(2) Ein Fünkchen Wahrheit

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Meine Augen werden groß und ich gehe die wenigen Schritte wieder zu ihm zurück.

„Ich hatte einen seltsamen Traum. Aber wenn es diese Person wirklich gibt, bedeutet das, dass in meinem Traum wohl etwas mehr steckt..."

„Vielleicht ist es ja garnicht deiner...", murmelt er vor sich hin. Fragend sehe ich zu ihm, doch er scheint jetzt in seinen ganz eigenen Gedanken zu sein und mich vollkommen auszublenden.

Also tu ich das was ich immer tu. Ich handle.
Mit entschlossenen Schritte gehe ich zu dem Baum, wo sein Klinge immer noch steckt und hole sie heraus. Dann gehe ich zu ihm zurück und halte sie ihm hin.

„Hier. Und danke fürs Retten. Ich weiß, dass du mich nur allzu gerne loswerden möchtest, aber ich glaube ich sollte hier bleiben. Es gibt hier irgendwas, was ich erledigen muss. So sehr meine Eltern meine Psyche auch für labil halten, ich vertraue ihr trotzdem."

Der Mann vor mir schaut mich wieder klar an und sein Mundwinkel zuckt für einen winzigen Moment. Fast denke ich, er wolle lächeln.

„Meinetwegen, Mädchen, dann komm mit. Aber lass dich bloss nicht wieder von den Nebeln erwischen."

„Alles klar, Sir", salutiere ich vor ihm.
Seine grünen Augen durchbohren mich hartnäckig, als wäre ich ein Geheimnis, dass er ergründen müsste.

„Wie heißt du?"

„Lucinda Miers."

Nickend dreht er sich um und geht los, tiefer in den Wald hinein.

„Hey", rufe ich und stolpere ihm hinterher. "Und wie heißt du?"

Für eine Weile sind es bloss seine Schritte, die ich in diesem geisterhaften Wald höre, der so still ist, nachdem die Nebel geflohen sind.

Erst denke ich, ich bekomme keine Antwort mehr, aber plötzlich seufzt er auf. "Mein Name ist Zerrin."

Nachdenklich tappe ich neben ihm.
„Klingt ganz schön... fantasievoll...", flüstere ich vor mich hin.

„Du hast es immer noch nicht verstanden, oder?" Plötzlich klingt seine Stimme kalt. "Du hast eine Grenze zu einer anderen Welt überschritten. Das hier ist keine Fantasiewelt und schon garkein Traum, aus dem du so leicht wieder aufwachen kannst. Die Nebel sind nah, real und sie haben verdammt Lust darauf deine Seele zu verschlingen. Früher war das hier einmal ein Zuhause für viele, aber mittlerweile ist es nur noch ein grausames Schlachtfeld. Oder sollte ich besser sagen... willkommen im Feenreich Kasendra!"

Mit großen Augen sehe ich ihm zu, wie er seine großen, grünen Mottenflügel ausbreitet, die er bisher hinter seinem Rücken versteckt hatte und stößt sich vom Boden ab.

Mit einer eleganten Drehung wendet er sich zu mir um und schaut im wahrsten Sinne von oben auf mich herab. In seiner Hand hält er nun wieder seine beiden Klingen.

"Und weißt du was die Nebel am liebsten mögen? Nein, es sind keine Menschen. Es sind die Feen selber. Mit Vergnügen haben sie diese Länder hier ausgerottet. Aber da es hier keine Feen mehr gibt, müssen sie sich woanders bedienen. Deswegen locken sie solche Geschöpfe wie dich hierher und das scheint ja wirklich gut zu klappen."
Mein Herz zieht sich zusammen, als ich seine Worte verstehe.

„Du bist alleine hier", hauche ich. Zerrins Gesichtsausdruck wird wütender, dann seufzt er plötzlich frustriert auf. "

„Das habe ich nun wirklich nicht gemeint." Er lässt sich wieder auf den Boden herab und geht weiter voran.

"Du läufst in deinen eigenen Tod, Mädchen."

~~~

Ich kann nicht sagen, wie lange wir laufen, noch weniger kann ich sagen, wo wir überhaupt sind. Seit wir in diesem Wald sind, habe ich jeglichen Orientierungssinn verloren.

So sehr wie Zerrin versucht mich vor diesem Ort, diesem Feenreich namens Kasendra wie er es sagt, zu warnen, so froh bin ich nicht mehr alleine zu sein. Natürlich war ich immer von Leuten umringt, aber meine Psyche haben immer alle verurteilt. Ich habe das Gefühl, dass das Zerrins geringstes Problem ist.

Er scheint mich nicht gruselig oder gar für psyschich labil zu halten, stattdessen behandelt er mich einfach wie ein normales Mädchen, dass ihm auf den Geist geht. Zum ersten Mal seit ich ihn kennengelernt habe, kann ich ihn in Ruhe betrachten. So störrisch wie er nach vorne blickt und trotzdem immer eine Hand bereithält, wenn ich über die nächste Wurzel stolpere, weiß ich das er auf mich achtgibt.

Das schmale Gesicht, dass er besitzt wird von glatten, dunkelbraunen Haaren umrahmt, die ihm kurz unter die Schulter reichen. Danach zu urteilen, scheint er in meinem Alter zu sein, wenn Feen das überhaupt sein können. Doch die Körpersprache die er besitzt scheint eine ganze andere zu sein.

Die Narben, die ich an seinen Händen entdeckt habe und die sicheren Bewegungen, die er macht scheinen eine Geschichte zu erzählen, die schon Jahrtausende alt ist. Als hätte er schon viele Schlachten geschlagen... und viel verloren. Ich könnte ihn noch viel viel länger betrachten, doch ich zwinge mich den Blick abzuwenden.

Stattdessen sollte ich mich mal endlich zurechtfinden. Suchend schaue ich um, doch alles was ich sehe sind Bäume, Bäume und Bäume. Manche sind klein und dürr, doch die meisten, die mir aufgefallen sind reichen hoch bis in den Himmel hinauf.

Im Wald ist das Licht immernoch das der untergehenden Sonne, doch ich gehe davon aus das die Zeit hier einfach langsamer vergeht. Wir sind schon so lange unterwegs, dass es auf der anderen Seite der Grenze bestimmt schon Nacht ist.

Natürlich habe ich viele Fragen an Zerrin, aber da er seit vorhin das Wort nicht mehr ergriffen hat, möchte ich das auch nicht. Trotz der Nebel die mich vorhin in Angst und Schrecken versetzt haben, fühle ich mich genau in diesem Moment seltsam ruhig.

Als wäre dieser stille, grüne Wald schon immer etwas gewesen, nachdem sich meine Seele gesehnt hat. Oder mein Herz. Je nachdem. Nach langem weiterlaufen über harten Erdboden und vielen kleine Steine tun meine Füße weh. Wie hätte ich auch erahnen können, dass ich heute noch eine Wanderung hinlegen würde.

„Wir sind da."

Überrascht bemerke ich, dass Zerrin stehen geblieben ist. Doch zu spät. Schon remple ich ihn an. Ich will mich noch retten und mich mit meinen Händen an seinem Rücken abfangen, aber alles was ich berühre sind weiche Flügel. Zischend stolpert er von mir weg und starrt mich an.

"Tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun", beteuere ich und sehe ihn bittend an.

„Du hast mir nicht wehgetan."

„Warum tust du dann so als ob...-"

„Feenflügel sind sehr empfindsam."

„Oh. Aber dann hat es ja doch wehgetan."

Schief sieht er mich an. "Schalt dein Gehirn an, Mädchen. Empfindsam wie in intim."

„Oh. Ohh... ohje." Mein Gesicht wird ganz rot bei dem Gedanken daran, was er gerade gespürt haben muss. "Tut mir wirklich leid, Zerrin."

Nickend nimmt er meine Worte zur Kenntnis. Dann: "Also erneut... willkommen im Feenreich Kasendra!" Mit seinen Flügeln wirbelt er hinter sich die Luft auf und mit einem starken Windzug verschwindet der Waldabschnitt hinter ihm.

Stattdessen sehe ich plötzlich hinter ihm eine Lichtung und auf dieser steht ein riesiger Turm, um den sich viele Wurzeln schlingen. Lichtpartikel schweben in der Luft und bunte Blumen reihen sich überall auf.

Ich muss grinsen: „Also doch eine Fantasiewelt."

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