Kapitel 1

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Mara wacht auf. Das Gelächter der Kinder vor ihrem Tipi-Zelt hat sie geweckt. Wieder. Allem Anschein nach ist der kleine braune Ball, mit dem sie so oft spielen, durch den Vorhang in ihr Zelt gerollt. Mara reibt sich die verschlafenen braunen Augen aus und dreht sich stöhnend auf den Rücken. Kurz verharrt sie in dieser Position und starrt vor sich hin. Dann hört sie die Kinder reden.

»Bill, du Blödmann! Wir können Mara doch nicht aufwecken«, hört sie Klara sagen.

»Ich kann mich ja reinschleichen und den Ball holen. So wie die schnarcht, wird die doch eh nicht wach.« Beide kichern.

Mara kann sich das Grinsen nicht verkneifen. Sie springt auf, schnappt den Ball und stürmt mit einem “Buh” durch den Vorhang. Beide Kinder schrecken zusammen.

»Ha, wenn du mich erschrecken willst, musst du dich mehr anstrengen«, sagt Bill und streckt auf übertrieben Weise die Brust heraus, woraufhin Mara mit der Stirn runzelt.

»Also für mich sah es sehr wohl so aus, als hättest du dich erschreckt«, erwidert sie und klappst behutsam auf seinen blonden Kopf. Dabei kneift er reflexartig die Augen zu. Klara lacht und zeigt mit dem Finger auf Bill. Um ihn zu mustern, holt Mara den Ball hervor, den sie bisher hinter ihrem Rücken versteckt hatte. Die braune Lederoberfläche ist total zerfleddert. Was machen die Kinder bloß damit?

»Den gib mal wieder her, Mara«, fordert Bill und streckt die Hand aus. Mara grinst höhnisch und versteckt die Hände wieder hinter ihrem Rücken. Ohne dass die Kinder es merken, lässt sie den Ball auf den Rasen fallen.

»Nur wenn ihr erratet, in welcher Hand ich den Ball verstecke.« Die Zwei grinsen sich so an, als würden sie sich, ohne auch nur ein einziges Wort miteinander auszutauschen, verständigen und zeigen gleichzeitig auf ihre rechte Seite. Zögerlich holt Mara ihre rechte Hand hervor und zeigt ihnen, dass sie leer ist. Als sich entpuppt, dass auch ihre linke Hand leer ist, machen die Kinder große Augen.

»He, wo ist der hin?« Bill verschränkt die Arme. Mit dem Fuß rollt Mara den Ball vor sich und tritt ihn zu Bill rüber. Die Kinder lachen.

»Schnarche ich denn wirklich so laut?«, fragt Mara. Bill hebt den Ball auf und beginnt, ihn von Hand zu Hand gleiten zu lassen.

»Und ob«, ruft er. Die Kinder springen lachend davon, bevor Mara hätte darauf reagieren können. Während sie den Kindern hinterhersieht, streift eine kühle Brise ihr Gesicht. Beim Blick in den Himmel erkennt sie verwelkte Blätter, die davongeweht werden. Die Frische des mit Tau bedeckten Rasens, beginnt, ihre Füße durch die Sandalen hindurch hochzuklettern. Inzwischen hat sich eine dünne Schneedecke auf die Gipfel der entfernten Berge gelegt. Sie sind von ihrem Standpunkt aus erkennbar.

Mara seufzt und betritt ihr Zelt. Die Stoffhose, die Granny ihr gestrickt hatte, hängt über dem Holzstuhl. Bei ihrem Anblick muss Mara immer schmunzeln. Die Hose ist am ehesten mit einer überdimensionierten Jogginghose zu vergleichen. Dadurch sieht sie nicht nur kuschelig aus: sie ist es auch. Zu der Hose zieht sie sich noch einen braun-rot gestreiften Pullover an. An der linken Seite des Gurtes, den Mara sich um die Hüfte schnallt, hängt eine Messerscheide, in der ein Dolch steckt. Das Pony schiebt sie sich aus dem Gesicht und mit dem Dutt gibt sie sich auch nicht viel Mühe. Die schwarz-glänzenden Haare stehen in alle Richtungen ab. Als sie sich zum Vorhang dreht, nimmt sie das goldene Amulett in die Hand, welches an einer Kette um ihren Hals hängt. Kurz hält sie Inne und starrt in die verzerrte Reflexion des glattgeschliffenen roten Edelsteins. Bevor sie sich erneut in diesem Anblick verliert, reißt sie ihr knurrender Magen aus dem Tagtraum. Zeit für das Frühstück.

Den Leuten, denen Mara auf dem Weg zum Hauptzelt begegnet, lächelt sie zu. Als Lenni an ihr vorbeikommt, nickt sie sogar, wenn auch nur unscheinbar. Sie sieht ihn das erste Mal seither ohne Krücke. Es geht ihm wohl besser.

Im Hauptzelt angekommen, erkennt sie Heidi sofort, die auf einer der ausklappbaren Holzbänke sitzt und frühstückt. Sie hat sich ihre hellen, blonden Haare wie immer aufwendig gezwirnt. Bei dem Anblick fährt sich Mara durch ihre eigenen Haare und schnauft.

Vorne am Esstisch schnappt sie sich ein Tablett, bestückt es mit Essen und setzt sich zu Heidi auf die Bank.

»Mensch, du bist heute ja früh dran. Schön dich zu sehen, Mara«, begrüßt Heidi sie und lächelt schwach. Ihre sonst so schimmernden blauen Augen wirken trüb. Ihr Gesicht ist fast so blass, wie das eines Geistes aus einem alten Comic.

»Du aber auch. Konntest du wieder nicht schlafen?« Mara beginnt zu essen.

»Ach, du weißt ja, wie es ist. Kann denn überhaupt jemand gut schlafen, seitdem dieser Konflikt ausgebrochen ist?«, erwidert Heidi. Nach einem kurzen Augenkontakt herrscht Stille.

»Ich habe grade Lenni gesehen. Es scheint ihm besser zu gehen«, merkt Mara an und richtet ihren Blick wieder auf ihr Essen.

»Er kann endlich wieder ohne Krücken laufen, doch schwafelt jetzt schon davon, wieder zu kämpfen. Als ob er die zweite Kugel in seiner anderen Kniescheibe für die Sammlung haben wollen würde. So ein Idiot«, erzählt Heidi. Mara lächelt.

»Weißt du, woran ich denken musste, als ich ihn grade sah? Ohne dich hätte er es vielleicht gar nicht geschafft, Heidi. Und so wie ich dich kenne, machst du dir jetzt trotzdem Vorwürfe dafür, dass du ihn davon nicht abhalten kannst. Doch das kann niemand, verstehst du?« In dem Moment, als Heidi antworten möchte, wird sie von einer weiteren Stimme unterbrochen.

»Mara, Heidi, guten Morgen.« Es ist Gabriel, der gerade auf die Beiden zukommt.

»Oh-oh. Viel Glück Mara.« Heidi steht auf und verlässt den Tisch. Beim Vorbeigehen schaut Gabriel ihr noch kurz hinterher, bis er sich schließlich zu Mara setzt, welche den Tisch anstarrt.

»Hast du gut geschlafen?«, fragt Gabriel.

»Besser als viele der Anderen, schätze ich. Lass mich raten. Du möchtest wieder versuchen, mich umzustimmen?«

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