"Nein. Da war kein Feuer um uns herum, Officer. Wir haben nicht einmal einen Kamin", sagte ich atemlos und ballte meine Hände zu Fäusten. Meine neuen Acrylnägel bohrten sich in meine Handflächen und hinterließen kleine halbmondförmige Abdrücke. Fest blickte ich den Beamten mir am Tisch gegenüber in die Augen. Ich war mir so sicher, was ich gesehen hatte. Da war kein Feuer gewesen, als meine Mam das Leben verließ. Ich war das Feuer gewesen. "Wir haben eindeutige Brandspuren in der Küche gefunden. Der Herd hatte einen Kurschluss, Miss. Ich verstehe, dass Sie sich die Schuld geben wollen, aber es war ein Unfall. Es tut mir aufrichtig leid", erklärte der bärtige Mann und legte seinen vermutlich besten mitleidigen Blick, den er hatte, in seine Augen. "Sie hören mir nicht zu!" rief ich aus. "Ich bitte Sie, Miss Stewarts", ermahnte mich ein weiterer Policeofficer. Verzweifelt blickte ich zwischen den beiden Männern hin und her.
Wieso wollten sie mir denn nicht glauben? Ich gestand gerade den Mord an meiner eigenen Mutter, doch sie sahen weg. Packten mich in Watte und stempelten mich vermutlich im Geiste als verrückt gewordene Tochter ab, die ein Trauma erlitten hat. Ich habe es in ihren Augen gesehen, als sie sich eben einen Blick zuwarfen, während ich versucht hatte zu erklären, dass ich es gewesen bin, die ihre Mutter getötet hatte und nicht der blöde Herd. Der Kurzschluss war viel später passiert. Vermutlich auch meine Schuld. Doch das konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin verstand ich selbst ja gar nicht, was da vor zwei Stunden passiert war. Ich war nicht verrückt...
"Ich bin nicht verrückt", wagte ich verzweifelt einen weiteren Versuch. Es musste der mittlerweile Vierte sein, den ich tätigte. Sie mussten es doch verstehen. Ich war eine Gefahr für mich selbst und vor allem für alle um mich herum. Ich habe meine eigenen Mutter getötet. Ich habe meine eigene Mutter getötet. "Ich habe meine eigene Mutter getötet", flüsterte ich leise wiederholend die Worte, die mir durch den Kopf spukten. Jetzt traf mich auf der mitleidige Blick des zweiten Beamten. Ich hatte seinen Namen wieder vergessen, aber es war auch nicht wichtig. Ich hatte meine eigene Mutter getötet und niemand wollte mir glauben. "Miss Stewarts, niemand hier hält Sie für verrückt. Sie haben einen tragischen Verlust erlitten. Es ist vollkommen natürlich, dass Sie unter Schock stehen. Wir können Ihnen einen Berater zur Seite stellen, wenn Sie sich damit besser fühlen?" bot mir der Bärtige an und versuchte es mit einem aufmunternden Gesichtsausdruck.
In meinem Bauch zog sich alles zusammen. Einen Berater? "Sie meinen einen Psychiater?" stellte ich die offensichtliche Frage und blickte ihn an. Ertappt. Ich sah es in seinen Augen, wenn auch nur ganz kurz. Aber da war es gewesen. Kurz hatte es aufgeblitzt, wie sein Herz einen Satz machte, als ich das Wort aussprach, das er so gut versucht hatte zu umschiffen. Nicht gut genug, Herr Officer. "Jemanden, dem Sie alles erzählen können. Er kann Ihnen helfen das Ganze zu verarbeiten", stammelte der Zweite, um seinen Kollegen aus der Bedrängnis zu holen. Ich brauchte auf jeden Fall Hilfe das hier zu verarbeiten. Dass mir keiner glaubte, obwohl ich einen Mord gestand. Na gut, vielleicht war Mord zu viel gesagt. Möglicherweise käme ich mit Totschlag oder sowas in der Art davon. So gut kannte ich mich dann doch nicht mit dem Gesetz aus. Aber allemal war ich nicht so unschuldig, wie der bärtige Officer und sein schlanker Kollege es annahmen.
Vier Mal bereits hatte ich versucht ihnen die Wahrheit zu sagen. Nein, ich hatte ihnen genau genommen die Wahrheit gesagt. Sie hatten nicht zuhören wollen. Lieber ihre Version der Geschichte hören und glauben wollen. Ein fünftes oder sechstes Mal war sicher vergebene Liebesmüh. Also schwieg ich. Verschränkte die Arme vor der Brust und blickte den Bärtigen still an. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mich seine Überforderung nicht ein klein wenig amüsierte. Immerhin schien er gerade offensichtlich nach den richtigen Worten zu suchen. Sein Mund ging auf und schloss sich dann wieder. "Miss Stewarts", setzte er vorsichtig an und ich hob den Blick aufmerksam. "Nochmals mein aufrichtiges Beileid zu ihrem Verlust", fügte er hinzu. Kratzend schob er den Stuhl über den laminierten Fußboden des Raumes, als er aufstand. "Mister Miller wird gleich zu Ihnen kommen", erklärte er noch bevor er die Tür wieder hinter sich schloss.
Mister Miller, wiederholte ich den Namen innerlich und rümpfte meine Nase. Was sollte mir ein Psychiater bringen? Die meisten glaubten ebenfalls nur ihre eigenen Theorien und Geschichten. Schließlich dichten sie einem dann noch irgendeine Störung an und verdienen haufenweise Kohle. Was sollte mir so einer schon großartig bringen? Ich litt an keinem Trauma. Ich hatte meine Mutter umgebracht und ich hatte es auch noch gewollt. Konnte ich einem Psychiater das sagen oder wurde ich dann zwangseingewiesen. Direkt für unzurechnungsfähig befunden. War man dann nicht auch von der Strafe befreit oder bekam zumindest eine Abmilderung der Strafe? Aber ich hatte keine Abmilderung verdient. Ich gehörte weggesperrt. Ich konnte mich nicht kontrollieren. Konnte das nicht kontrollieren, was passiert war. Ich war eine Gefahr für alle Menschen da draußen und das mussten sie unbedingt verstehen. Sie mussten mich in Isolationshaft auf Ewig verfrachten und nur in Schutzanzügen zu mir kommen. Sie durften mich nicht wieder zurück in die Öffentlichkeit lassen. Was, wenn das noch einmal geschah? Was war dann? Was sollte ich dann machen? Und wenn es diesmal mehr Leute traf? Nicht nur meine Mam, sondern viel mehr? Die ganze Stadt? Nein, das ging nicht. Das durfte auf keinen Fall passieren. Und wenn die Officers mich nicht wegsperrten, dann musste ich es selbst tun. Vorerst. Bis ich einen geeigneten Plan hatte. Den würde ich mir noch ausdenken müssen.
"Miss Stewarts?" fragte eine Stimme und riss mich damit aus meinen fieberhaften Überlegungen, was der beste Plan wäre um alle anderen vor mir zu schützen. Bisher stand zur Auswahl, dass ich mich in den Keller einsperre und nur zu Hause bleibe. Immerhin konnte man sich Lebensmittel nach Hause liefern lassen. Oder ich lebte einsam auf der Straße, denn das Haus konnte ich so nicht mehr bezahlen. Jobben könnte ich nicht, denn dafür müsste ich raus gehen. Also bliebe auf der Straße leben. Oder Selbstmord. Das wäre die sicherste Variante von allen. So konnte ich einhundertprozentig sicher gehen, dass ich nie wieder jemandem schaden würde. Niemals wieder.
"Ich bin Mister Miller", fügte der Mann, der gerade eingetreten war hinzu, und zog sich den Stuhl an den Tisch, um sich zu setzen. Seine wirklich hellblauen Augen wirkten, trotz ihrer kalten Farbe, seltsam freundlich. Doch ich kam nicht dahinter. Beinahe so, als hätte er seine Maske perfekt aufgesetzt und ließ keinen durch. Dabei waren die Augen das Fenster der Seele. Mein Geheimtrick, um in anderen Menschen zu lesen. Doch dieser ließ es nicht zu. Interessiert richtete ich mich in meinem Stuhl auf. "Ich weiß", gab ich knapp zur Antwort. Er sollte wieder gehen. Mich mit meinen Plänen allein lassen. Ich musste nachdenken, wie ich allein die Welt retten könnte, da die Polizei unfähig war. "So?", machte er nachdenklich und runzelte die Stirn. Seine Mundwinkel zuckten leicht amüsiert nach oben. "Dann brauche ich mich ja gar nicht vorstellen, wenn du alles über mich weißt", fuhr er belustigt fort und lehnte sich zurück. Die Hände vergrub er mit einer lässigen Geste in seinen Hosentaschen. Ich kniff die Augen zusammen. Bitte lass ihn kein Ich-Bin-Der-Coole-Psychofutzie-Der-Sich-N-Scheiß-Für-Dich-Interessiert-Typ sein. "Das habe ich nicht gesagt", widersprach ich ihm, in der Hoffnung, dass meine Bitte erhört wurde. "Ich habe gehört, was du gesagt hast, Cora", erwiderte er ruhig und blickte mir in die Augen. Da war er wieder. Der seltsam freundliche Ausdruck in seinen Augen, den ich nicht deuten konnte. Erneut zog sich mein Bauch zusammen. Irgendwas stimmte hier nicht.
"Dann sind Sie offensichtlich nicht taub", murmelte ich frustriert über die Tatsache, dass er die Kontrolle über sein Gesicht behielt. Ein schnaubendes Ausatmen seinerseits war die Antwort darauf. Lachte er mich aus? "Ich habe alles gehört, was du gesagt hast, Cora. Du bist keineswegs verrückt", fuhr er fort. Meine Augen brannten und der kalte Schauer, der sich über meinen Rücken zog wanderte von dort zu meinen Armen. Doch ich durfte mir nichts anmerken lassen. Ich hatte keine Angst vor diesem Mann und wenn doch, dann durfte er es als aller letztes bemerken. Eines stand fest:
Das war kein normaler Psychiater.
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The Phoenix - Rising
FantasyWenn sich Cora einer Sache sicher ist, dann ist es die Tatsache, dass sie nicht verrückt ist. Dies ist eine ungeschriebene Wahrheit, die sie ihr ganzes Leben lang begleitet hat. Wann immer jemand ihr sagt, dass sie nicht ganz dicht ist, ruft sie sic...