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Gegenwart

"Wir machen das jetzt echt, oder?", frage ich meinen besten Freund, während ich meinen Mercedes Richtung Eishalle lenke. Eine Stunde und ein paar Zerquetschte haben wir hierher gebraucht. "Du kannst dich gar nicht beschweren, wir sind hier nur weil du ein Eishockey Buch gelesen hast und jetzt wissen willst, ob die tatsächlich so heiß sind", erwidert mein Nebensitzer. Unrecht hat er nicht. Wir sind tatsächlich nur so weit gefahren, weil ich mir die heißeste Mannschaft ausgesucht habe, um meine Theorie zu testen. Das mag oberflächlich klingen, ist es aber nicht. Ich mag Sport generell, da wird Eishockey nicht sooo anders sein, als Fußball. Spoiler: Es ist komplett anders als Fußball.

Als wir das Stadion betreten, ist es eiskalt und uns wird eine Stadionzeitschrift in die Hand gedrückt. Die Stimmung ist gut: Überall ist das Zeichen der Devils ausgestellt, das kleine rote Zeichen prangt an den Wänden, den Jerseys und den Bechern der Besucher. Stimmen schwängern die Luft und es riecht angenehm nach Glühwein - wir haben schließlich Anfang Dezember. Unsere Plätze liegen recht weit hinten in der Halle und sind genau bei der Strafbank unseres Teams.

"Hast du irgendeine Ahnung, wie Eishockey funktioniert?", fragte ich Madox, als in den ersten zehn Sekunden zwei Spieler gegen Banden knallen und laut ein Lied von Usher durch die Boxen dröhnt. Schulter zuckend guckt er mich an, "äh absolut gar nicht, muss ich sagen, aber ich lieb's", ein großes Lächeln erscheint auf seinen Lippen und wandert zu meinen. "Das wird nicht das letzte Mal sein, dass wir hier sind oder?", sage ich. "Definitiv nicht", kommt seine Antwort direkt.

20 Minuten geht ein Drittel und nach jeder Spieleinheit kommen 15 Minuten Pause ein System, was sich uns beiden nicht erschlossen hat, aber wir hinterfragen hier gar nichts mehr. Vor allem nicht die Spieler. Immer wieder springen uns die verschiedensten Gesichter entgegen, die wir dann akribisch im Stadionmagazin nachgucken und gegebenenfalls auf Instagram stalken. "Mist 55 ist auch privat", sage ich während ich meine bis dato vierte Freundschaftsanfrage rausschicke. "Das kann doch echt nicht sein, das sind doch Sportler, denen ihr Job ist es doch berühmt zu sein", stimmt auch Madox in meine Tirade mit ein. "Nun ja", sage ich und zucke mit den Schultern, "dann kriegen die jetzt alle eine Benachrichtigung, dass so zwei Trottel die bis vor zwei Stunden nicht mal wussten dass, das Ding mit dem die da Spielen Puk heißt", "Also das wussten wir schon Malou", unterbricht mich Madox. "Ja ok doofes Beispiel, aber you get it", beende ich meinen Satz völlig abgelenkt, denn unsere Devils schlittern schon wieder aufs Eis und sehen dabei teuflisch gut aus.

POV SAMUEL

Frustriert schmeiße ich meinen Helm auf den Boden. "What the Fuck", gebe ich lautstark von mir und schaue meine Kameraden wütend an. Mein Blut kocht beinahe "Nichts hat gepasst. Sorry aber wo zum Teufel war unsere Abwehr. Domenik? du bist groß und breit, wie kann es sein, dass jeder Puk an dir vorbei rauscht", meine Freunde gucken zu mir auf. Ich bin ihr Kapitän, sie vertrauen mir und heute haben wir versagt. Es gibt in solchen Fällen die Option den Jungs gut zuzureden und ihnen Mut zu machen oder - so wie in diesem Fall - muss man einfach Mal auf den Tisch hauen. Und das nicht nur metaphorisch, denn als meine Faust auf den Tisch schlägt, zucken alle im Raum zusammen. "Niemand war, wo er sein sollte. Ich stand zwischenzeitlich alleine im Tor. Veit? Jannis? ihr seit die schnellsten aus dem Team und dümpelt irgendwo zwischen Hartmann und Gaugenmeier rum. Und wenn wir da schon bei unseren Goalies sind. Was war das? Also unsere komplette Leistung kann man heute unter dem Motto ALLES SCHEIßE zusammenfassen und wir sind ja noch nicht mal fertig", die letzten Worte schreie ich. Einige zucken zusammen, andere Spieler wie Reynolds und Domenik heben eher trotzig das Kinn. Theoretisch sollte ich mich jetzt hinstellen und tröstende Worte liefern, aber wir haben noch ein Drittel vor uns, also ist da einzige was ich rausbekomme eher gepresst: "Wir haben jetzt noch 20 Minuten um die Scheiße umzureißen. Es steht 9 zu 0 gegen uns. Also packt euch an den Eiern und reißt euch am Riemen. Verstanden?" Nach kurzem Zögern kommt unisono ein "Verstanden" von der Mannschaft.

Wir schlittern über das Eis, meine Beine bewegen sich automatisch und mein Stock schlägt wie von selbst den Puk. Unsere gewohnte Melodie ertönt und meine Kollgen fallen mir um den Hals - wir spielen seit einer Minute. Ab jetzt funktionieren wir. Ich weiß nicht, ob es meine Ansprache war, oder die Frustration. Die Luft ist geschwängert von Aggressionen - unsere Gegner aus Landsberg waren sich zu sicher und merken nun, dass das Ding eben noch nicht gegessen ist, und wir wollen das Match nun doch gewinnen.

Tor, Tor und noch ein Tor. Es steht 9 zu 7, als ich in der Strafbox lande. " Zwei Minuten Zeitstrafe für unsere 67 Samuel Kettner wegen unnötiger Härte", hallt es durch das Stadion. Weg mit meiner guten Laune, zieh ich meinen Helm aus und fahre mir übers Gesicht. Harter Schlag hatte der Arsch: Das wird morgen ein schönes Veilchen geben. Mein Helm landet neben mir auf der Strafbank, mit dem Handtuch fahre ich mir über mein Gesicht und gucke mich dabei wie selbstverständlich um. Meine Augen wandern über die normalerweise sehr leeren Plätze - vor allem so weit unten. Niemand sitzt in den ersten drei Reihen, niemand bis auf die beiden Menschen, die mich direkt anblicken. Eine der beiden fällt mir sofort auf. Braune Haare, Augen, die mich durch eine reflektierende Brille anblicken und sonst ist sie von oben bis unten so dick eingepackt, dass man keinerlei Konturen ihres Körpers ausmachen kann. Ich meine, es ist tatsächlich kalt, wenn man nur in der Halle sitzt, aber so kalt? das habe ich auch noch nie gesehen. Unsere Augen verhaken sich ineinander. Ihr Gesicht fesselt mich und ich verliere mich in der dunkelbraunen Iris. "Samuel?", höre ich es dumpf im Hintergrund, "Samu, Junge komm, du darfst in 30 Sekunden wieder raus." Wie in Trance erhebe ich mich und spiele wie ein Roboter weiter. Wir gewinnen tatsächlich noch das Match... doch alles, an das ich denken kann, ist das Mädchen aus der zweiten Reihe.

Block F, row 2, seat 26 & 27: Die etwas andere Eishockey LovestoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt