Der Rosengarten

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Der Rosengarten

"Versprecht mir eines", verlangte der Engel des Todes.

Ein letztes Mal drehte sich der Märtyrer um. Nach all dem Leiden in Gefangenschaft, die in einer blutigen Hinrichtung endete, war das ewige Paradies zum Greifen nah. Doch der Engel sprach mit einer dringlichen Aufrichtigkeit, die ihn tief bewegte. Drum hörte er zu, als dieser sprach:

"Kümmert euch gut um diesen Garten. Er war einst in den Händen eines Menschen, der mir viel bedeutet."

Einen Menschen, den er —dem Martyrium sei Dank— seit 225 Jahren nicht mehr gesehen. Als Fürst Roms und Engel der Christen, war Samael die Aufgabe, die Märtyrer ins Jenseits zu geleiten, persönlich zugeteilt worden. Eine solche Reise dauerte einige Tage, wenn nicht Wochen. So viele wie es waren und so oft sie in den Himmel kamen, blieb ihm keine Zeit zu dem Menschen zurückzukehren, den er sein zu Hause nannte. Zu seiner Lilith.

Er hätte zurück auf die Erde gemusst. Persönlich, um den Nächsten zu holen. Wovon er ersteres auch erfüllte. Wenn auch nicht, um einen weiteren Märtyrer in den Himmel zu geleiten. Dieser Weg führte ihn in die Hölle.

In all der Zeit seiner Abwesenheit hatte sich hier so gut wie nichts verändert. Nicht die gigantische Eingangshalle des Palastes.

Nicht die Treppen hinauf zu den privaten Gemächern.

Nicht die schwere bronzene Tür, über der seine Hand einen Moment zögerlich schwebte, bevor er sie aufdrückte.

Seine Frau war hinter dieser Tür. Zu lange hatte er sie nicht mehr sehen, hören, berühren dürfen. Vorsichtig schob er das schwere Metall einen Spalt auf. Gerade genug damit die Kerzen aus dem Flur einen goldenen Schimmer über das Rotgoldene Haar werfen konnten, welches er nun erblickte. Sie hatte es zu einem langen Zopf geflochten, der entlang ihres wunderschönen Rückens lag.

Den Atem anhaltend trat Samael an sie heran.

225 Jahre...

Und doch wiegte ihn Liliths Anblick in eine gewohnte Vertrautheit.

In dem Moment, als er am Bettrand auf die Knie ging, schien keine Sekunde vergangen zu sein. Die Art wie sie auf dem Bauch lag das Kissen fest in den Armen von nichts bedeckt als der Decke, die Samael vorsichtig höher ihren Rücken hinaufzog, damit sie nicht fror.

Bevor er sich auf die andere Seite des Bettes legte, wo er in den Resten des silbernen Mondlichts die Umrisse ihres Gesichtes mustern konnte.

Die zarten braunen Wimpern auf der blassen makellosen Haut, die der einer Porzellanfigur glich. Dabei war die Frau, die dort vor ihm lag alles andere als zerbrechlich. Sie war noch immer genauso mutig, willensstark und wissbegierig wie als er sie kennengelernt hatte.

Sehnsüchtig rückte er etwas näher und ließ schließlich seine Finger über ihre weiche Wange streichen. Wie er sich so auf ihren Atem konzentrierte —stetig wie die Gischt der See— fielen ihm dann doch die Augen zu.

Dabei hätte er sie die ganze Nacht betrachten können.

Noch bevor Lilith die Augen öffnete, nahm sie einen warmen Duft wahr, der in ihre Wangen und ihr inneres Auge zugleich zu steigen schien. So oft hatte sie von diesem Duft geträumt. Süßwürzigem Honig und fruchtig scharfem Wein mit einem Hauch von Salz. Wie die Brise einer sternenklaren Nacht am Meer. Doch kein bisschen kalt. Sondern warm wie Samaels Haut und wie das Gefühl, wenn sein weiches Haar an ihrer Schläfe vorbeistrich.

Verträumt kuschelte sie sich tiefer in dieses wohlige Gefühl und wie sie dachte, tiefer in die Kissen. Zu ihrer Überraschung jedoch, zogen sie in diesem Moment zwei Arme näher an die Quelle dieser Wärme, von der sie auf einmal merkte, dass sie tatsächlich da war.

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