Aufbruch am Abend

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„Ich halte es noch immer für keine gute Idee, sier mitzunehmen“, schnarrte Moody leise vor sich hinmurmelnd, während ich mit einem geübten Schwung meines Zauberstabs die Haustür der Dursleys öffnete. Ich ignorierte seine abfallenden Worte und drängte mich wortlos durch den schrecklich dekorierten Flur der Vorzeigefamilie. Harry und ich  waren in all den Jahren, in denen wir in derselben Straße wohnten, fast so etwas wie Geschwister im Geiste geworden. Unwissende Waisenkinder mit versteckten magischen Talenten, Außenseiter gefangen in der stereotypen Kleinstadtödnis Großbritanniens, gerettet durch eine unverhoffte Eule am 11. Geburtstag.  Ich würde ihn nicht im Stich lassen, nur weil Moody es für angemessener hielt. Mit gezielten Schritten stapfte ich die knarrenden Treppen hinauf.
„Was macht sier denn da? Komm sofort zurück, Y/N. Wir müssen vorsichtig vorgehen!“ Erneut ignorierte ich Moodys weisen Ratschlag und preschte weiter voran. Ich bezweifelte stark, dass die Dursleys irgendwelche Fallen für uns vorbereitet hatten – mal abgesehen von den grässlichen Familienfotos, die einem vor allem in dieser Dunkelheit schon ziemliche Angst einjagen konnten. Eine Fahrt in der Geisterbahn war nichts dagegen.
Vor Harrys Zimmertür angelangt, wurde ich plötzlich energisch vom bulligen Körper Moodys zur Seite gestoßen und stolperte gegen die Wand. Moody warf mir dafür einen vorwurfsvollen Blick zu. Als wäre es nicht viel mehr seine Schuld als meine. Idiot. Doch ehe ich es ihm heimzahlen konnte, schlug auch schon die dicke Eichentür von Harrys kleinem Zimmer zurück und offenbarte eben diesen. Er starrte völlig verdattert in das vernarbte Gesicht Moodys.
„Wir sind hier um dich mitzunehmen, Potter.“
Harry hatte den Zauberstab noch immer abwehrend erhoben und starrte Moody weiter wortlos an. Er schien hin und hergerissen, ob Moody zu vertrauen war oder nicht. Nur verständlich. Ich würde diesem arroganten Narbengesicht keine fünf Meter trauen. Hastig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und winkte über die in den abgetragenen Ledermantel eingekleideten rechte Schulter des alten Zauserigs.
„Hey, Harry. Bereit für ein kleines Abenteuer?“, verkündete ich breit grinsend und schnitt eine Grimasse in Richtung Moody, die verdeutlichen sollte, wie viele Nerven er mich heute schon gekostet hatte. Verdutzt ließ Harry den Zauberstab sinken und wenige Sekunden später formten seine Lippen ein leichtes Lächeln. Zufrieden quetschte ich mich zwischen Moodys rechtem Holzbein und dem klobigen Gehstock in seiner rechten Hand hindurch und schloss Harry in die Arme. Er erwiderte die Umarmung dankbar.
„Tut mir Leid, dass ich dir aus dem Weg gegangen bin“, flüsterte ich ihm noch immer in die Umarmung vertieft ins Ohr und fügte verschmitzt grinsend hinzu, als wir uns wieder voneinander lösten, „Aber Moody hat gedroht mir beide Arme und Beine auszureißen, wenn ich dir irgendetwas erzähle. Und du kennst mich, ich bin ein Plappermaul.“
Aus den Augenwinkelnl beobachtete ich, wie Alistair Moody genervt die Augen verdrehte. Das heißt, er verdrehte sein gesundes Auge und das Glasauge führte geradezu einen wilden Mambo in seinem Kopf auf.
„Denkst du, er wird gleich explodieren?“ zischte ich Harry verschwörerisch zu, während ich das völlig außer Kontrolle geratene Auge Moodys mit gespieltem wissenschaftlichem Interesse betrachtete.
„Kommt jetzt mit runter“, knurrte Moody, doch sein Auge gab noch immer keine Ruhe und drehte sich wie ein aufgedrehter Hamster in seinem Rad.
„Ich mach die Sauerei nicht sauber“, kicherte ich frech, griff nach Harry Oberarm und zog ihn ungeduldig hinter mir her.
Im Wohnzimmer begrüßten Remus und der Rest Harry, während ich daneben stand und noch immer belustigt Moodys inzwischen leider wieder langsamer werdendes Glasauge betrachtete. Nachdem alle damit fertig waren Harrys Ähnlichkeit mit seinem Vater zu bewundern und ihm zu erklären, wohin sie unterwegs waren, blablabla, war ich bereits zu Tode gelangweilt. Moodys Augen blinzelten wieder im ruhigen Gleichtakt ab und an argwöhnisch zu mir herüber und Remus Blick wanderte nervös zwischen uns beiden hin und her, als vermute er wir können uns jeden Moment an die Gurgel springen.
Vielleicht würde Moodys Auge dann einen Salsa statt einem Mambo aufführen. Moment. War Salsa überhaupt ein Tanz oder war das nur dieser leckere Nachodip, den Großmutter immer am mexikanischen Dienstag servierte?
Gerade als ich begann, mich in diese lebensverändernde Frage zu vertiefen, riss mich der Kommentar Hestia Jones, einer dunkelhaarigen Hexe mittleren Alters, aus den Gedanken.
„Er sieht wirklich aus wie James. Aber die Augen....“
„Lillys Augen“, bestätigte Dadelus Dickens, ein untersetzter Kesselhändler heftig nickend.
Ein kurzer Blick auf den noch immer völlig regungslos da stehenden und offenbar von all den Informationen erschlagenen Harry, ließ meine Alarmglocken läuten.
„Klasse. Da das mit den Augen jetzt geklärt ist, können wir ja los“, hastig rüttelte ich an Harrys Schulter, um ihn aus seinem offenbaren Wachkoma zu wecken, „Hol deinen Besen, Harry.“ Dankbar stolperte Harry davon und tat wie ihm geheißen. Unter den missbilligenden Blicken meiner Mitreisenden, drehte ich mich auf dem Absatz um und griff nach meinem alten Sauberwisch 7, der neben dem Eingang lehnte.
„Falls es irgendwer von euch in seine Sammlung an Klatsch und Tratsch aufnehmen möchte: Ich habe auch die Augen meiner Mutter. Aber ich glaube die Knubbelnase kommt eher nach meinem Dad. Und die Ohren verdanke ich meinem Großvater.“
Energisch stieß ich die Haustür auf und trat in die kühle Nachtluft. Kichernd gesellte sich Tonks zu mir. Ihr violettes kurzes Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab.
„Bist du dir sicher? Nicht, dass du ihnen falsche Angaben machst“, hakte sie amüsiert lachend nach. Harry stellte sich inzwischen ebenfalls breit grinsend links von mir auf.
„Hm, ich bin mir nicht sicher. Meine Oma schwärmt immer von ihrem Tet-a-Tet mit diesem abgrundtief heißen Nachtelben im Winterwunderland oder so etwas in der Art – das wäre eine Erklärung für die rasiermesserscharfen Ohren und den scharfen Rest meines Körpers. Aber sie könnte sich das Ganze vielleicht auch nur ausgedacht haben. Ich weiß nicht, aber das Winterwunderland klingt nicht allzu glaubwürdig“, nachdenklich tippte ich mir an die Stupsnase, „Vielleicht hat sie sich auch nur einen Scherz mit mir erlaubt und meine Ohren früher einmal mit einem ihrer Bleistifte verwechselt und versehentlich angespitzt. Oder ich trage Vulkanierblut in mir – ja, vielleicht hatte sie auch einfach eine Affäre mit Mr. Spock.“
Harry neben mir lachte laut auf, während Tonks sich verwirrt am Kopf kratzte.
„Wer ist Mr. Spock?“
Doch bevor ich antworten konnte, meldete sich auch schon wieder diese Spaßbremse Moody zu Wort.
„Genug von dem Unsinn. Wir brechen jetzt auf. Bleibt zusammen. Harry ist unsere Priorität Nummer eins. Ihm darf nichts geschehen.“
„Aye, Aye“, rief ich aus und salutierte Harry lachend zuzwinkernd, „Wenn es sein muss schmeiße ich mich zwischen Harry und eines dieser beängstigenden Touristenboote auf der Themse.“
Moodys Glasauge begann erneut gefährlich zu zucken, doch er schien sich zu meiner Enttäuschung rasch wieder zu fangen. Dann stieß er sich ohne ein weiteres Wort vom Boden ab und der Rest folgte ihm wie ein Schwarm Gänse.

Schattenspiele im MondscheinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt