spielte so schön...

Sie blieb im Türrahmen stehen und lauschte. Der Holzboden unter ihren Füßen war angenehm warm, genauso wie das Zimmer, welches von einem Kamin beheizt wurde. Es war wichtig, dass sie es warm hatten. Noch war der Winter nicht vorbei und große Schneestürme waren so hoch im Norden nichts Ungewöhnliches. Falls es nicht bald aufhörte zu schneien, mussten sie wahrscheinlich zu anderen Mitteln greifen. Aber noch lag der Schnee nicht hoch und es war schön, rauszugehen und in der zauberhaften Stille spazieren zu gehen. Sie lächelte bei dem Gedanken.

Plötzlich änderte sich die Melodie, die ihr Vater spielte zu einem bekannten Lied. Sie würde es immer und überall erkennen.

"Don't cry...don't raise your eye...it's only teenage wasteland...teenage wasteland...", sang sie leise mit.

Ihr Vater hörte auf zu spielen, drehte sich um und sah sie lächelnd an. „Gut geschlafen, Riles?" Sie nickte. „Hast du wieder ein Konzert?", fragte sie. „Oder übst du wieder nur zum Spaß?"
„Ich übe nur zum Spaß. Wenn das mit dem Schnee so weitergeht, dann weiß ich nicht, ob es sich lohnt, ein Konzert zu veranstalten, wenn ja doch keiner kommt."

Sie sah ihn verständnisvoll an. Dann erschien eine Sorgenfalte auf ihrer Stirn. „Wir haben aber noch Geld, oder?" Sie wusste, dass sie nur Geld zuhause hatten, wenn ihr Vater mit seinem Orchester Konzerte spielte. Und wenn es jetzt keine Konzerte gab, dann hatten sie ja irgendwann kein Geld mehr.

"Mach dir keine Sorgen um das Geld, Riles. Wenn es kein Geld mehr gibt, dann haben wir immer noch uns." Ihr Vater lächelte sie aufmunternd an. Für ihre sieben Jahre verstand sie manchmal zu viel. „Wo ist Mama?", fragte sie dann. „Isst sie nicht mit uns?"

Das Gesicht ihres Vaters verdüsterte sich. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber es war zwecklos. Er gehörte zu jenen Menschen, die ihr Herz auf der Zunge trugen. Er sagte immer, was er fühlte, und selbst, wenn er es nicht sagte, so konnte man seine Emotionen doch immer von seinem Gesicht ablesen.

"Geht es ihr wieder schlechter?", fragte Riley und versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Ihr Vater schien hin-und hergerissen. Er schien mit sich einen inneren Kampf auszufechten, ob er die Wahrheit oder eine Lüge erzählen sollte. Die Wahrheit würde Riley das Herz brechen. Aber eine Lüge würde über kurz oder lang auffliegen. Und dann wäre sie sauer. Das wollte er nicht. Aber sein Kind hatte längst begriffen, worum es ging und nun schlich sich auch auf ihr Gesicht ein dunkler Schatten.

"Es geht ihr wieder schlechter." Ihre Stimme hätte nicht enttäuschter klingen können. „Kann ich zu ihr?", fragte sie dann.
Ihr Vater gab sich geschlagen. „Geh ruhig. Aber vergiss nicht, dass sie Ruhe braucht."

Es war unnötig gewesen, das zu erwähnen. Riley wusste sehr gut, wie es um ihre Mutter stand. Und es nahm sie offensichtlich sehr mit. Er stand auf um seine Tochter in die Arme zu schließen. „Sie wird schon wieder. Letztes Mal ist es auch besser geworden, also warum nicht dieses Mal?", versuchte er sie zu trösten.

"Ja, es ist besser geworden. Und jetzt wieder schlimmer! Was, wenn sie nie wieder gesund wird?", brach es aus dem dunkelblonden Mädchen heraus. Er wusste nichts darauf zu erwidern. Stattdessen strich er einfach über ihren Rücken und hoffte, dass sie nicht mitbekam, wie es ihm mit der Situation ging.